Lohn- und Sozialdumping in die Schranken weisen. Oliver Röpke im Interview.

Inhalt

  1. Seite 1 - Aufgaben und Forderungen des ÖGB-Europabüros
  2. Seite 2 - Gold Plating - ein koordinierter europaweiter Angriff der Industrielobby auf ArbeitnehmerInnenrechte
  3. Seite 3 - Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort
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Das Bild, das die österreichische Regierung in der EU abgebe, sei beschämend, sagt Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel. Er und sein Team kämpfen gemeinsam mit anderen europäischen Gewerkschaften für die konkrete Umsetzung der sozialen Säule der EU.

Wen meinen Sie konkret?

Ich spreche vom sogenannten Gold Plating. Unter diesem ideologischen Kampfbegriff läuft eine europaweit koordinierte Aktion von Konservativen und Industrieverbänden, zu denen auch die Industriellenvereinigung gehört. Der europäische Industrieverband Businesseurope versucht nicht erst seit gestern, dieses Thema voranzutreiben. Jetzt sind sie so weit, dass sie die Mehrheit in einigen Mitgliedstaaten haben und diese Agenda wirklich umsetzen können.

Worum geht es dabei?

Es geht um einen koordinierten europaweiten Angriff der Industrielobby auf ArbeitnehmerInnenrechte. Europäische soziale Mindeststandards sollen in Zukunft zu Maximalstandards gemacht werden, die nicht mehr überschritten werden dürfen. Teile der Industrie wollen Europa wieder zu dem machen, was wir schon überwunden hatten, nämlich zu einer reinen Freihandelszone. Diese Lobby will erreichen, dass Unternehmen alle Freiheiten haben und ArbeitnehmerInnen über die Grenzen hinweg einsetzen können und dass Europa bei sozialen Fragen nicht mehr mitreden darf. Wenn das passiert, wird der Wettlauf um die niedrigsten Standards zum System.

Sie haben erwähnt, dass es in der EU derzeit monothematisch zugeht. Gibt es wirklich keinen Spielraum für andere politische Inhalte?

Die Agenda wird zum Teil durch das, was die Kommission auf den Tisch legt, vorgegeben. Zum Beispiel ist der Brexit derzeit ein Hauptanliegen. Aber gemeinsam mit den KollegInnen von der AK, mit denen wir in Brüssel eine Bürogemeinschaft haben, versuchen wir, eigene Themen in den Fokus zu rücken und Agendasetting zu betreiben.

Bei welchen Themen zum Beispiel?Foto (C) ÖGB-Verlag | Michael Mazoh

Vor vielen Jahren haben wir die Finanztransaktionssteuer gefordert, gegen die damals ganz Europa war. Außer Österreich wollte das niemand, und vor zehn Jahren wurde man für diese Forderung noch fast ausgelacht. Wir haben dazu Termine mit der Kommission gemacht und Veranstaltungen organisiert, wo wir das Thema gepusht haben. Gemeinsam mit NGOs und anderen Gewerkschaften haben wir es geschafft, dass es auf die Tagesordnung gekommen ist – leider immer noch mit keinem greifbaren Ergebnis. Aber der Vorschlag liegt zumindest auf dem Tisch und es wird darüber verhandelt. Ein zweites Beispiel ist faires und transparentes Lobbying, ein großes Thema, das in der Öffentlichkeit nie eine Rolle spielte.

Was haben Sie da erreicht?

Auch das haben erst wir gemeinsam mit der AK in Brüssel auf die Agenda gesetzt, und zwar mithilfe eine Studie, die schon vor Jahren ausgesagt hat, dass von den etwa 25.000 bis 30.000 Lobbyisten in Brüssel mehr als 95 Prozent Wirtschafts- und vor allem Finanzindustrie-Lobbyisten sind. Nur ein kleiner Bruchteil kommt aus Gewerkschaften, NGOs und vom Konsumentenschutz. Wir haben uns verschiedene Beratergruppen in der Kommission angeschaut und es kam zum Beispiel heraus, dass in einer Beratergruppe für Finanzmarktregulierung zwei Drittel der VertreterInnen aus der Finanzlobby kamen.

Unsere Arbeit hat dazu beigetragen, dass die Juncker-Kommission die Transparenzregeln deutlich verschärft hat. Vor zehn, zwölf Jahren konnte man sich noch hinter verschlossenen Türen treffen. Heute muss zumindest bei den KommissarInnen, ihren Kabinetten und den GeneraldirektorInnen alles transparent gemacht werden und auf deren Websites jedes Treffen im Terminkalender veröffentlicht werden.

Aber es stellt sich die Frage, was wirklich veröffentlicht wird.

Ja, natürlich. Und Gesetze werden nicht von KommissarInnen, sondern von BeamtInnen geschrieben, und die müssen nach wie vor nicht veröffentlichen, mit wem sie sich treffen. Da ist also noch viel zu tun, aber das Thema steht auf der Agenda.

2017 wurde die Europäische Säule sozialer Rechte verabschiedet. Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?

Die Säule ist bisher nur heiße Luft mit vielen guten Absichten. Unsere Aufgabe ist es, die Inhalte umzusetzen, damit die ArbeitnehmerInnen konkret etwas davon haben. Hier zeigt sich die österreichische Bundesregierung bisher nicht sehr gewillt. Im Programm für die Ratspräsidentschaft wird die Säule mit keinem Wort erwähnt. Auch viele unserer Forderungen finden sich nicht wieder.

Jean-Claude Juncker hat die soziale Säule erstmals 2014 erwähnt. Warum ist sie überhaupt wichtig für die EU?

Ein Binnenmarkt, der fairen Wettbewerb garantieren soll, wo ArbeitnehmerInnen und Unternehmen grenzüberschreitend tätig sein können, kann auf Dauer nur bei vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen und sozialen Standards funktionieren. Deshalb ist es schon wirtschaftspolitisch ein Muss, dass sich die Standards zumindest annähern. Und es war immer Konsens in der EU, dass sich die Standards nach oben annähern sollen.

Wir hatten immer das Konzept, ambitionierte Mindeststandards auf europäischer Ebene zu schaffen, um die Staaten nachzuholen, die zurückgeblieben sind. Mit der großen Osterweiterung ist dieses Konzept immer schwieriger geworden, weil der Wohlstandsunterschied so enorm ist, dass es kaum möglich ist, Mindeststandards zu schaffen, die für ArbeitnehmerInnen in Schweden oder Österreich genauso attraktiv sind wie für jene in Bulgarien oder Rumänien.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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