Oder die Finanzierung läuft über die Arbeitgeber. Ihre Beiträge, zum Beispiel für den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), sind ebenfalls abhängig von der Höhe der Löhne/Gehälter der bei ihnen beschäftigten ArbeiterInnen und Angestellten. Daneben werden auch Steuern zur Finanzierung der Sozialleistungen verwendet – der größte Teil davon wird von den arbeitenden Menschen bezahlt, vor allem in Form von Lohnsteuer und Mehrwertsteuer.
Lohnquote geht zurück
Dieser Weg der Finanzierung hat sich lange Zeit bewährt, doch seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Lohnquote von über 74 Prozent auf unter 70 Prozent gesunken, mit zwischenzeitlichen Tiefstwerten von nur mehr knapp über 64 Prozent.
Der Anteil der arbeitenden Menschen am Volkseinkommen geht zurück, gleichzeitig wird die Gesellschaft immer reicher. Es wäre also nur gerecht, wenn diejenigen mehr beitragen müssten, die vom gestiegenen Reichtum profitieren. Das ist derzeit nicht der Fall. Die Abgabenbelastung des Faktors Arbeit beträgt 43 Prozent, beim Kapital sind es hingegen gerade einmal 29 Prozent (2014). Kurz gesagt: Die Absicherung von Risiken wie Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit und Unfällen wird von einem immer weiter schrumpfenden Anteil des Volkseinkommens finanziert.
Nun muss eine Gewerkschaft daran arbeiten, diesem Trend entgegenzuwirken, etwa durch die Forderung nach regelmäßigen Lohn-/Gehaltserhöhungen, höheren Mindestlöhnen in den Kollektivverträgen, mehr (Vollzeit-)Arbeitsplätzen oder gerechter und höherer Besteuerung von Gewinnen und großen Vermögen. Parallel dazu wird schon seit den 1970er-Jahren darüber diskutiert, mehr als nur die Löhne als Grundlage zur Finanzierung der sozialen Absicherung heranzuziehen.
Deshalb wäre die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe ein sinnvolles Instrument. Sie würde neben den Löhnen auch von zum Beispiel den Gewinnen, Zinsen oder Investitionen in Maschinen einen gerechten Beitrag verlangen. Die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens soll dafür entscheidend sein, nicht allein die Lohnsumme. Von seinen GegnerInnen wird die Wertschöpfungsabgabe als „Retro-Modell“ und als „Maschinensteuer“ geschmäht. Doch stellt sich die Frage: Warum soll eine Besteuerung von Maschinen und Robotern ungerechter sein als die Besteuerung von arbeitenden Menschen? Also eine „Menschensteuer“? Wenn Maschinen die Menschen von ihren Arbeitsplätzen verdrängen, ist es nur gerecht, dass kapitalintensive Betriebe höhere Sozialbeiträge bezahlen.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Aber die Beitragsgrundlage zur Finanzierung des Sozialstaates trocknet nicht nur aus, weil Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt werden. Ein weiteres Problem sind Firmen, die ArbeitnehmerInnen durch Menschen in prekären und atypischen Arbeitsverhältnissen oder durch Scheinselbstständige ersetzen. Diese Konstrukte bewirken, dass arbeitskostenabhängige Abgaben eingespart werden und viel weniger Geld in das soziale Sicherungssystem einbezahlt wird. Trotz der niedrigeren Beiträge und der entsprechend geringeren Einnahmen der Sozialversicherung haben prekär Beschäftigte (die oft in diese Arbeitsverhältnisse gedrängt werden) Anspruch auf Sozialleistungen. Wenn sie etwa krank werden, haben sie (zumindest größtenteils) den gleichen Anspruch auf eine Behandlung.
Es ist wichtig, dass jeder am Sozialstaat teilhaben kann, doch die Beiträge dafür müssen gerechter werden. Ein Beispiel ist der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF): Wenn eine Firma einen Angestellten hat, zahlt sie für ihn FLAF-Beiträge. Wenn sie ihn aber auf Werkvertragsbasis beschäftigt, zahlt sie derzeit gar nichts ein. Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, das aus dem FLAF finanziert wird, gäbe es aber in beiden Fällen in voller Höhe. Die Umstellung des Systems in Richtung Wertschöpfungsabgabe hier zu beginnen wäre also besonders naheliegend. Daneben profitieren Bauern/Bäuerinnen und Selbstständige von Geldern des FLAF, obwohl dieser fast ausschließlich aus Beiträgen gespeist wird, die an die Lohn-/Gehaltssumme der Unselbstständigen anknüpfen. Wenn die Selbstständigen (und auch die Bauern/Bäuerinnen) künftig mehr einbezahlen müssten, wäre das nur gerecht.
