Dominik Bernhofer (34) ist seit einem Jahr Leiter der steuer- und finanzpolitischen Abteilung in der Arbeiterkammer Wien. Der gebürtige Oberösterreicher hat an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert und war in der Oesterreichischen Nationalbank als Europaökonom tätig, bevor er vor dreieinhalb Jahren ins Bundeskanzleramt gewechselt ist – sein Schwerpunkt dort war die Steuerpolitik.
Wie sieht eine faire Steuerreform aus dem Blickwinkel der ArbeitnehmerInnen aus?
Wir haben im Vorfeld fünf Kriterien für eine gerechte Steuerreform formuliert. Erstens: Wie ist die Entlastung verteilt? Wir sagen: 80 Prozent der Steuern und Abgaben kommen von den ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen und KonsumentInnen, daher soll diese Gruppe auch 80 Prozent der Steuersenkungen bekommen – das ist eine Grundbedingung. Der zweite Punkt betrifft die Tarifsenkung selbst, wo die kleineren und mittleren Einkommen besonders zu entlasten sind. Auch weil Lebensmittel, Wohnen & Co immer teurer werden und daher, drittens, die Steuerreform die Kaufkraft stärken muss. Viertens ist die Unternehmensbesteuerung in der derzeitigen Form sehr ungerecht ausgestaltet: Multinationale Konzerne zahlen um 30 Prozent weniger Steuern als Klein- und Mittelbetriebe (KMU). Die Steuerreform wird auch daran zu messen sein, ob man hier für mehr Wettbewerbsgerechtigkeit sorgt. Und der fünfte Punkt ist die Frage der Gegenfinanzierung. AK-Chefin Renate Anderl hat das sehr gut formuliert: „Eine gerechte Steuerreform zeigt sich nicht nur daran, wer was bekommt, sondern auch daran, wer dafür bezahlt.“
Es kann nicht sein, dass die ArbeitnehmerInnen Sparpakete hinnehmen müssen, um eine Steuersenkung zu finanzieren, von der dann primär andere profitieren.
Es kann nicht sein, dass die ArbeitnehmerInnen Sparpakete hinnehmen müssen, um eine Steuersenkung zu finanzieren, von der dann primär andere profitieren. Wir fordern eine gerechte Gegenfinanzierung, damit sich die Leute am Ende die Entlastung nicht selbst bezahlen. Eine große Gefahr sehen wir hier bei der geplanten Senkung der Sozialversicherungsbeiträge für GeringverdienerInnen. Natürlich sollen auch die kleinen Einkommen von der Steuerreform profitieren, aber die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge ist der falsche Weg. Den Beiträgen stehen Leistungen gegenüber, und die Gefahr ist groß, dass sich die Versicherten diese Steuersenkung durch niedrigere Leistungen, Selbstbehalte oder eine schlechtere Gesundheitsversorgung selbst bezahlen.
Also Sie befürchten eine Steuerreform zugunsten der ArbeitgeberInnen?
Die Regierungsparteien haben im Wahlkampf große Versprechungen gemacht und eine Steuerreform im Ausmaß von 12 bis 14 Milliarden Euro versprochen. Entscheidend ist, wie sich die Entlastung verteilt. Und die Unternehmen steigen diesmal extrem gut aus. Im historischen Vergleich hat sich Österreichs Steuerpolitik fast immer am Verhältnis 80:20 zugunsten der ArbeitnehmerInnen orientiert. Eine Ausnahme war die Steuerreform Schüssel/Grasser 2004/05, bei der die Unternehmen fast die Hälfte der Steuersenkung bekommen haben. Und die zweite Ausnahme ist die Steuerreform jetzt, wo wir damit rechnen, dass auf die Unternehmen gut 40 Prozent der Entlastung entfallen – ein unverhältnismäßig hoher Anteil. Während speziell große Unternehmen von der Senkung der Körperschaftssteuer profitieren werden, geht sich für die Arbeitnehmerinnen möglicherweise nicht einmal der Ausgleich der kalten Progression aus. Das wäre aber das Minimum dessen, was eine ausgewogene Steuerreform aus Sicht der ArbeitnehmerInnen bringen sollte.
Die beiden größten Einnahmeposten für den österreichischen Staat sind ja die Umsatzsteuer mit einem Anteil von 34,1 Prozent und die Lohnsteuer mit 30,4 Prozent. Warum ist es so schwierig, hier anzusetzen und den Steuersatz zu senken, was ja den unteren Einkommensschichten zugutekäme?
Bei der Lohnsteuer wird zwar angesetzt, nur ist offen, ob den ArbeitnehmerInnen überhaupt die kalte Progression ausgeglichen wird. An der Umsatzsteuer wird in der Regel nicht viel geschraubt, weil nicht sicher ist, dass eine Senkung an die KonsumentInnen weitergegeben würde.
Ist damit auch der SPÖ-Vorschlag einer Mietensenkung durch Umsatzsteuerbefreiung vom Tisch?
