Jahresbilanz im neunerhaus
„Fordernd“ sei es gewesen, das vergangene Jahr 2023, sagt Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin vom neunerhaus, im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft. Das an einer bestimmten Zahl festzumachen, sei schwer. Vielleicht an den 19.517 Mahlzeiten, die das neunerhaus Café ausgegeben hat. Oder an den 35.514 Konsultationen im Gesundheitszentrum. Auch die Zahl von 1.076 Mieter:innen, die sie betreuen und beraten, spricht Bände. Und jede dieser Statistiken ist ein wichtiges Puzzleteil in einem ersten Gesamtbild.
Und das beschreibt Hammer so: „Was wir seit Jahren merken, ist, dass die psychische Belastung unserer Nutzer:innen stetig zunimmt.“ Und dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Leistbarer Wohnraum werde immer weniger. Hammer weiter: „Aufgrund der Teuerungen, der Corona-Krise und Energiekrise steigt die Nachfrage auch in Bevölkerungsgruppen mit mittleren Einkommen. Angesichts des hohen Zuwachses an Befristungen bei Mietverträgen am privaten Wohnungsmarkt wohnen immer mehr Menschen prekär.“
Die Schwierigkeiten, denen betroffene Personen gegenüberstehen, sind allerdings nicht mit den sichtbaren und naheliegenden Problemen gelöst. Es geht nicht nur darum, ein Dach über dem Kopf zu haben. Es geht auch darum, fit genug zu sein, dieses Dach zu behalten. Es geht nicht nur darum, irgendwas zu essen, sondern gesund zu essen. Um Teilhabe (auch digital) und Anteilnahme, medizinische Hilfe und psychologische Unterstützung.
Neunerhaus bedeutet: Gesundheit, Soziales und Wohnen
Entsprechend diesen Herausforderungen versucht das neunerhaus vielschichtig zu helfen. Dafür gibt es eine Vielzahl an Einrichtungen und Hilfestellungen, die über die klassische Grundversorgung hinausgehen. Dazu gehören etwa:
- Neunerhaus Café: Hier können Menschen ein warmes und gesundes Mittagessen bekommen und zahlen dafür nur so viel, wie sie sich eben leisten können. Parallel finden sie hier ein Stück Normalität. Sie können sich mit anderen Menschen austauschen, sich beraten lassen oder an Sozialarbeiter:innen wenden.
- Digitaler Infopoint: Weil die Digitalisierung in allen Lebensbereichen Einzug gehalten hat, hat das neunerhaus einen Infopoint aufgestellt. Hier können sich Besucher:innen eine eigene E-Mail-Adresse einrichten oder Finanz-Online nutzen.
- Energie-Beratungsstelle: Die Energiearmut hat enorm zugenommen. Sozialarbeiter:innen beraten hier und helfen beispielsweise beim Umstieg auf einen günstigeren Anbieter.
- Arbeitssuche: Im Jahr 2023 konnten Peer-Mitarbeiter:innen insgesamt 300 Beratungstermine durchführen und arbeitslosen Menschen bei der Jobsuche helfen.
- Tierärztliche Untersuchung: Tiere helfen obdachlosen Menschen Struktur in ihren Alltag zu bekommen und sie dienen als emotionale Unterstützung. Im neunerhaus helfen 44 ehrenamtliche Tierärzt:innen und haben im Jahr 2023 insgesamt 1.694 Behandlungen durchgeführt.
Bei all diesen Projekten helfen sogenannte Peer-Mitarbeiter:innen. Dabei handelt es sich um Menschen, die selbst einmal wohnungslos waren und eine eigene Ausbildung gemacht haben, um auf Augenhöhe helfen zu können. Bislang hat neunerhaus gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien rund 100 Peer-Mitarbeiter*innen ausgebildet.
Basisarbeit im neunerhaus
Zum Fundament des neunerhauses gehört aber immer noch die Hilfe bei Obdachlosigkeit. Und auch hier sind die Zahlen für das Jahr 2023 beeindruckend. Insgesamt konnte das neunerhaus 1.076 Mieter:innen in 513 Haushalten betreuen und 100 Wohnungen an 179 Personen vermitteln. Dazu kommen 262 Bewohner:innen, die in den drei neunerhäusern direkt unterstützt wurden. „Angesichts des hohen Zuwachses an Befristungen bei Mietverträgen am privaten Wohnungsmarkt, wohnen immer mehr Menschen prekär. Hier will neunerhaus auf struktureller Ebene wirkungsvolle Veränderungen anzustoßen, auch wenn das Bohren von sehr harten Brettern ist“, erklärt Hammer im Gespräch.
„Heute geben Österreichs Mieter:innen durchschnittlich knapp 30 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen und Energie aus. Bei Haushalten mit geringem Einkommen ist es fast die Hälfte“, heißt es im Jahresbericht. Das verschärfe die Situation für immer mehr Menschen. „Leistbarer Wohnraum wird immer mehr zu Mangelware. Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnsituationen sind schon lange keine Randphänomene mehr – sie reichen bis mitten in die Gesellschaft.“
Eine zweite zentrale Aufgabe beim neunerhaus ist die Arbeit vom Gesundheitszentrum. Obdachlose Menschen haben häufig einen ebenso komplexen wie hohen Pflegebedarf, sind häufig aber nicht anspruchsberechtigt oder versichert. Hierbei darf auch der Bedarf an psychologischer Betreuung nicht unterschätzt werden. Oft stecken betroffene Menschen in extrem belastenden Situationen fest und brauchen niedrigschwellige Hilfe. Im Gesundheitszentrum haben sie die bekommen. Im Jahr 2023 kam es dort zu 35.514 Konsultationen und 4.369 Gesprächen mit Sozialarbeiter:innen.
Millionenspende vom Guten Rat für Rückverteilung
Wie gut die Arbeit auch in der Öffentlichkeit ankommt, zeigt der Gute Rat zur Rückverteilung. Ein halbes Jahr berieten hier 50 Menschen, wie sie die 25 Millionen Euro verteilen könnten, die Erbin Marlene Engelhorn gespendet hatte. Das neunerhaus erhielt mit fast 1,6 Millionen Euro die zweithöchste Zuwendung (nach dem Naturschutzbund Österreich).
„Die Zuwendung des Guten Rats bedeutet für uns neben dem materiellen Aspekt eine unglaubliche Wertschätzung und Bestärkung unserer Arbeit. Es zeigt, dass Obdach- und Wohnungslosigkeit ein Thema ist, das uns alle angeht“, begrüßt Hammer die Spende. Große Sprünge oder neue Projekte seien allerdings nicht geplant. Das Angebot ist bereits umfangreich und natürlich kostenintensiv. „Grundsätzlich werden wir die Zuwendung dazu verwenden, bereits bestehende Projekte und Angebote auch in Zukunft stabil zu halten. Denn bei unserer Arbeit sind wir – neben unseren Fördergebern – natürlich immer auch auf private Spenden angewiesen.“
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