Das scheint auch zutreffend, wenn man auf ein jüngeres Beispiel amerikanischer Politik blickt. „Class trumps gender“, also Klasse sticht Geschlecht: So lautete eine der standardmäßigen Erklärungen, warum bei der Präsidentschaftswahl mehr Frauen Trump als Clinton gewählt hatten – trotz der frauenfeindlichen Äußerungen des republikanischen Kandidaten. Letzten Endes wären Frauen aus der ArbeiterInnenschicht eben zuerst einmal Arbeiterinnen, so die Analyse, und erst in zweiter Linie Frauen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern in unserer Gesellschaft: nur ein Nebenschauplatz, während die Auseinandersetzung zwischen den Klassen auf der Hauptbühne stattfindet?
Was unterscheidet Klassen denn eigentlich, könnte man an dieser Stelle fragen. Da lässt sich zuallererst der Faktor Vermögen anführen. Wer seinen Besitz für sich arbeiten lassen kann, wird schwerlich einer ArbeiterInnenklasse zuzurechnen sein. Zudem besitzen Vermögende nicht nur materielle Werte, sondern auch mehr Macht und Einfluss als Besitzlose.
Unterschiede im Vermögen sind nicht nur schichtspezifisch, sie existieren auch zwischen Männern und Frauen. So besitzen Frauen im Schnitt um 23 Prozent weniger Nettovermögen als Männer. Die Unterschiede zulasten der Frauen sind vor allem am oberen Rand der Vermögensverteilung zu finden. Genau bei diesen Haushalten besteht das Vermögen zu einem großen Teil aus Unternehmenseigentum. Damit geht auch wirtschaftliche und politische Macht einher. Und da haben Männer die Nase deutlich vorne.
Unterschied von 38 Prozent
Unter den arbeitenden Menschen wiederum macht vor allem die Höhe des Einkommens den Unterschied zwischen den Klassen, also zwischen Mittel- und Unterschicht, aus. Übertragen auf die Geschlechterfrage: Die Differenz beim jährlichen Bruttoeinkommen zwischen Frauen und Männern beträgt 38 Prozent – unbereinigt um Teilzeit, Berufe oder Branchen.
Soweit zur Baustelle „faire Entlohnung“, auf der es weiterhin viel zu tun gibt. Darüber hinaus aber geht es auch darum, welche finanziellen Mittel einer Person am Ende des Tages tatsächlich zur Verfügung stehen, um ihr Leben zu bestreiten. Gerade am unteren Rand der Einkommensskala sind weibliche Beschäftigte verstärkt zu finden: Der Anteil an der Niedriglohnbeschäftigung ist bei Frauen rund dreimal so hoch wie bei Männern. Zudem arbeiten Frauen insgesamt mehr: Sie werken 65 Stunden jede Woche, bei Männern sind es 63 Stunden. In diese Berechnung ist unbezahlte Arbeit miteinbezogen – zu Recht, schließlich ist es auch Arbeit, noch dazu eine sehr dringend notwendige.
Sind Frauen also eine eigene Klasse? Das sind sie natürlich nicht. Jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit. Aber sie sind gewissermaßen innerhalb ihrer jeweiligen Klassen unterprivilegiert. Das hat auch die Frauenbewegung vorgebracht, die gegen die systematische Schlechterstellung ihres Geschlechts angekämpft hat. Dieser Kampf lässt sich auch am Beispiel von Cookies illustrieren, diesmal im kulinarischen Sinne. Noch einmal ein Blick in die amerikanische Politik: Wir schreiben das Jahr 1992. Der Ehemann der späteren Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton rittert selbst um die Präsidentschaft. Frau Clinton reagiert auf einen Vorwurf, sie hätte als Anwältin die Position ihres Gatten als Gouverneur zu ihrem beruflichen Vorteil benutzt, ärgerlich: „Ich nehme an, ich hätte zu Hause bleiben und Cookies backen sollen.“
Kekse backende Ehefrauen
Die Ehegattin des Gegenkandidaten, Barbara Bush, forderte sie daraufhin zu einem Backwettbewerb auf. Clinton war unwillig, musste sich aber dem überwältigenden Druck des Wahlkampfteams beugen: Die amerikanische Öffentlichkeit wollte Kekse backende Ehefrauen sehen. Nur ein Mann, der eine solche Frau an seiner Seite hat, so schien es, konnte auch ernsthaft als Präsident in Erwägung gezogen werden.
