Also landete Feichtinger nach ihrem Schulabschluss, nach dem „Spezialfall Mädchengymnasium“, wie sie das mit einem Schmunzeln nennt, als Einrichtungsberaterin im Einzelhandel. „Eigentlich nicht so meine Sparte“, sagt sie, aber besser als nichts. Mit einem Anteil von knapp 66 Prozent zählt der Handel zu einem der „klassischen Frauenberufe“. Das ist kein Zufall und kein Naturgesetz. Im Gegenteil: Dabei geht es um Geld, Macht und Einfluss. Nach wie vor verdienen Frauen in Österreich durchschnittlich deutlich weniger als Männer (Gender-Pay-Gap) und beziehen im Schnitt weniger Pension (Pension-Gap). Im Einzelfall wurzelt die Ungleichbezahlung oft schon im Kindergarten, gesamtgesellschaftlich reicht sie bis ins 18. Jahrhundert zurück.
Vom Puppenspiel in die Altenpflege
Die Standarderklärung für die Unterteilung in sogenannte Männer- und Frauenberufe lautet: Während sich Männer mehrheitlich für Technik interessieren, würden sich Frauen mit fürsorglichen Tätigkeiten wohler fühlen. Schon Jungs spielen schließlich lieber Fußball und LEGO, während Mädchen Schminktisch und Barbie bevorzugen. Vermeintlich natürliche Interessen würden also den späteren Berufsweg bereits vorskizzieren. Der Schritt von der LEGO-Burg in die Automobilindustrie, vom Puppenspiel in die Altenpflege erscheint konsequent und logisch.
Christian Berger, Ökonom bei der Arbeiterkammer Wien und ehemaliger Sprecher des österreichischen Frauen*Volksbegehrens, hegt beträchtliche Zweifel an dieser Erklärung. Die Rede von den „natürlichen Interessen“ sei lediglich ein Argument zur Verschleierung von Interessen und Herrschaftsansprüchen. „Interessen“, so Berger, „sind zuvorderst eine Frage der Sozialisation.“ Wie werden Frauen in Kultur, Fernsehen oder Werbung dargestellt? Welche weiblichen Vorbilder gibt es in der Politik, im Sport oder in der Wirtschaft? In welchen Berufen sehen Kinder ihre Eltern und Verwandten?
Laut Statistik Austria begegnen Kinder in Krippen und Kleinkindeinrichtungen zu 98 Prozent einer weiblichen Pädagogin, während sie später an einer Schule mit technischem oder gewerblichem Schwerpunkt in knapp drei Viertel der Fälle von einem Mann unterrichtet werden.
Was soll an dem hier bitte männlich oder weiblich sein?
Carmen Feichtinger, „Digital Pioneers“
Game Boy, Nintendo, Playstation und Computer begleiten Carmen Feichtinger schon seit Kindesbeinen an. Die männlich dominierte Gamer-Szene ist genauso Teil ihrer Sozialisation wie das Aufwachsen inmitten von Brüdern und Cousins. Ihren Job als Einrichtungsberaterin hängte sie schnell an den Nagel. Die heute 21-Jährige zog von Ried nach Linz, um dort am Projekt „Digital Pioneers“ teilzunehmen, das die AK durch den Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 unterstützt. In einem leicht staubigen Trakt der Linzer Tabakfabrik bereitet sie sich seit Anfang Oktober auf ihr zukünftiges Berufsleben in der Tech-Branche vor.
Zwischen Laptops und Getränkeflaschen liegen Netz- und USB-Kabel auf dem Tisch, an den Wänden hängen Plakate mit Überschriften wie „Big Data“, „POP3/IMAP/SMTP“, über Social-Media-Strategien und die Marketing-Kampagne von IKEA. Nach Abschluss des achtwöchigen Lehrgangs geht es für die ausschließlich weiblichen Teilnehmerinnen für acht Monate zur Ausbildung in ein Unternehmen.
Ob sie jemals das Gefühl hatte, sie sei als Frau für so etwas nicht geeignet? „Nein.“ Feichtinger stockt kurz. Und beginnt dann zu lachen. Das mit der Unterscheidung in Frauen- und Männerberufe habe ihr noch nie eingeleuchtet. „Was soll an dem hier bitte männlich oder weiblich sein?“
Dass Feichtinger eine Ausnahme ist, das weiß auch Anna Steiger, Vizerektorin für Personal und Gender an der Technischen Universität Wien. An ihrer Universität sind in den klassischen Ingenieursstudiengängen, Elektrotechnik oder Maschinenbau, knapp zehn Prozent der Studierenden weiblich. Während beispielsweise im Architekturstudium, in dem es vermeintlich mehr um künstlerische Begabung geht, mehr als die Hälfte Frauen sind.