Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert, auch Studierende haben keine Zeit mehr für breit gefächerte Neugier und freies Nachdenken. Der Grund: Das Bologna-System hat zu einer Überladung und Verschulung aller Studiengänge geführt. Keine Zeit zu haben gilt heutzutage aber erst recht für das Lehr- und Forschungspersonal an den Universitäten und Forschungsinstitutionen.
Zunehmende Ökonomisierung
Ursache des Zeitmangels ist die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die Universitäten als „Ort rastloser Betriebsamkeit“ erscheinen lässt, wie der Innsbrucker Bildungswissenschafter und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner im Jänner 2017 in einem Kommentar in der Furche schrieb. Befristet angestellte JungwissenschafterInnen würden Forschungsanträgen hinterherhecheln, deren Erfolgswahrscheinlichkeit oft unter 20 Prozent liege.
Eine Laufbahnstelle, also eine unbefristete Anstellung an einer Universität, ist ein rares Gut geworden. Laut Forschungsaktionsplan der Regierung wurde im Jahr 2013 bereits ein Viertel des wissenschaftlichen Personals über Drittmittel finanziert, an manchen technischen Universitäten ist es schon die Hälfte.
Erhöhter Leistungsdruck
Dies ist kein Zufall, sondern so gewollt. Für die Hintergründe muss man in das Jahr 2002 zurückgehen, als das Universitätsgesetz in Kraft trat. Seit damals sind die Universitäten juristische Personen des öffentlichen Rechts, die vom Bund auf jeweils drei Jahre finanziert werden, wofür sie detaillierte Leistungsvereinbarungen abschließen und erfüllen müssen.
Die Vollrechtsfähigkeit gab den Unis mehr Selbstständigkeit, erhöhte aber auch den Leistungsdruck. „Die Kollegen nebenan am Institut für Molekulare Pathologie werden von Boehringer Ingelheim finanziert, die vom Institut für Molekulare Biotechnologie Austria und dem Gregor Mendel Institute von der Akademie der Wissenschaften“, sagt Kristin Teßmar-Raible, die im Vienna Biocenter an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien arbeitet. „Sie haben dadurch ein Grundbudget, das ihnen den Freiraum gibt, auch Projekte mit höherem Risiko über einen längeren Zeitraum durchzuführen.“
Teßmar-Raible hat sich gemeinsam mit KollegInnen für eine interdisziplinäre Forschungsplattform der Universität Wien beworben. Erforscht werden soll die biologische „Monats-Uhr“ eines marinen Borstenwurms, die die Reproduktion und Regeneration beeinflusst. Erkenntnisse darüber, wie diese Uhr auf molekularer Ebene gesteuert wird, könnten auch für den Zyklus des Menschen interessant sein.
Die Forschungsplattform sei von der Uni für sechs Jahre gut dotiert worden, sagt Teßmar-Raible. Danach müsse sie sich aber wieder um Forschungsförderungen bemühen. Etwa ein Viertel ihrer Arbeitszeit wende sie für Anträge und deren Abrechnung auf. Bevor ein Projekt abgeschlossen sei, müsse man schon an die nächsten Anträge denken. „Ich würde mir wünschen, dass es eine finanzielle Grundausstattung gibt, damit keine Finanzierungslöcher entstehen“, sagt die Chronobiologin. Sollte es zu einem Loch kommen, müsste qualifiziertes Laborpersonal gekündigt, die Vermehrung von genetisch veränderten Pflanzen oder Tieren gestoppt werden. Bis man ein Labor nach einer Förderzusage wieder hochgefahren habe, vergehe viel Zeit. Das wiederum bedeute einen Nachteil im internationalen Forschungswettbewerb, denn in der Schweiz beispielsweise gebe es generell mehr Basisfinanzierung der Forschung.