Was diese Geschichte mit Klassenkampf zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel, denn es geht hier nicht um Arbeit gegen Kapital, nicht einmal um obere Mittelschicht (Clintons) gegen echten Reichtum (Bushes), sondern um backfreudige versus karriereorientierte Frauen. Oder anders: um zwei völlig unterschiedliche Frauenbilder. Somit geht es um die zentrale Frage, wo Frauen ihren Platz haben: im Privaten, friedlich am Herd mit der vorrangigen Aufgabe, den Ehemann und seine Nachkommenschaft zu betreuen und ihm den Rücken freizuhalten für seinen Kampf in der Welt draußen; oder soll die Frau selbst hinausziehen und ihren Platz in Politik oder Wirtschaft behaupten, sich dabei mit Männern messen und diese bisweilen auch ausstechen?
Ursprung der Frauenbewegung
Dass die spezifische Interessenlage von Frauen immer auch geprägt ist von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, daran kann kein Zweifel bestehen. Das war schon am Ursprung der Frauenbewegung so – nicht umsonst gab es eine bürgerliche Frauenbewegung und eine der Arbeiterinnen. Diese haben jedoch auch zusammengefunden, wenn es Anliegen hab, wo Frau-Sein bestimmender war als die soziale Herkunft. Die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts 1907 gab dafür Anlass. Die eine oder andere gut gestellte Frau, die zuvor in ihrer Kurie wählen durfte, verlor nun dieses Recht und sah sich plötzlich in der gleichen Situation wie die gewöhnliche Arbeiterin, mit der sie sonst wenig verband. Sie war rechtlos geworden in Bezug auf die demokratische Mitbestimmung, ausgeschlossen aufgrund ihres Geschlechts. Gemeinsam erkämpften Frauen beider Klassen schließlich 1918 jenes Wahlrecht, das endlich beide Geschlechter zur Gänze umfasste.
Aus Klasse und Geschlecht gewebt
Die Geschichte zeigt noch an vielen anderen Stellen, dass die Struktur unserer Gesellschaft aus Klasse und Geschlecht gewebt wird. Beides sind Prinzipien, nach denen konkrete Rollen, aber auch Chancen verteilt werden. Beides führt zu Ungleichheiten und vor allem auch zu Ungerechtigkeiten. Wer das ändern will, muss an beiden Fäden ziehen. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern schlicht um eine gerechte Gesellschaft, in der jeder und jede faire Chancen haben soll – und ein Existenzrecht auch dann, wenn er oder sie den vorgefertigten Rollen nicht entspricht. Wie strikt diese Rollenzuteilung ist, hat immer einen sozialen Gesichtspunkt und einen Genderaspekt. Arbeiter, die mit den Händen arbeiten, Frauen, die pflegen und versorgen. Angestellte, die sich zu bilden haben und Männer, die ihre Familien erhalten müssen. Plätze werden immer entlang beider Linien zugewiesen. Feministische VordenkerInnen weisen auch zu Recht darauf hin, dass der Kapitalismus eine patriarchale Struktur hat.
Weil diese Aspekte miteinander verwoben sind, haben schon in den 1970er-Jahren unterschiedlichste Gruppierungen für eine gerechte Gesellschaft gekämpft, etwa die Frauen-, Friedens-, Umwelt- oder die Antirassimusbewegung. Nicht immer zogen diese Bewegungen an einem Strang, aber an unterschiedlichen Fäden. Mit Erfolg. Die damaligen Reformen im Familien-, Straf- und Arbeitsrecht stellten einen echten Umbruch in der Gesellschaft dar und brachen mit der bis dahin festgefügten Standes- und Klassenlogik.
Alte und neue Einschnürungen
Noch einmal Blick Richtung USA: Die Wahl Trumps zum Präsidenten hat eine riesige Mobilisierung hervorgerufen – und viele neue Kooperationen. So bot etwa der Women’s March ein Dach für unterschiedliche Frauenbewegungen, aber auch für viele Menschen, die bislang mit der Frauenbewegung wenig am Hut hatten, jedoch keine Gesellschaft wollen, wie sie Trump symbolisiert. Man kann ihnen nur wünschen, dass sie die Fäden in die Hand bekommen, die die alten und neuen Einschnürungen lösen werden. Und auf Vergleichbares diesseits des Atlantiks hoffen.
Sybille Pirklbauer
Frauen und Familie AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.
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