Nein. Zur Umsetzung des SPÖ-Vorschlages braucht es aber eine Änderung der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, und dafür müsste sich die Bundesregierung einsetzen, was sie nicht tut. AK-Präsidentin Anderl hat deshalb einen „Wohnbonus“ für die Lohn- und Einkommensteuer vorgeschlagen: Ein Teil der Wohnkosten bis zu 500 Euro jährlich soll künftig von der Steuer abgesetzt werden können. Davon profitieren vor allem MieterInnen und EigenheimbesitzerInnen mit laufenden Kreditverpflichtungen, die zwei Gruppen mit den höchsten Wohnkosten. Hier hätte man auch keine Inzidenzprobleme; das heißt, derjenige, der die Wohnkosten trägt, erhält auf jeden Fall die Entlastung – und es gäbe auch keine EU-rechtlichen Restriktionen, man könnte das jederzeit umsetzen.
Ein Teil der Wohnkosten bis zu 500 Euro jährlich soll künftig von der Steuer abgesetzt werden können. Davon profitieren vor allem MieterInnen und EigenheimbesitzerInnen mit laufenden Kreditverpflichtungen, die zwei Gruppen mit den höchsten Wohnkosten.
Wir wissen aus Umfragen, dass neben der Entlastung des Arbeitseinkommens die Linderung der Wohnkosten für die Mehrheit der Menschen das zweitwichtigste Anliegen ist – lange vor einer Ökologisierung des Steuersystems und lange vor einer Senkung der Unternehmenssteuern zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes. Deshalb müssen wir jetzt noch die Zeit nützen, um für diesen Vorschlag bei der Regierung Werbung zu machen.
Kommen wir zur Vermögenssteuer. Wäre sie eine Frage „zivilisierter Gesellschaft“, wie es in Teilen der SPÖ heißt?
Vermögensbezogene Steuern kann man moralisch und ökonomisch begründen. Auch die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Anm.) und die Europäische Kommission empfehlen Österreich in puncto Steuerstruktur, die Steuern auf Arbeit zu senken und Steuern auf das Vermögen und den fossilen Energieverbrauch anzuheben. Das wird gemeinhin unter einer Steuerstrukturreform diskutiert, die aus Sicht dieser Experten positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung wirkt. Weil höhere Steuern auf Vermögen kaum der Wirtschaftsaktivität schaden, während das hohe Steuern auf Arbeit sehr wohl tun. Diese Empfehlungen zu einer Steuerstrukturreform spiegeln sich überhaupt nicht in den Plänen der Bundesregierung wider.
Es gibt überhaupt keine empirische oder wissenschaftliche Evidenz, dass die Abgabenquote irgendeine Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum hätte – das ist also ökonomisch überhaupt nicht fundiert.
Im Gegenteil, die Regierung fokussiert die Diskussion völlig sinnbefreit auf eine Senkung der Abgabenquote, koste es, was es wolle. Nur gibt es überhaupt keine empirische oder wissenschaftliche Evidenz, dass die Abgabenquote irgendeine Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum hätte – das ist also ökonomisch überhaupt nicht fundiert. Hingegen eine Steuerstrukturreform hätte sehr wohl Effekte. Die Bundesregierung setzt hier eindeutig aufs falsche Pferd.
An der Körperschaftssteuer (KÖSt) fällt auf, dass der Steuersatz innerhalb der letzten 40 Jahre fast halbiert wurde in Österreich, aber auch international. Im gleichen Zeitraum sind die Gewinne und Dividenden der Konzerne, die überhaupt unter die Körperschaftssteuer fallen, deutlich gestiegen. Das passt nicht zusammen, oder?
Ja, das würde ich so sagen, das ist eine gute Analyse. Insofern halte ich diese Politik für verfehlt. Viel vernünftiger ist es, den europaweiten Mindeststeuersatz einzufordern, wie das Deutschland und Frankreich schon tun, weil wir den Steuerwettbewerb mit Irland und Ungarn nicht gewinnen können. Die Vorstellung, durch die Senkung der KÖSt kämen die Gewinne und Investitionen nach Österreich, ist eine Illusion, weil Irland und Ungarn immer noch einen niedrigeren KÖSt-Satz haben als wir. Hier geht’s nur darum, Geld zu verteilen, das ist ein klassisches Steuergeschenk. Man sieht ja auch, wer davon profitiert: Laut Statistik Austria stammen 80 Prozent des KÖSt-Aufkommens von den gewinnstärksten fünf Prozent der Betriebe. Fast 50 Prozent kommen von den 300 bis 350 größten Unternehmensgruppen des Landes. Also das ist hoch konzentriert. Wenn jetzt die KÖSt um 1,5 Milliarden Euro gesenkt wird, gehen 80 Prozent davon an die gewinnstärksten fünf Prozent der Unternehmen des Landes.
Laut Statistik Austria stammen 80 Prozent des KÖSt-Aufkommens von den gewinnstärksten fünf Prozent der Betriebe. Fast 50 Prozent kommen von den 300 bis 350 größten Unternehmensgruppen des Landes. Also das ist hoch konzentriert.
