„Gender Equality ist viel mehr als nur Vereinbarkeit“

Eine Frau erklärt einer Gruppe aus Menschen etwas über Gleichberechtigung. Symbolbild für das Interview mit Marita Haas.
Gleiches Recht für alle? In vielen Unternehmen gelten Männer immer noch als die besseren Führungskräfte. Warum das nicht stimmt, erklärt die Unternehmensberaterin Marita Haas. | © Adobestock/ReeseArcurs/peopleimages.com
Noch immer zu wenig Frauen an der Unternehmensspitze? Die langjährige Beraterin Marita Haas zeigt auf, was Unternehmen daran hindert und wie sie es verändern können.
In vielen Betrieben ist Geschlechtergleichheit noch immer eine Herausforderung. Zwar gibt es Fortschritte – wie etwa gesetzliche Frauenquote in den Aufsichtsratsgremien großer börsennotierter Unternehmen –, doch in den Chefetagen sitzen nach wie vor überwiegend Männer. Das will die Unternehmensberaterin Marita Haas ändern.

Marita Haas
ist Unternehmensberaterin und Coach. Sie spricht und schreibt über Ungleichheiten in der Arbeitswelt und wie man sie beseitigt. Auf Basis ihres wissenschaftlichen Hintergrundes hat sie mehr als 70 Organisationen, Start-Ups und NGOs bei Transformationsprozessen beraten.
Arbeit&Wirtschaft: Was bedeutet Gender Equality?

Marita Haas: Gender Equality bedeutet für mich gleichberechtigte Teilhabe und Chancen, unabhängig vom Geschlecht. Egal, ob ich mich als weiblich, männlich oder nicht-binär definiere: Ich sollte die gleichen Möglichkeiten haben, in einer Organisation zu wachsen, befördert und angemessen bezahlt zu werden und den nächsten Karriereschritt zu machen.

Portrait von Unternehmensberaterin Marita Haas beim Interview zu Gender Equality.
„Gender Equality bedeutet für mich gleichberechtigte Teilhabe und Chancen, unabhängig vom Geschlecht“, so Marita Haas. | © pamelarussmann.at  
Welche Rolle spielt Ungleichbehandlung in Organisationen?

Eine große Rolle, besonders dann, wenn es um die Besetzung bestimmter Berufe geht. Oft bevorzugen wir – ganz unbewusst – Menschen eines bestimmten Geschlechts, weil wir ihnen bestimmte Fähigkeiten zuschreiben. Männer sehen wir tendenziell stärker in analytischen Berufsfeldern, Frauen eher in pflegenden und erzieherischen. Diese Denkmuster beeinflussen nicht nur, wen wir einstellen, sondern auch, wen wir fördern oder für Führungspositionen in Betracht ziehen.

Wie sieht es mit Frauen in Führungspositionen aus?

In den Teamleitungen der Unternehmen sehe ich heute mehr Gleichberechtigung – vor allem, weil sich viele Betriebe verjüngen und damit ein stärkeres Bewusstsein für Gender Equality schaffen. In den Aufsichtsräten sorgen verpflichtende Quoten dafür, dass es mehr Frauen in diesen Positionen gibt. Aber: Nur neun Prozent der Top-Managementpositionen in Österreich sind von Frauen besetzt. Daran hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert.

Gesetzliche Quoten
Seit dem Jahr 2018 gibt es in Österreich eine verbindliche Quote von mindestens 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsratsgremien großer börsennotierter Unternehmen. In diesem Zeitraum ist der Frauenanteil von 22,4 Prozent auf 36,5 Prozent angewachsen. Quotenlose Unternehmen stehen bei 20,3 Prozent Frauenanteil im Aufsichtsrat. Für den Vorstand gilt diese Quote bisher nicht.
Warum eigentlich?

