„Ich liebe die Monotonie“

Inhalt

  1. Seite 1 - „Ich versuche, möglichst offen zu kommunizieren“
  2. Seite 2 - „Wissen macht die Welt lebendig“
  3. Seite 3 - „Behandelt uns wie normale Menschen“
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Menschen mit Autismus finden nur schwer Jobs oder Praktikumsplätze. Kapsch TrafficCom initiierte ein Pilotprojekt, das unter anderem genau sie sucht. Eine Reportage über ein Leitprojekt für einen diverseren Arbeitsmarkt.

Battle-Tracks im Ohr

Nach dem Meeting zeigt uns Angelo die Bilder, die er bearbeitet, und erzählt, wie wichtig Details sind. Für ihn gibt es nichts Schlimmeres als Chaos. Wird ihm das Geklicke jeden Tag nicht irgendwann fad? „Ich liebe die Monotonie, sie gibt mir Halt im Alltag.“ Dann klickt er wie zum Beweis auf das nächste Bild.

Martin Hartl sitzt auf einem Sofa, lehnt sich über die Lehne und lacht in die Kamera. Er will mit seinem Verein den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung inklusiver gestalten.
Martin Hartl will mit dem Verein Responsible Annotation den Arbeitsmarkt inklusiver gestalten. | © Markus Zahradnik

Im Büroraum sitzen noch drei weitere Angestellte. Sie alle nehmen ihre Kopfhörer nicht ab. Es ist unfassbar ruhig. Für Angelo ist wichtig, dass er seine Konzentration nicht verliert und fokussiert bleibt. Mal fünf Minuten nicht aufpassen geht in seinem Job nicht. Dann passieren Fehler, und die kann die KI gar nicht brauchen. „Für mich ist es ganz wichtig, dass ich bei der Arbeit Musik hören darf“, erklärt der Anfang 20-Jährige. Er zeigt auf seine Kopfhörer. Angelo liebt Computer- und Videospiele. Am liebsten hat er jene mit vielen Details, hoher Schwierigkeit und spannenden Personen. Er taucht gerne in die Zeit des Mittelalters ein, und in diesen Welten muss für ihn jedes Detail stimmen. Er will die Geschichte jedes Schwertes, jeder Rüstung und jeder Seele wissen. „Wissen macht die Welt lebendig“, sagt er in einem Nebensatz. Das ist nicht der letzte philosophische Satz, den er so zwischendurch formuliert.

Angelo ist ein Fan von Geschichte und Philosophie. Er erzählt von seinem Großvater, der Modellautos sammelte und ihm diese Leidenschaft weitergab. Ist Angelo einmal in seinem Element, ist er kaum zu bremsen. Schnell ist er wieder zurück bei den Videospielen, denn deren Musik hört er auch beim Arbeiten. Er reicht mir seine Kopfhörer, ich setze sie auf: Schnelle, treibende Musik erklingt in meinem Ohr. Je nach Laune und Projekt wechselt er zu ruhiger Musik. Was er mich da hören lässt, sei klassische „Boss-Musik“. Oft spielt er auch „Battle-Tracks“ ab. Ich frage ihn, ob er sich beim Arbeiten dann wie in einem Spiel fühlen würde. Er nickt. Ja, so könne ich es formulieren, es gebe Parallelen.

Mobbing in der Schulzeit

Angelo spricht lupenreines Hochdeutsch, und das sei einer der Gründe gewesen, warum er in seiner Kindheit und Jugend im Waldviertel gemobbt wurde. Es sei schwierig für jemanden wie ihn gewesen. Damit meint er seine Diagnose Autismus und Asperger. Menschen im Autismus-Spektrum sind unverhältnismäßig stark von Arbeitslosigkeit betroffen. 80.000 Menschen in Österreich sind Autist:innen, davon hat etwa jede:r Dritte das Asperger-Syndrom. Diese Gruppe besitzt oft spezielle Talente. Von denen könnten Unternehmen profitieren – könnten, denn in der Realität sind 80 Prozent dieser Menschen arbeitslos.

Menschen mit Autismus und Asperger sind nicht alle gleich,
wir sind nicht alle schneller oder intelligenter.
Wir haben genauso unsere Fehler und Eigenheiten wie alle anderen Menschen.

Angelo, Angestellter bei Kapsch TrafficCom

Bereits in der Volksschule verbrachte Angelo die meiste Zeit nicht in seiner Klasse, sondern in der Direktion – nicht, weil er sich falsch verhalten hätte, sondern weil es dort ruhig war, weil ihn dort niemand störte und weil er dort lernen konnte. Gruppen sind für Angelo eine schwierige Konstellation. Small Talk, plaudern, neue Leute kennenlernen: Worüber sich Menschen ohne Autismus selten Gedanken machen, kostet ihn viel Energie. Manchmal glaubte Angelo, es würde ihm vor Schmerzen den Kopf zerreißen, weil er den Kontakt mit seinen Mitschüler:innen nur schwer ertrug. Die Kindheit und Jugend seien die schwierigste Zeit in seinem Leben gewesen. Trotz starker Konzentrationsschwierigkeiten schloss er die Hauptschule ab und wusste damals schon: Er muss weg, er muss nach Wien.

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Über den/die Autor:in

Eva Reisinger

Freie Journalistin und Autorin in Wien. Sie schrieb für den ZEIT-Verlag über Österreich, Feminismus & Hass. War Korrespondentin und lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählte euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist.

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