Ein klarer Wahlsieg steht für den jetzigen Premier zum ersten Mal seit langem nicht ganz fest. Er greift auf wirtschaftliche Versprechen zurück und behauptet, 2025 werde „das beste Jahr überhaupt“. In seiner Rede zur Lage der Nation kündigte er drastische Steuersenkungen für Familien an. Mütter mit einem Kind sind bis zum 30. Lebensjahr von der Einkommensteuer ausgenommen, wer zwei oder mehr Kinder hat, muss lebenslang keine Steuer zahlen.
Ein Trump Tower für Budapest
Für einen wirtschaftlichen Erfolg sucht Orbán Unterstützung im Ausland: Ende Januar reiste er in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), um dort ein Abkommen mit Stadtentwicklern aus Abu Dhabi zu vereinbaren. Ein Budapester Bezirk sollte im großen Stil neugestaltet werden. Die Bewahrung der ungarischen Architektur war hier eher zweitrangig.
Es ist ein Fehler zu denken,
dass die Orbán-Regierung eine andere Agenda verfolgt,
als sich selbst zu bereichern.
Andrea Pető,
Central European University (CEU)
Es ging nämlich vorrangig um Selbstbereicherung. Vorbild soll das intransparente Großprojekt „Beograd na vodi“ (Belgrade Waterfront) aus Serbien gewesen sein. Gerüchten zufolge, wollte die Eagle Hills Group als Investor dort sogar einen Trump Tower errichten.
Die Regierung musste das Projekt aber dann doch absagen. Die Budapester Stadtverwaltung hatte ein Vorkaufsrecht für das geplante Gelände Rákosrendező. Die Stadt will das Gelände nun kaufen und es mit Sozialwohnungen und öffentlichen Parks an stelle der Wolkenkratzer renovieren.
Einzige Agenda ist Selbstbereicherung
Was es mit der Kooperation illiberaler Staatsführer wie Ungarn und VAE auf sich hat, weiß Andrea Pető von der Central European University (CEU) aus Wien. Die ungarische Politikwissenschaftlerin musste 2020 gemeinsam mit der CEU von Budapest nach Wien ziehen.
Die Zusammenarbeit Orbáns mit Oligarchen aus den VAE, Aserbaidschan, der Türkei oder anderen autoritären Ländern zielt nicht unbedingt darauf ab, deren Geld für Investitionen in Ungarn zu gewinnen, meint die Expertin. Vielmehr soll das Geld in Ungarn mit undurchsichtigen Finanzregulierungen und an EU-Vorgaben vorbei „reingewaschen“ werden.
„Es ist ein Fehler zu denken, dass die Orbán-Regierung eine andere Agenda verfolgt, als sich selbst zu bereichern und an der Macht zu bleiben, um diese Bereicherung fortzusetzen“, sagt Pető im Interview mit Arbeit&Wirtschaft. Die Frage ist nur, wie lange das noch so möglich sein wird.
„Gewerkschaften nach unseren Vorstellungen“
Damit der Widerstand gegen neoliberale Reformen und die Einschränkung der Arbeiter:innenrechte so gering wie möglich bleibt, setzte Orbán schon in seiner ersten Regierung (1998 bis 2002) den restriktiven Ton für den Umgang mit Gewerkschaften.
Wir entscheiden über die Beschäftigten
und über die Gewerkschaften
nach unseren eigenen Vorstellungen.
Diesen Leitsatz verfolgt er bis heute, denn das politische Gewicht der Gewerkschaften wurde immer geringer.
Vergiftetes Klima
Damit ringt auch Balázs Bábel, stellvertretender Vorsitzender der Metallgewerkschaft Vasas Szakszervezeti Szövetség (VASAS). VASAS ist eine Fachgewerkschaft und vor allem im Maschinenbau sowie der Automobilindustrie tätig. Der größte Unterschied zu österreichischen Gewerkschaften ist, dass in Ungarn keine Kollektivvertragsverhandlungen geführt werden, sagt er. Das bedeutet, dass nicht ein Darum haben 98 Prozent aller Angestellte einen Kollektivvertrag – Arbeit&Wirtschaft für die ganze Branche verhandelt wird, sondern dass die Gewerkschaften für jedes Unternehmen einzeln verhandeln müssen.
Umstände, die die Arbeit der Gewerkschaften in einem ohnehin vergifteten politischen Klima nur zusätzlich erschweren. „Wenn Arbeitgeber die Vereinbarungen, die wir mit ihnen abschließen, nicht unterschreiben, greift am Schluss der Staat ein. Und der wird zu ihren Gunsten entscheiden“, sagt Metallergewerkschafter Bábel im Interview.
Hinzu kommt, dass seit 2010 die Einkommensungleichheit zwischen Arm und Reich weiterwächst und die Regierung einen Frontalangriff auf sozial benachteiligte Gruppen vornimmt. Sozialleistungen werden gestrichen, und die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wurde von neun auf drei Monate reduziert. Mit neun Prozent hat Ungarn die niedrigste Unternehmenssteuer in der EU – davon profitieren vor allem ausländische Investoren.
Streikgesetz zum eigenen Nutzen geändert
Über das Streikgesetz übt die Regierung Orbáns zusätzlichen Druck aus. 2022 wehrte sich das Lehrpersonal gegen die niedrigen Löhne und streikte. Die Regierung erwiderte mit Gesetzesänderungen: Beamtete Lehrer:innen müssen an Streiktagen weiterhin unterrichten und Schulen geöffnet bleiben.
Die Lehrgewerkschaften wandten sich im September 2022 mit diesem Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Sie bekamen Recht und der EGMR stellte eine Verletzung der Menschenrechte durch Ungarn fest. Viel geändert hat sich aber nicht.
Auch im privaten Sektor ist es nicht leicht. Wer streiken möchte, muss sich an strenge Vorschriften halten. Die Gewerkschaften müssen eng mit den Arbeitgeber:innen kooperieren und den geplanten Streik mehrere Tage im Voraus ankündigen.
Sinkende Streikanzahl
Die Anzahl an Streiks sei in den vergangenen Jahren stark gesunken, sagt Bábel. „Wir müssen viele Maßnahmen setzen, die dann den Erfolg unseres Streiks begrenzen“, sagt er. Und wer illegal streikt, muss mit hohen Strafen rechnen. Die Kosten tragen die Organisator:innen, also in den meisten Fällen die Gewerkschaften. „Ich würde niemandem empfehlen, ohne ordnungsgemäße rechtliche Vertretung zu streiken. Einen Streik zu organisieren ist nicht leicht und Strafen könnten Gewerkschaften in den Bankrott treiben“, sagt Bábel dazu.
Das Vermögen der Milliardäre wächst immer schneller. Eine hohe Vermögenskonzentration schadet der Demokratie, weil Superreiche mehr Einfluss auf Gesetze und Regierungen nehmen können. Eine gerechtere Steuerpolitik kann dem entgegenwirken.
Bábel und seine Genoss:innen kämpfen weiter, auch wenn es für Ungarns Gewerkschaften über die Jahre immer schwieriger wird. Seine Gewerkschaft setzt sich so gut es geht weiterhin für gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze ein. Dafür kooperieren sie mit der deutschen Metallergewerkschaft IG Metall. Es ist ein kleiner Schritt gegen Orbáns illiberale Politik.
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