Steuer-/Abgabenquote bleibt gleich
Durch die Wertschöpfungsabgabe wird der Steuer-/Abgabenbeitrag, den die Wirtschaft leistet, insgesamt nicht angehoben. Es käme aber zu Umverteilungen zwischen den Branchen, denn arbeitsintensive Betriebe würden weniger bezahlen. Wer große Gewinne erzielt und dafür nur wenig Personal braucht, müsste mehr beitragen. Solche Maßnahmen werden von UnternehmensvertreterInnen normalerweise bejubelt, Stichwort Lohnnebenkostensenkung.
Von neoliberaler Seite ist immer zu hören, dass eine Umverteilung zwischen den Branchen nicht genüge. Es sollte nämlich insgesamt die Steuer-/Abgabenquote gesenkt werden, weil der Staat ohnehin schon viel zu viel abkassieren würde und Österreich im EU-Vergleich eine der höchsten Quoten haben würde. Länderübergreifende Vergleiche der Abgabenquote sind allerdings nur bedingt zulässig, denn die Abgabenquote allein hat keine Aussagekraft darüber, wer wie viel an Abgaben bezahlt. Die Quote enthält nicht nur Steuern, sondern zum Beispiel auch Beiträge zur Sozialversicherung – allerdings nur Pflichtbeiträge an öffentliche Institutionen. Wenn ein Staat nun kein öffentliches Pensionssystem hat, sondern die Menschen gezwungen sind, privat für das Alter vorzusorgen, dann hat dieses Land auf dem Papier eine niedrigere Abgabenquote. Mehr Geld zum Leben bleibt den Menschen dadurch aber natürlich nicht.
Aus einem weiteren Grund ist es sinnlos, die Abgabenquote der einzelnen Staaten einfach in einer Säulengrafik zu vergleichen. Es gibt etwa Staaten, die erst Steuern und Abgaben einheben, um mit den Steuereinnahmen Sozialleistungen zu finanzieren, die dann den Menschen zur Verfügung gestellt werden, entweder allen oder denjenigen mit besonderem Bedarf. Andere Staaten hingegen unterstützen einzelne Menschen, indem sie ihnen gezielt Steuerermäßigungen gewähren, zum Beispiel in Form von Steuerfreibeträgen für Familien. (Vom zweiten Modell profitieren nicht unbedingt diejenigen, die es nötig hätten, sondern diejenigen, die genug verdienen, um Steuern zahlen zu können.) Im ersten Fall ist die Abgabenquote höher, im zweiten Fall niedriger – über die effektive Belastung der Menschen sagt das jedoch gar nichts aus.
Die Wertschöpfungsabgabe ist eine fortschritts- und innovationsfeindliche Maschinensteuer, lautet ein verbreitetes Totschlagargument. Es ist aber keineswegs so, dass technologieintensive Branchen zu den Verlierern der Systemumstellung zählen würden, denn diese haben in Forschung und Entwicklung, aber auch in der Produktion hohe Personalkosten. Dadurch würde etwa die Telekommunikationsbranche auf die Gewinnerseite fallen. Profitieren würden ansonsten vor allem personalintensive Niedriglohnbranchen wie Einzelhandel, Autowerkstätten, Bewachung und Reinigung. Das wäre arbeitsmarktpolitisch durchaus sinnvoll, da die Arbeitslosigkeit vor allem im Bereich der Niedrigqualifizierten zuletzt stark angestiegen ist.
Modell für das 21. Jahrhundert
Als das Sozialsystem in Österreich im 19. Jahrhundert entstand, gab es fast nur arbeitsintensive Branchen. Deshalb war es damals nur logisch, die Löhne als Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Nicht erklärbar ist hingegen, wenn nach 200 Jahren des wirtschaftlichen Wandels immer noch daran festgehalten wird. Die Wertschöpfungsabgabe wäre genau das Richtige, um dieses „Retro-Model“ ans 21. Jahrhundert anzupassen.
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Georg Kovarik
ÖGB-Referat für Volkswirtschaft
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.
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