Transformationen
Die Digitalisierung birgt Potenziale und Risiken. Neue technische Innovationen wie etwa 3D-Druck, kollaborative Roboter oder digitale Maschinensteuerung können eine neue wirtschaftliche Aufbruchstimmung einläuten. Andererseits stellt die zunehmende Digitalisierung Unternehmen und ihre Beschäftigten vor große Herausforderungen. Denn neue Formen der Arbeitsorganisation und -gestaltung, die verstärkte Automatisierung von Arbeitsprozessen und die zunehmende räumliche und zeitliche Entgrenzung von Arbeit haben auch weitreichende Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Mitbestimmung. Wie können ArbeitnehmervertreterInnen die Transformation im Zeitalter der Digitalisierung mitgestalten und welche Entwicklungsperspektiven eröffnen sich für die betriebliche Mitbestimmung? Im Frühjahr 2018 diskutierten BetriebsrätInnen und ExpertInnen der ArbeitnehmerInnenvertretung über Mitbestimmung im Zeitalter der Digitalisierung und die Rolle der Beschäftigung.
Mitbestimmung muss sein
Ausgangspunkt war ein neu erschienenes Buch mit dem Titel „Auf der Suche nach Industrie-4.0-Pionieren“, in dem der Buchautor Christoph Mandl über seine Eindrücke und Erfahrungen von acht digitalisierten Industriebetrieben in ganz Europa und den USA berichtete. Er veranschaulichte, was hinter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ steckt, wie diese modernen Fabriken konkret aussehen und was sie für die Menschen bedeuten, die darin arbeiten. Es zeigte sich in seinen Beispielen, dass bei den digitalisierten Industrie-4.0-Betrieben keine Jobs verloren gingen. Jedoch waren Umschulungen, Weiterbildungen sowie die prozessorientierte, menschengerechte Mitbestimmung wesentliche Voraussetzungen für bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzsicherung. Das Fazit des Buchautors: „Ohne Mitbestimmung geht es gar nicht. Man kann nie solche Projekte umsetzen, ohne die Leute einzubeziehen.“
BetriebsrätInnen berichteten über ihre praktischen Erfahrungen im Betrieb. Denn Industrie 4.0 oder Mitbestimmung 4.0 kann nicht von heute auf morgen stattfinden. Sie schilderten einen schrittweisen Prozess der Digitalisierung und die Veränderung von Kompetenzprofilen bei der Einführung neuer Technologien in ihrem Betrieb. „Dabei sollte die Einführung neuer Technologien auch als Chance für menschengerechtere Arbeitsbedingungen gesehen werden“, hieß es. Und es sei auch wichtig, eine Schnittstelle zwischen den Beschäftigten und dem Management zu sein. Denn wenn die Organisation nicht mitmache, wenn die Beschäftigten Angst hätten oder wenn BetriebsrätInnen keine Mitgestaltungsmöglichkeiten hätten, dann werde eine digitale Transformation nicht funktionieren – selbst mit der tollsten Elektronik oder dem lässigsten Roboter nicht. Moderatorin Lara Hagen („Der Standard“) kam zu dem Schluss: „Das Fazit ist ein sehr schönes, wenn man sagt, dass die Mitbestimmung eine Rolle spielt, nämlich, dass Mitbestimmung für den Unternehmenserfolg notwendig ist. Es geht gar nicht ohne.“
Die Aufgaben des Betriebsrats haben sich freilich verändert: Neben dem Aufbau von neuen Kommunikationsmöglichkeiten ist es auch dessen Aufgabe, sich mit einer Fülle von Informationen und Daten zu beschäftigten. Ganz wichtig ist es zudem, dass sich die Betriebsräte untereinander vernetzen. Thomas Stoimaier von Magna Steyr: „Einer weiß nie alles, das ist ein Ding der Unmöglichkeit, speziell in der heutigen Zeit.