Draufzahlen beim Arbeiten: Lohndumping in Österreich Alltag

Fotos (C) Markus Zahradnik
Gut versteckt, schlecht für uns alle: Obwohl in Österreich 98 Prozent der Arbeitnehmer:innen mit einem Kollektivvertrag abgesichert sind, grassieren Lohndumping und Unterbezahlung.
Unbezahlbare Momente: Ein ganz gewöhnlicher Morgen, irgendwo in Österreich. Das Kind wird für den Kindergarten fertig gemacht. Aus der Tür raus und schnell rein in die Bäckerei. Beim Warten auf den Bus dröhnt die Baustelle nebenan. Nun noch einen Kaffee im Sitzen, dabei im Hotel für den Sommerurlaub anrufen, um etwas abzuklären. Dann geht es ab zum Zahnarzt. Nach diesem unangenehmen Besuch startet man etwas verspätet im Homeoffice. Was man wissen muss: In all diesen Momenten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, auf Menschen zu treffen, die nicht den kollektivvertraglich zustehenden Mindestlohn bekommen. Die von ihrem Einkommen kein Auskommen finden. Möglicherweise also man selbst. Denn Lohndumping ist in Österreich Alltag

Lohndumping hat in Österreich System

In Österreich haben die meisten Arbeitnehmer:innen einen Kollektivvertrag. Theoretisch, denn es kann sein, dass die erwähnten Berufsgruppen trotzdem nicht entsprechend entlohnt werden. Kindergartenpädagog:innen bringt ein ansprechendes Mindestbruttogehalt auf Basis Vollzeit nichts, wenn an einem Standort oder in der Region keine Vollzeitstellen angeboten werden. Selbiges betrifft auch Verkäufer:innen in der Bäckerei. Das Gastromodell oder die Hotellerie mit geringfügiger Anstellung und mit Trinkgeld abgegoltener Mehrarbeit existiert nach wie vor. Und auch Zahnarzthelfer:innen haben keinen eigenen Kollektivvertrag.

vida-Generalsekretärin Anna Daimler im Interview über Lohndumping in Österreich.
Anna Daimler, vida-Generalsekretärin, erklärt die Methoden des Lohndumpings in Österreich.

„Es gibt absurde Beispiele mit Firmen aus Drittstaaten“, weiß Anna Daimler aus ihrer Alltagspraxis. Sie ist vida-Generalsekretärin. „Bei Transportunternehmen etwa. Fahrer:innen würden für die Tätigkeit im jeweiligen Heimatland nur 800 Euro bekommen. In Österreich stünden ihnen beispielsweise 2.200 Euro zu, die auch auf dem Lohnzettel stehen. Allerdings wird die Differenz zwischen den beiden Summen zwischen Vermittler, Arbeitgeber und Fahrer:in aufgeteilt. Sie machen alle vermeintlich ein gutes Geschäft damit.“ Eine bittersüße Analyse. Denn die Fahrer:innen bekommen für die Tätigkeit mehr als im Heimatland. Aber eben deutlich weniger als ihnen hierzulande zustünde. So wird das KV-System in Österreich unterwandert. Auch Barbara Teiber, seit 2018 Bundesvorsitzende der GPA-djp, hat das Problem schon thematisiert.

Kontrollen gegen Lohndumping reichen nicht

„Bei den dargestellten Fällen handelt es sich um komplexe Arbeitsmarktphänomene“, analysiert Martin Müller, Rechtsexperte des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB). Die führen dazu, dass Menschen trotz Kollektivvertrags weniger bekommen. Etwa durch das Phänomen, dass es zwar einen guten Bruttolohn gibt, aber keine Vollzeitstellen. „Viele Arbeitnehmer:innen wollen mehr arbeiten, das geht aber beispielsweise im Handel oder dem Kindergarten in der Gemeinde gar nicht. Daran ist per se also nichts illegal. Weil ja aliquot richtig bezahlt wird.“ Ein weiteres Phänomen stellen die klassisch Unterbezahlten dar. Werden Betriebe von der Finanzpolizei oder im Rahmen der Beitragsprüfung des Lohndumpings überführt, erhält das Unternehmen eine Strafe. Die Arbeitnehmer:innen haben außerdem Anspruch auf Nachzahlung.