Schwierige Finanzierung des Betriebs
Eine solche Basisfinanzierung vermissen auch die ForscherInnen der FORBA, der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. „Früher haben wir eine geringe Basissubvention vom Bund bekommen“, sagt FORBA-Geschäftsführer Thomas Riesenecker-Caba. „Aber die gibt es schon seit Jahren nicht mehr.“ Die FORBA muss also Drittmittel einwerben, um ihre rund 15 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und das Verwaltungspersonal bezahlen zu können. „Früher war es leichter, an EU-Programmen zu partizipieren. Der administrative Aufwand war geringer und die Chancen waren größer“, so Riesenecker-Caba. Heute fördere die EU aber lieber wenige große Projekte. Dazu kommt ein Problem, das alle nicht universitären Forschungsinstitutionen und freiberuflichen ForscherInnen haben: Wie finanziert man den Overhead, also die Kosten für Miete, Infrastruktur und Personal, die nicht direkt einem Projekt zuzuordnen sind? Und wie die Zeit, bis das Fördergeld am Konto einlangt, wenn der Großteil erst am Ende eines Projektes ausgezahlt wird?
Sponsor weg
Wie schwierig es sein kann, wenn man Forschung teilweise aus der Wirtschaft finanziert, hat auch Gunther Maier erlebt, der an der Wirtschaftsuniversität (WU) das 2007 gegründete Forschungsinstitut für Raum- und Immobilienwirtschaft leitet.
Ursprünglich wurde das Institut von der Immofinanz AG und später auch von der ERESNET GmbH gesponsert. „Wir haben mit diesem Geld Dissertanten finanziert, die für die Dauer ihrer Forschungsarbeit angestellt wurden“, erklärt Gunther Maier. Mit den Sponsoren sei eine grundlegende Ausrichtung des Instituts festgelegt worden, daraus seien aber keine konkreten Forschungsaufträge abgeleitet worden. „Wir wollen die Immobilienwirtschaft auf eine solidere wissenschaftliche Basis stellen, Marktbeobachtung oder Gutachten zu Standortfragen sind nicht unser Thema“, so Maier. Die Immofinanz schlitterte im Herbst 2008 jedoch in die Krise. Derzeit hat das Institut keinen Sponsor.
Insgesamt wird die Forschung an der WU aber hauptsächlich vom Bund finanziert: Die Kosten für wissenschaftliches Personal betrugen im Jahr 2016 rund 61 Millionen Euro; an Erlösen, also Drittmitteln aus verschiedenen Quellen, wurden 12 Millionen Euro eingenommen. Davon stammen circa 16 Prozent aus EU-Fördermitteln. Bei Bewilligungsquoten im einstelligen Bereich bei manchen EU-Schienen sei es jedoch fraglich, ob man den eigenen ForscherInnen noch guten Gewissens zu einer Einreichung dort raten könne, heißt es seitens der WU.
Für das Jahr 2017 werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Österreich voraussichtlich 11,3 Milliarden Euro ausmachen. Das sind 3,14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Davon stammen 48 Prozent von den österreichischen Unternehmen. Ein Teil der Unternehmensforschung wird vom Bund über die Forschungsprämie (2016 waren dies 530 Millionen Euro) und die von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG abgewickelten Programme finanziert.
Mehr Budget als die öffentliche Hand
In den OECD-Ländern kamen im Jahr 2015 nur rund ein Fünftel der gesamten Forschungsausgaben von der öffentlichen Hand, mehr als zwei Drittel kamen von der Industrie.
Die Firma Roche zum Beispiel habe mehr Forschungsbudget als die öffentliche Hand in Österreich, sagt Klement Tockner, der seit September 2016 Präsident des Wissenschaftsfonds FWF ist.
Dunkles Wissen
Er kritisiert, dass viel Wissen, das auf diese Weise generiert werde, nicht an die Öffentlichkeit gelange – es sei „dark knowledge“. Es komme dadurch zu einer Oligopolisierung des Wissens und dazu, dass viele Forschungsfragen gar nicht gestellt werden, weil sich keine Finanzierung dafür findet oder deren Beantwortung aus wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Gründen nicht erwünscht ist. „Umfangreiches Wissen ist aber einer der Grundpfeiler einer aufgeklärten Demokratie“, mahnt Tockner. Es brauche daher massive Investitionen der öffentlichen Hand in frei zugängliche Wissenschaft und Forschung. Der FWF vergebe seine Forschungsförderungsmittel (2016 waren das 183,8 Millionen Euro) im fairen Wettbewerb rein nach internationalen Qualitätskriterien, nicht nach politischen Vorgaben oder Fachgebiet. Denn „Drittmittel sind Mittel und kein Ziel“, so Klement Tockner.
Sonja Bettel
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.
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