“ Reinhard Wimmler vom Unternehmen AVL List meinte, dass die Betriebsratsarbeit nicht weniger, sondern mehr Zeit beanspruche und man immer mehr Kommunikationswerkzeuge einsetzen müsse. Darüber hinaus sei eine Absicherung der betrieblichen Mitbestimmung sowie Aus- und Weiterbildung der betrieblichen ArbeitnehmerInnenvertretung eine wichtige Grundlage für ihre Arbeit. Der Bildungsexperte Philipp Schnell (AK Wien) fügte hinzu: „Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt kommt es zu ganz neuen Kompetenzen. Dazu gehören digitale Kompetenzen, fachübergreifende Kompetenzen und Problemlösungskompetenzen. Und diese muss man auch erlernen. Deshalb rückt die Weiterbildungsdebatte ebenfalls stark ins Zentrum der Mitbestimmung.“
Technologie versus Geschäftsmodell
In einer weiteren Diskussionsrunde kamen DigitalisierungsexpertInnen der Gewerkschaften GPA-djp und PRO-GE zu Wort. „Ich glaube, wir müssen bei der Digitalisierung unterscheiden, was Technologie und was Geschäftsmodell ist. Wenn man das Buch genau liest, dann kann man schon sehen: Es geht nicht nur um Technologie, sondern es geht um die Menschen in den Organisationen, die das Unternehmen auch weiterentwickeln“, so Agnes Streissler-Führer (GPA-djp). Und dabei sei es auch die Rolle der Gewerkschaften, „ihre BetriebsrätInnen zu befähigen und sie dabei unterstützen, den digitalen Wandel im Betrieb zu verstehen und zu gestalten“, meinte Kerstin Repolusk von der PRO-GE.
Qualifizierungsnotwendigkeit
Zudem kommt die wirtschaftliche Mitbestimmung wieder stärker aufs Tapet. Denn durch neue Investitionen müssen alle mitreden können. „Viele ArbeitnehmerInnenvertreter im Aufsichtsrat berichten, dass sie besser in die Kostenrechnung eingebunden werden.“ Während die wirtschaftlichen Themen in den letzten Jahren oft ignoriert wurden, rückt auch die Unternehmensstrategie stärker in den Fokus des Aufsichtsrats. Ein weiteres Handlungsfeld betrifft die betriebliche Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten, damit diese nicht VerliererInnen einer neuen industriellen Revolution werden. „In einer immer komplexeren und global vernetzten Welt ist die Qualifizierungsnotwendigkeit ein wesentliches Kriterium, um den ArbeitnehmerInnen neue Perspektiven zu geben und ihnen Zukunftsängste zu nehmen“, so Magna-Betriebsrat Stoimaier.
Schließlich ist neben der technischen auch die soziale Innovation ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Unternehmen. Denn was macht eine Organisation großartig? Es sind die darin arbeitenden Menschen. Aufgrund neuer Organisations- und Investitionsentscheidungen rückt die Corporate Governance – also die Überwachung und Steuerung von Unternehmen – für die in den Aufsichtsrat entsandten BetriebsrätInnen stärker in den Mittelpunkt.
Neue Möglichkeiten
Für die betriebliche Mitbestimmung bietet sich somit eine neue Möglichkeit im Rahmen der Digitalisierung. Die umfangreichen Informations- und Beratungsrechte müssen wahrgenommen werden, denn Fragen wie „In welche Richtung entwickelt sich unser Unternehmen?“ oder „Welche Arbeitsbedingungen sind morgen notwendig?“ werden immer relevanter. „Unternehmen sind dann nachhaltig erfolgreich, wenn Digitalisierung mit einer klar kommunizierten Strategie verbunden ist“, hielt Streissler-Führer fest. „Das funktioniert mit einer mitbestimmten Unternehmenskultur, die auch Freude auf Veränderung macht. Dazu gehört etwa Feedbackkultur oder Fehlerkultur. Aber vor allem soll es die Strategie sein, dass BetriebsrätInnen und Beschäftigte die Digitalisierung mitbestimmen können.“
Simon Schumich
Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/18.
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