Was soll das bringen? Die haben jetzt schon genug Geld, Zugang zu Kreditlinien, Anleihemärkten und keine Finanzierungsprobleme. Jedes Investitionsprojekt, das aus ihrer Sicht betriebswirtschaftlich rentabel ist, wird ohnedies realisiert. Die Steuersenkung werden sie dankbar mitnehmen, zum großen Teil an ihre Aktionäre ausschütten und den Rest aufs Konto legen. Dagegen haben die KMUs, die Masse der Betriebe in unserem Land, wenig bis nichts von dieser KÖSt-Senkung. Vor allem auch weil die große Mehrheit von ihnen einkommensteuerpflichtige Selbstständige sind und per Definition nicht von einer reduzierten KÖSt profitieren. Man kann das auch Klientelpolitik nennen, wirtschaftspolitisch sinnvoll ist es jedenfalls nicht. Und wenn sogar die Agenda Austria (industrienaher Thinktank, Anm.) meint, eine KÖSt-Senkung habe keine hohe Priorität, sollte das der Regierung zu denken geben.
Stichwort Ökologisierung des Steuersystems: Diesbezüglich scheint es kaum Vorgaben in der Steuerreform zu geben. Wie könnte man das angehen?
Was die Regierung in Richtung ökologischer Anreize vorgelegt hat, ist enttäuschend, etwa die Abschaffung der Eigenstromsteuer, die ohnehin nur Bauern und Unternehmer betrifft. Die große Ökowende ist so nicht zu schaffen. Die Schwierigkeit bei der Ökologisierung der Steuern ist: Ökosteuern sind im Wesentlichen Massensteuern. Etwa die Mineralölsteuer (MÖSt) ist eine klassische Mittelschichtssteuer; denn ganz oben spielt sie keine Rolle mehr, weil das Einkommen so hoch ist, aber auch nicht in den untersten Einkommensschichten, weil die sich gar kein Auto leisten können. Wenn man so eine Steuer erhöht und man die verteilungspolitische Komponente außer Acht lässt, geschieht das, was in Frankreich mit dem Aufstand der „gelben Westen“ passiert ist.
Es hängt alles zusammen, ist komplex und kompliziert, wie wir spätestens seit Fred Sinowatz wissen – wenn der Regierung die Klimaziele wichtig wären, könnte sie das durch Millionärs- oder Konzernsteuern kompensieren und so gegensteuern?
Ökosteuern und sozialer Ausgleich schließen sich nicht aus. In dem Zusammenhang ist immer wieder von einem „Ökobonus“ die Rede. Wenn die Regierung z. B durch eine Erhöhung der Diesel-MÖSt x Milliarden Euro mehr einnimmt, könnten diese als „Ökobonus“ an die Steuerpflichtigen rückverteilt werden. Der Ansatz hat aber auch seine Grenzen, denn für PendlerInnen, die auf ihr Auto angewiesen sind, würde es dennoch zu Mehrkosten kommen. Das heißt, Ökosteuern müssten in eine Steuerstrukturreform eingebettet werden, wo man auch bei der Lohn- und der Einkommensteuer ansetzt, um sicherzustellen, dass es hier eine soziale Kompensation und keine Verlierergruppen gibt.
Ökosteuern müssten in eine Steuerstrukturreform eingebettet werden, wo man auch bei der Lohn- und der Einkommensteuer ansetzt, um sicherzustellen, dass es hier eine soziale Kompensation und keine Verlierergruppen gibt.
Zweitens müsste in den öffentlichen Verkehr investiert werden. Auch aufgrund der flexibler werdenden Arbeitszeiten. Es bräuchte attraktivere Alternativen, auf die die Leute dann gerne umsteigen. In dem Zusammenhang plädiert die AK z. B für eine Attraktivierung des „Job-Tickets“: Die Unternehmen stellen den ArbeitnehmerInnen steuerfrei eine Öffi-Karte, in Wien zum Beispiel die Jahreskarte der Wiener Linien, zur Verfügung. Das wird derzeit noch zu wenig genützt und könnte weiter ausgebaut werden, kombiniert mit mehr Investitionen in den öffentlichen Verkehr.
Das österreichische Steuersystem ist über Jahrzehnte gewachsen und wirkt total überkommen – wäre es für den Staat nicht längst an der Zeit, von Konzernen, die jährlich Gewinne und Dividenden ausschütten, ein höheres Steuervolumen einzunehmen, statt auf Massensteuern abzustellen?
Die Bundesregierung plant einen nationalen Alleingang bei der Digitalsteuer. Dem gegenüber sind wir grundsätzlich aufgeschlossen. Nur was jetzt am Tisch liegt, ist lediglich eine Ausdehnung der Werbeabgabe auf das Internet – das ist gut und richtig, aber noch keine Digitalsteuer. Denn damit bleiben nach wie vor viele Internet-Konzerne steuerfrei, z. B Plattformen wie Amazon, Uber, Airbnb – und die Wettbewerbsprobleme gegenüber den österreichischen KMUs, dem Einzelhandel, Taxiunternehmen, Hotels, bleiben ungelöst. Eine neue, gerechtere Struktur der Steuereinnahmen sollte tatsächlich die zentrale Frage der Steuerreform sein, ist es aber nicht.