Mitgemeint ist zu wenig

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Junge Menschen fühlen sich im Wahlkampf nur selten angesprochen. Wer sich nicht repräsentiert fühlt, pfeift auf Politik oder tendiert zu populistischen Gruppierungen.

Historisch oder selbst erlebt?

Auch Menschenkenntnis und Lebenserfahrung sind naturgemäß eher bei Personen jenseits der 30 zu erwarten. Sascha Ernszt erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Gespräch mit Lehrlingen: „Als die schwarz-blaue Regierung erwähnt wurde, kam dazu von einem Lehrling der Kommentar: ‚Damals war ich doch noch nicht einmal im Kindergarten.‘ Junge Menschen haben eben auch in politischer Hinsicht noch wenig eigene Erinnerungen und kennen vieles nur aus dem Schulunterricht oder von elterlichen Erzählungen. Das sollten PolitikerInnen vielleicht öfter bedenken.“ Überhaupt wären persönliche Gespräche enorm wichtig. „Junge Leute haben ein offenes Ohr und freuen sich über die Gelegenheit zum direkten Austausch.“

Und wie wichtig sind Snapchat, Facebook & Co.? „Hier haben wir durchaus noch Verbesserungs- beziehungsweise Nachholbedarf, denn Jugendliche finden etwa die YouTube-Videos der FPÖ cool“, so Ernszt. „Dabei gilt es aber auch immer zu bedenken, dass die Lebenswelten von Studierenden und Lehrlingen doch sehr unterschiedlich sind.“

Wie cool und jugendlich muss ein/e PolitikerIn überhaupt sein, um bei Menschen unter 30 anzukommen? „Jugendlichkeit des Kandidaten oder der Kandidatin ist durchaus etwas, womit Parteien bei jungen Wählern und Wählerinnen punkten“, weiß Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung. „Allerdings liegt das nicht daran, dass die Jungen sich dadurch mit ihren Anliegen besser repräsentiert fühlen. Entscheidend ist eher, dass das jugendliche Image dem politischen Establishment etwas entgegensetzt, denn dieses gilt bei jungen Menschen als langweilig, alt und von den Lebensrealitäten des Alltagsmenschen abgehoben. Jugendliche KandidatInnen repräsentieren zumindest rein äußerlich die Antithese zu ‚Politik als Kultur der alten Männer‘.“

Im „profil“-Interview zu seinem Amtsantritt ortete Christian Kern Defizite der SPÖ bei der Jugend. Doch auch der jüngste Wahlkampf war eher am Gros der Bevölkerung, den Älteren orientiert. „Die Pensionen“ etwa sind zweifellos ein generationenübergreifendes Thema. Tatsächlich geht es aber in Diskussionen und Wahlkampfauftritten meist um die Rechte all jener, die bereits in Pension sind, oder um Verbesserungen für Beschäftigte jenseits der 40. Nur selten wird ernsthaft und ausführlich über Pensionen mit Blick auf junge Menschen geredet, die sich auch ein gutes Leben im Alter wünschen.

Auch die Sozialwissenschafterin Großegger sieht hier einen Generation Gap: „Die Vorstellungen, was für eine lebenswerte Zukunft wichtig ist, sind unterschiedlich: Die Top-3-Maßnahmen für Millennials wären bessere Jobchancen nicht nur für Bildungsschwache, sondern auch für Menschen mit höheren Qualifikationen, zweitens die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und drittens eine nachhaltige Pensionsreform. Die Top-3-Maßnahmen für 55- bis 65-Jährige sind hingegen die Senkung der Steuerbelastung sowie höhere Steuern für Reiche, vor allem aber bessere Jobchancen für Nicht-AkademikerInnen. Ältere gehen nach wie vor davon aus, dass ein hoher formaler Bildungsabschluss Garant für einen guten, also gut bezahlten und sicheren Arbeitsplatz ist.“

Informationsflut

Vieles hat sich verändert in den vergangenen Jahren: Zahlreiche TV-Sender, Gratiszeitungen, das Internet, Online-Plattformen und Messenger-Dienste überschwemmen Jung und Alt mit Inhalten. Junge Menschen mögen daran eher gewöhnt sein, das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie die Informationsflut auch tatsächlich bewältigen können. Individualismus wird großgeschrieben, und so wird die Politik immer mehr als Service für die BürgerInnen verstanden. „Politik soll Rahmenbedingungen schaffen, um die Menschen in ihrem persönlichen Lebensvollzug zu unterstützen“, so Beate Großegger: „Nicht nur für junge Menschen, sondern allgemein geht es immer weniger um weltanschauliche Grundsatzfragen, sondern vor allem um für den persönlichen Lebensvollzug relevante Sachpolitik.“ Und es geht auch um die viel zitierten Sorgen und Ängste: „Hier ist es der FPÖ sehr gut gelungen, junge Menschen, die sich von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen bedroht und um persönliche Lebenschancen betrogen fühlen, anzusprechen. Die jungen Leute stammen in der Regel nicht aus den Bildungsschichten, sondern aus weniger privilegierten Milieus, wo sich heute Statuspanik und Abstiegsängste breitmachen und wo das Gefühl vorherrscht, dass sich die politischen Eliten um die Sorgen der sogenannten kleinen Leute nicht kümmern.“

Gezielt miteinbeziehen

Und die Jugendorganisationen? Es ist kompliziert, selbst wenn es nicht gleich in totale Trennung ausartet wie bei den Grünen. Besonders vor Wahlen spitzt sich die Situation oft zu. Denn einerseits vertreten Jugendorganisationen durchaus auch andere Positionen als die Mutterpartei. So hat etwa die Sozialistische Jugend noch im Frühling mit Sprüchen wie „Christian, Vorsitzender welcher Partei bist du eigentlich?“ demonstriert und Kanzler Kerns „Plan A“ kritisiert. Andererseits will man vor Wahlen der gemeinsamen Sache (und mitunter auch der eigenen Kandidatur) ja nicht durch allzu freche Sprüche schaden und wiederholt daher hauptsächlich die Themen der Mutterpartei. Aber das gezielte Miteinbeziehen der Anliegen junger Menschen sollte doch möglich sein, und wenn es sich nur auf die Frage beschränkt: „Mit welchen Ideen möchten wir junge WählerInnen erreichen?“

Studie „Wählen mit 16 bei der Nationalratswahl 2013“:
tinyurl.com/ybto8tll
Wahlbeteiligung bei Wahlen in Österreich:
www.wahlbeteiligung.at
ErstwählerInnen und die Nationalratswahl 2017:
tinyurl.com/ya8pqhn2

Von
Astrid Fadler
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.

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