Aus Sicht der Gewerkschaft fällt auf, dass die Flexibilisierungsdebatte derzeit fast ausschließlich aus Perspektive von Unternehmen und der Industriellenvereinigung geführt wird – mit einer eindeutigen Zielrichtung: Die Arbeitszeiten sollen sich ausschließlich tatsächlichen oder behaupteten betrieblichen Erfordernissen anpassen, während die Interessenlagen der ArbeitnehmerInnen nicht berücksichtigt werden. In anderen Worten: Arbeit auf Abruf, ständige Erreichbarkeit und lange Durchrechnungszeiträume, die viel Potenzial haben, Zuschläge zu reduzieren.
Überlastung ist teuer
Ausufernde Arbeitszeiten ohne die Möglichkeit der Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen gehen zulasten von Gesundheit, Erholung, Freizeit und Familienleben. Sie sind außerdem ein Gesundheitsrisiko, erhöhen die Fehlerhäufigkeit bzw. Unfallwahrscheinlichkeit und verursachen damit auch Kosten für das Gesundheitssystem und die Allgemeinheit.
Es ist auch betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll, wenn Beschäftigte „hackeln bis zum Umfallen“. Der ÖGB fordert deshalb Arbeitszeitmodelle, die sich an den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen orientieren und nicht am Profitinteresse der Unternehmen. Hier gibt es Instrumente wie Rechtsansprüche auf berufliche Auszeiten zur Burn-out-Prävention, für Weiterbildung oder zur beruflichen Umorientierung sowie das Recht auf Teilzeit in bestimmten Lebensphasen – wie Pflege, Kinderbetreuung, Qualifikation – mit einem Rückkehrrecht zu Vollzeit.
Vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit und der Digitalisierung sind Arbeitszeitverkürzung und andere solidarische Arbeitszeitmodelle (wie Jobsharing) sicher der nachhaltigere Weg. Wenn man die Vorteile der Digitalisierung und die daraus resultierenden Produktivitätssteigerungen nutzen möchte, ist die Lösung der Verteilungsfrage von zentraler Bedeutung – und zwar die Verteilung von Einkommen und von Arbeitszeit. Die gegenwärtige Form von Arbeitszeitverkürzung in Form von Arbeitslosigkeit und (einkommensreduzierender) Teilzeit geht ausschließlich zulasten der ArbeitnehmerInnen, während die Kapitaleinkommen überproportional ansteigen. Die derzeitige Diskussion zur Flexibilisierung geht in die völlig falsche Richtung: Auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen wird das Arbeitszeitthema zum politischen Spielball. Ohne Rücksicht auf Verluste versuchen sich einzelne PolitikerInnen auf Kosten der Gesundheit Beschäftigter zu profilieren. Manch Unternehmer geht sogar so weit, sich mit hohen Wahlkampfspenden den 12-Stunden-Tag plus Einsatzbereitschaft am Wochenende erkaufen zu wollen. Von großem Weitblick zeugt das nicht.
Gewerkschaften stehen für Fortschritt
Der generelle, gesetzliche verankerte 12-Stunden-Tag wäre auch historisch betrachtet ein echter Rückschritt: In Österreich wurde 1889 im Bergbau Seegraben erstmals der 8-Stunden-Tag vereinbart.
1918 erreichte der Sozialpolitiker Ferdinand Hanusch den 8-Stunden-Tag für FabrikarbeiterInnen – im selben Jahr wurde das auch gesetzlich verankert. Seitdem wurde die Arbeitszeit immer weiter reduziert. Seit 1985 haben einzelne Branchen 38 Stunden pro Woche oder weniger vereinbart.
Was wir brauchen, sind branchenspezifische Arbeitszeitlösungen, die nicht nur auf unternehmerische Bedürfnisse eingehen, sondern auch gesellschaftspolitisch sinnvoll sind. Diesen Kampf haben wir GewerkschafterInnen quasi in unserer DNA, und wir werden auch nicht müde, ihn weiter zu bestreiten. Denn Arbeitszeit ist Lebenszeit.
Erich Foglar
Präsident des ÖGB
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/17.
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