Insgesamt wird durch die öffentlichen Vergaben sehr viel Geld bewegt. Eine Studie der TU Wien aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die Vergabestellen von Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungen und ausgelagerten Unternehmen in Österreich jährlich rund 60,7 Milliarden Euro für die öffentliche Beschaffung ausgeben. Das entspricht etwa 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit besitzt die öffentliche Auftragsvergabe eine enorme wirtschaftliche Bedeutung.
Die öffentlichen Beschaffungsstellen sind dabei keine gewöhnlichen Marktteilnehmer, deshalb dürfen betriebswirtschaftliche Überlegungen nicht das alleinige Kriterium für einen Auftrag sein. „Der Staat als öffentlicher Auftraggeber muss einer besonderen Vorbildrolle gerecht werden“, sagt die AK-Expertin. „Denn bei der Auftragsvergabe geht es um eine nachhaltige, gesamtwirtschaftlich effiziente Verwendung von Steuergeldern.“ Somit birgt das Vergaberecht eine soziale Verantwortung in sich. Bei vielen öffentlichen Aufträgen hätte es Sinn, soziale Kriterien wie die Beschäftigung von Frauen, Langzeitarbeitslosen, Personen in Ausbildungsverhältnissen, Menschen mit Behinderung und von älteren ArbeitnehmerInnen zu berücksichtigen und zu fördern.
Ungenutzte Potenziale
Die elsässische Stadt Straßburg, die bei ihren Stadterneuerungsprojekten mit dem Verein Relais Chantiers zusammenarbeitet, ist dafür ein gutes Beispiel: „Der Verein recherchierte, wer in den zu sanierenden Vierteln arbeitslos ist und welche Ausbildung diese Menschen haben“, erzählt Karasz. Da in den betroffenen Gebieten auch eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht, waren einige Jugendliche Teil des Projekts und hatten für die Dauer der Arbeiten einen Job. Im Optimalfall wirken sich die Maßnahmen wie folgt aus: „Die Jugendlichen haben eine Beschäftigung und erwerben eine Qualifikation, die sie unter Umständen am ersten Arbeitsmarkt einbringen können. Außerdem verbessert sich die Identifikation mit ihrem Stadtteil.“ Vergleichbare Projekte gibt es auch in Italien und Spanien.
In Österreich wird die öffentliche Vergabe allerdings relativ selten mit sozialen Kriterien verknüpft. Bei den Olympischen Jugend-Winterspielen 2012 in Innsbruck war die Beschäftigung von langzeitarbeitslosen Menschen ein Zuschlagskriterium – die Aufträge ergingen deshalb an zwei sozial-ökonomische Betriebe aus Osttirol. Im „Wiener Modell“ müssen sich Bieter seit 2010 zur Umsetzung von Frauenfördermaßnahmen verpflichten. Lena Karasz: „Bei Aufträgen ab einer gewissen Größe fordert die Stadt, dass Gleichstellungsmaßnahmen verwirklicht werden.“ Die Unternehmen müssen in einem Fragebogen angeben, welche Frauenfördermaßnahmen sie bereits berücksichtigen oder in Zukunft einführen wollen. Die Themen reichen dabei von Bildungsmaßnahmen exklusiv für Frauen über die Bereitstellung einer betrieblichen oder externen Kinderbetreuung bis hin zu einem Wiedereinstiegsplan.
Soziale Kriterien als Kernelement
EU-weit sind die sozialen Kriterien ein Kernelement der Vergaberechtsreform. Es liegt aber im Ermessen der Mitgliedstaaten, diese Regelungen anzuwenden. In Österreich gibt es bei den Sozialpartnern bisher leider keinen Konsens über die sozialen Kriterien. AK-Expertin Karasz: „Die Wirtschaftsseite steht der Anwendung von sozialen Kriterien in der öffentlichen Vergabe eher skeptisch gegenüber.“ Denselben Zugang hat auch die Regierung: Sie legt den Schwerpunkt beim Vergaberecht auf den wirtschaftlichen Einkauf und auf Innovationsförderung, will damit aber keine sozialpolitischen Zwecke verknüpfen.