Männer werden nach wie vor als durchsetzungsstark und besonders geeignet für Führungspositionen gesehen. Dabei wissen wir heute, dass gute Führung auch Vertrauen und Empathie erfordert. Ein guter Umgang mit Menschen und Weitblick sind entscheidende Eigenschaften, die unabhängig vom Geschlecht sind. Außerdem achten Organisationen bei den Themen Personalrekrutierung und Beförderungen zu wenig auf Gleichberechtigung.

Was können Unternehmen für ihre Mitarbeiterinnen tun? Reicht es aus, nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern?

Viele Betriebe machen den Fehler, sich nur auf das Thema Vereinbarkeit zu konzentrieren. Das heißt, sie eröffnen einen Betriebskindergarten und ermöglichen Teilzeitarbeit, um den Wiedereinstieg nach einer Karenz zu erleichtern. Das ist grundsätzlich gut und wichtig, aber Teilzeit bedeutet auch Gehaltseinbußen, die nicht mehr aufgeholt werden können. Und selbst wenn Frauen von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle umsteigen, verdienen sie oft noch rund zehn Prozent weniger. (Anm. d. Red.: Frauen verdienen um 18,4 Prozent weniger als Männer.) Genau deshalb sollten wir Mitarbeiter:innen entlang ihrer gesamten Karriere – von der Auswahl über Beförderung und Bezahlung bis hin zur Kündigung – stets gleich behandeln und dabei immer hinterfragen, ob bestimmte Personen oder Personengruppen bevorzugt oder benachteiligt werden.

Unternehmen haben ihren Mitarbeitenden gegenüber auch die Verantwortung, ein gutes und sicheres Arbeitsklima zu schaffen. Wann scheitert das?

Leider ist Sexismus am Arbeitsplatz immer noch Realität. Sprüche über das Aussehen, Ausgrenzung bei Beförderungen oder im schlimmsten Fall sogar sexuelle Übergriffe kennen die meisten Frauen nur zu gut. Im Gegensatz zu früher wird Sexismus aber nur noch selten offen ausgesprochen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Die meisten Frauen stoßen auf der klassischen Karriereleiter an eine sogenannte „gläserne Decke“. Sie stellen fest, dass Männer oft unter sich Beförderungen aushandeln, während sie es schwer haben, in diesen Kreis der Entscheidungsträger vorzudringen. Zudem wird oft argumentiert, dass Führung in Teilzeit nicht möglich sei. Streng genommen ist das auch sexistisch: Es wird davon ausgegangen, dass eine „echte“ Führungskraft nur eine Person sein kann, die 40 Stunden pro Woche im Unternehmen arbeitet. Das ist stark mit dem klassischen, männlichen Arbeits- und Lebensprofil verknüpft.

Wie können Betriebsratsmitglieder ihre Kolleg:innen bei möglicher Ungleichbehandlung unterstützen?

Der Betriebsrat ist hier ein wenig genutzter Hebel mit viel Potenzial. Mit Betriebsvereinbarungen lässt sich zum Beispiel ein Bonifikationssystem auf die Beine stellen, das dafür sorgt, dass Boni fairer verteilt werden. Denn oft hängen diese vom Grundgehalt ab, und da Frauen für die gleiche Arbeit häufig weniger verdienen oder in Teilzeit arbeiten, sind sie in diesem Punkt benachteiligt. Wenn ein Betriebsrat paritätisch mit Frauen und Männern besetzt ist, gelingt es eher, reale Verbesserungen für die weibliche Belegschaft zu erzielen. Durch ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis wird das Bewusstsein für bestehende Ungleichheiten gestärkt und unterschiedliche Perspektiven können in die Entscheidungsfindung einfließen.

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Über den/die Autor:in

Nadja Riahi

Nadja Riahi arbeitet als freie Journalistin und Moderatorin in Wien. Sie schreibt über gesellschaftspolitische Fragestellungen der Gegenwart und Zukunft, soziale Ungerechtigkeiten und die Arbeitswelt.

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