Nicht zuletzt: Die unsichtbare Hand kann mich mal!

Kommentar von Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien
(C) Lisi Specht
Überall in den Ballungsräumen das gleiche Bild: Starkes Wachstum trifft auf überforderten Wohnungsmarkt. Die privaten Mietpreise steigen massiv, leistbare Wohnungen werden Mangelware. Da ist es echt schön, wenn jemand klare Pläne hat. Wie etwa die im Umfeld einer Baleareninsel untergegangene Ex-Regierung, die im Regierungsprogramm festschrieb: „Mietzinsbildung: Marktkonforme Miete bei Neubauten und Gesamtsanierungen des Gebäudes auf zeitgemäßen Standard“.

Marktversagen

Der Markt soll es also richten. Klassisch geht das im Kapitalismus angeblich so: Jeder handelt nach seiner maximalen Gier, aber die unsichtbare Hand wendet alles zum Guten, sodass das Ergebnis auf wundersame Weise dem Gemeinwohl dient. Im Moment läuft das so: Jede Menge Kapital sucht wegen niedriger Zinsen attraktive Anlagemöglichkeiten. Von „Betongold“ ist in Anlageprospekten zu lesen – die Vergoldung des Betons erfolgt dann über die Miete. Da Grund und Boden nicht beliebig vermehrbar ist, treibt diese Goldsuche die Bodenpreise in absurde Höhen. Die, die Boden besitzen und verkaufen müssen, verdienen sich eine goldene Nase. Jene, die nicht unbedingt verkaufen müssen, lassen es sein.

Bei dieser Bodennachfrage steigt der Wert von Jahr zu Jahr – das ist viel besser als jedes andere Investment. Das alles verdrängt aber den geförderten Wohnbau.

Bei dieser Bodennachfrage steigt der Wert von Jahr zu Jahr – das ist viel besser als jedes andere Investment. Das alles verdrängt aber den geförderten Wohnbau. Bei Bodenpreisen von rund 1.800 Euro (pro Quadratmeter gebauten Wohnraums!), wie zuletzt in Wien-Favoriten bezahlt, erübrigt sich sozialer Wohnbau: Das Grundstück allein ist teurer als die gesamten Baukosten des Hauses. Gebaut wird hier jetzt privat. Jede oft auch als Finanzanlage gebaute Wohnung verhindert, dass eine leistbare Wohnung gebaut wird. Der private Wohnungsbau ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems geworden.

Jede oft auch als Finanzanlage gebaute Wohnung verhindert, dass eine leistbare Wohnung gebaut wird.

Und weil sich der Investor beim Bodenpreis so weit rausgehängt hat und am Markt auch nicht jeder Mietpreis durchsetzbar ist, gibt’s massive Leerstände, viele Projekte für Airbnb im Neubau, und es wird gespart, wo es nur geht. „Ja nur 49 Wohnungen bauen, sonst ist ein Spielplatz verpflichtend“, wird dann zum Maßstab bei der Planung. Oder es wird Druck auf die Politik ausgeübt, um möglichst viel vorgeschriebene Qualität aus den Wohnungen herauszuboxen. Klo rein ins Bad – damit am Morgen alle was vom anderen haben; Mindestgröße reduzieren – es wird eh zu wenig gekuschelt, Abstellraum und Keller weglassen – Besitz belastet bekanntlich eh nur.

Das zusammen führt zum Teil zu schlechten, kleinen und teuren Wohnungen am privaten Wohnungsmarkt – und zu längeren Wartezeiten bei den leistbaren und auch qualitativ überlegenen geförderten Wohnungen. Liebe Hand: Wie kommen wir eigentlich dazu, dass die betonierten Sparbücher in der Stadt den Platz verstellen, die Bau- und Bodenpreise nach oben treiben, vorhandene Infrastruktur blockieren und oft nichts zur Wohnversorgung beitragen? Danke, liebe unsichtbare Hand!

Und trotzdem gibt es in dieser Situation tatsächlich Politiker, die nach mehr Markt schreien. Die Ergebnisse so einer Politik kann man sich in München, Paris oder London anschauen. Eine Wohnung in der Stadt zu finden ist dort für Normalverdienende unmöglich geworden. Die Menschen, die die Stadt eigentlich am Leben halten, werden verdrängt und müssen extrem weite Arbeitswege auf sich nehmen. So eine Stadt ist wie eine Monokultur, und das rächt sich. Manchmal sogar ganz unmittelbar. Wenn dann niemand mehr zum Putzen kommt, die Busse fährt oder im Krankenhaus die Infusion wechselt, merken sogar die größten Marktfans mit den teuersten Wohnungen, dass die Stadt der Reichen so wenig wie der freie Wohnungsmarkt funktioniert.
Unsichtbar, weil nicht existent

Zur Bekämpfung des Betongoldrausches sei daher empfohlen: eine große Dosis Marktregulierung, ergänzt durch geförderten Wohnbau mit deutlichem Gemeindebauanteil.

Die Moral von der Geschicht’: Die unsichtbare Hand, die gibt es nicht. Zur Bekämpfung des Betongoldrausches sei daher empfohlen: eine große Dosis Marktregulierung, ergänzt durch geförderten Wohnbau mit deutlichem Gemeindebauanteil.

Von
Thomas Ritt
Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/19.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.