Nicht immer ist es fair
Fakt ist allerdings, dass es bei der öffentlichen Auftragsvergabe oft nicht fair zugeht. Vor allem bei einem hohen Auftragsvolumen werden lange und komplexe Subunternehmerketten gebildet, die besonders gut dazu geeignet sind, Lohn- und Sozialdumping im Baubereich zu verstecken. Gibt es Ärger, haben die Arbeiter einer Baufirma oft Probleme herauszufinden, wer überhaupt ihr Arbeitgeber ist. Da es sich dabei oft um ein Subunternehmen handelt, war es bis vor Kurzem sehr schwierig, den Auftraggeber des Arbeitgebers zu eruieren. „Wenn sich Arbeiter an die Arbeitsrechtsabteilung der AK gewendet haben, war es oft auch für unsere Experten schwierig, die Kette der Subunternehmen zu entwirren“, weiß Jurist Walter Gagawczuk von der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien.
In den letzten Jahren konnte die AK viel bei der öffentlichen Vergabe erreichen. Durch die Novelle des Bundesvergabegesetzes 2015 dürfen Subunternehmer nur mit vorheriger Zustimmung des Auftraggebers eingesetzt werden. Auch das heuer beschlossene Bundesvergabegesetz wurde noch unter Beteiligung der AK entwickelt. Es sieht vor, dass wichtige Daten zu Bauaufträgen ab einem Wert von 100.000 Euro an die Baustellendatenbank der BUAK (Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse) weitergeleitet werden. Eine vollständige Erfassung aller Auftragnehmer sowie Subauftragnehmer soll erreicht und die Transparenz im öffentlichen Bausektor wesentlich erhöht werden. Dies ermöglicht auch den Beschäftigten, ihre Ansprüche schneller durchzusetzen, und erleichtert den Kontrollorganen die Überprüfung der Baustellen.
Lohndumping ohne Konsequenzen
Offen bleibt, ob die neue Regierung diesen Kurs weiter fortsetzen wird. Derzeit können Firmen in Europa ohne Beschränkungen grenzüberschreitend tätig sein. Verstoßen sie gegen Gesetze, ist eine Verfolgung über die Landesgrenzen hinaus für die Behörden schwierig. Das wird von vielen Unternehmen ausgenutzt. Wenn etwa ein slowenisches Unternehmen in Österreich tätig ist und beim Lohndumping erwischt wird, ist es trotzdem oft problematisch, die Firmenchefs zur Rechenschaft zu ziehen. In der Steiermark wurden Bauarbeiter einer slowenischen Firma eingesetzt, die nur den slowenischen Lohn erhielten. „Die AK Steiermark hat den ausstehenden Lohn eingeklagt und hatte damit vor Gericht Erfolg. Das ist aber mit viel Aufwand und Kosten verbunden“, erklärt AK-Experte Gagawczuk.
Kurz darauf ist die betreffende Baufirma in Konkurs gegangen – damit wurde das slowenische Insolvenzrecht gültig. Gagawczuk: „Aber der slowenische Insolvenzfonds sieht vor, dass sich die Entgeltsicherung nur auf die slowenischen Löhne bezieht. Die Arbeiter haben durch die Finger geschaut.“ Trotz bester juristischer Betreuung sind die ArbeitnehmerInnen manchmal chancenlos, wenn es um ihre berechtigten Ansprüche geht.
Europäische Arbeitsbehörde schaffen
Um diesen Missstand zu bekämpfen, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Einführung einer europäischen Arbeitsbehörde angeregt. Wird in einem anderen EU-Land gearbeitet, soll diese EU-Agentur die Überwachung und Kontrolle von Mindestlohn und Sozialstandards sicherstellen. Ferner soll sie die Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten unterstützen und gewährleisten, dass EU-Regeln geschützt und Betrug sowie Missbrauch verhindert werden. Doch einige der neuen Mitgliedstaaten wehren sich gegen die Einführung dieser europäischen Arbeitsbehörde. „Österreich verhält sich zurückhaltend, dabei würde sich gerade Wien als Sitz für diese Europäische Arbeitsbehörde besonders eignen“, sagt Walter Gagawczuk. Der AK-Experte befürchtet, dass hier eine einmalige Chance verpasst wird.
Sophia T. Fielhauer-Resei und Christian Resei
Freier JournalistInnen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/18.
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