Anfällig für Lohndumping und Unterbezahlung sind etwa die Baubranche, Zustelldienste, Landwirtschaft oder das Gastgewerbe. Zu ihnen gehören auch undokumentiert Arbeitende. Also Menschen, die ohne regulären Aufenthaltstitel bzw. eine Arbeitsbewilligung beschäftigt sind, wie Vina Yun von der UNDOK-Anlaufstelle weiß. „Diese Leute sind besonders leicht erpress- und ausbeutbar. Denn je größer die Hürden für sie sind, einer offiziellen Lohnarbeit nachzugehen, etwa weil sie im Asylverfahren sind, desto größer ist der Druck, jede noch so unterbezahlte Stelle anzunehmen.“ „Es sind oftmals jene, die die schwächste Position am Arbeitsmarkt haben, bei denen Lohndumping vorkommt“, bestätigt auch Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer (AK) gegenüber Arbeit&Wirtschaft. „Viele Fälle werden aufgedeckt, aber Kontrollen sind niemals lückenlos.“

 

Lohndiebstahl statt Lohndumping

Lukas Lehner der University of Oxford sieht einen kleinen Hoffnungsschimmer. So könne die gegenwärtige Situation rund um Fachkräftemangel und Co. nach der schlimmsten Phase der Corona-Pandemie dabei helfen, Lohndumping zu verringern. Er, der zuletzt zur negativen Auswirkung von befristeten Arbeitsverträgen auf alle Beschäftigten forschte, schlägt ein anderes Wording vor. „In den USA nennt man das Lohndiebstahl, wenn Arbeitgeber:innen etwa Überstunden absichtlich zurückhalten.“ Wie soll die Politik reagieren?

„Wenn wir eine Regierung haben, die Strafen reduziert, statt sie zu erhöhen, dann ist der Anreiz, einen persönlichen wirtschaftlichen Nutzen für die Unternehmer zu erzielen, noch größer“, weiß Josef Muchitsch, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. Zuletzt schaffte Schwarz-Grün das Kumulationsprinzip bei Verwaltungsstrafen ab. Generell fällt die Bilanz von schwarz-grün nicht besonders arbeitnehmer:innenfreundlich aus. „Wenn die Maßnahmen nicht abschrecken, sondern zu Betrug verleiten, dann haben wir ein Problem.“ Er fordert empfindliche Strafen und empfiehlt die Digitalisierung, um die Arbeitszeitaufzeichnung für die Behörden nachvollziehbar zu mache. Stichwort elektronische Zutrittskarte. „Die Probleme sind lösbar, wenn man sie lösen will.“ Die Arbeitgeber wollen oftmals weniger Lohnnebenkosten.

Lösungen gegen das Lohndumping in Österreich

Muchitsch hat da eine differenzierte Sicht. „Man kann schon darüber reden, aber was senken wir? Die Finanzierung unseres Sozialsystems? Nehmen wir Dinge heraus, die mit der Arbeit nichts zu tun haben, wie den Familienlastenausgleichsfonds? Es reden alle davon, aber niemand macht konkrete Vorschläge.“ Was mit Arbeit nichts zu tun hat, müsse der Staat eben anders finanzieren, so sein Vorschlag. Den Fonds nicht mehr über Arbeitnehmer:innen zu finanzieren, würde eine Einsparung von drei Prozent bringen. Doch Muchitsch gibt sich keinen Illusionen hin: „Wir können die Lohnnebenkosten halbieren, das Spiel wird ja auch dann fortgesetzt. Unternehmer, die alle Bestimmungen einhalten, sind ja die Volltrottel der Nation.“

Festzuhalten ist: Die gesetzlichen Regelungen müssen besser kontrolliert werden. Zudem geht es um gesellschaftliche Fragen. Wie vereinbar sind Beruf und Familie? Warum sind es oftmals ohnehin schon marginalisierte Gruppen in der Gesellschaft, die leichte Opfer für Lohndumping sind? Am Ende ist es auch ein Mangel an Wissen. Denn wenn Arbeitnehmer:innen ihre Rechte schlichtweg nicht kennen, sind Schulen und auch Interessenvertretungen auf Arbeitgeber- und -nehmer:innenseite gefordert, zu informieren. Stichwort mündige Bürger:innen. Vielleicht ist auch die eingangs erwähnten Person von Lohndumping betroffen. Hier ein paar Überstunden nicht aufschreiben, da eine Nachtschicht eingelegt oder die E-Mails im Urlaub gecheckt. Vielleicht ist das eigene Gehalt dann auch unterhalb dessen, was einem zusteht.

Eine Übersicht über die Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel in Österreich gibt es hier.

Über den/die Autor:in

Georg Sohler

Freier Journalist im Bereich (Sport-)Journalismus, (Corporate) Blogging, Editing, PR

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