Leben am Minimum
1,5 Millionen Menschen waren im Jahr 2015 in Österreich laut Armutsbericht der Statistik Austria armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Von Armutsgefährdung spricht man dann, wenn das gesamte Haushaltseinkommen unter der sogenannten Armutsgefährdungsschwelle liegt. Diese liegt in Österreich aktuell bei 1.163 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt. Viele der betroffenen Personen hatten sogar ein so geringes Einkommen, dass sie ihre Wohnung nicht angemessen warm halten oder für unerwartete Ausgaben nicht aufkommen konnten. Von Urlaub, einem Auto oder einer neuen Waschmaschine gar nicht erst zu sprechen. Unsichere Arbeitsplätze und niedrige Einkommen sind häufige Gründe für ein Leben am Existenzminimum. Die hohen Wohn- und Lebenshaltungskosten erschweren die Situation zusätzlich, genauso wie schwere Schicksalsschläge wie etwa Krankheit, Scheidung oder Tod. Am stärksten betroffen waren laut Statistik AlleinerzieherInnen, kinderreiche Familien, Langzeitarbeitslose, gering Qualifizierte und MigrantInnen.
Welche Faktoren beeinflussen die Armutsgefährdung? Personen mit Lehrabschluss etwa waren nur halb so oft von Armut oder Ausgrenzung betroffen wie jene mit Pflichtschulabschluss. In letztere Gruppe fallen zum Beispiel viele MigrantInnen, die einen schlechten Zugang zu Bildung haben und daher auch oft nur als Hilfskräfte tätig sind. Andererseits gehen sie oft Tätigkeiten nach, die ihrer eigentlichen Ausbildung nicht entsprechen. Denn Bildungsabschlüsse aus den Heimatländern werden, wenn überhaupt, meist nur unter großem bürokratischem und finanziellem Aufwand anerkannt. Dazu kommen Diskriminierungen am Arbeitsmarkt.
Mittel gegen Armut
Ein Ein-Personen-Haushalt in Österreich benötigte also im Jahr 2015 einen monatlichen Netto-Lohn von 1.163 Euro, um die Armutsgrenze zu überschreiten. Eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern musste demnach etwas mehr verdienen, nämlich etwa 1.622 Euro brutto, um über die Armutsgrenze zu kommen. Der Druck auf diese Menschen ist groß, beim Einkauf müssen sie penibel auf den Preis achten, damit sie bis zum Monatsende über die Runden kommen. Laut Statistik Austria verdienen österreichweit auf Vollzeitbasis gerechnet 350.000 Menschen weniger als 1.500 Euro brutto monatlich, was in etwa 1.200 Euro netto entspricht. Der ÖGB und die Gewerkschaften fordern einen Mindestlohn von 1.500 Euro brutto als einen ersten Schritt, der nächste ist 1.700 Euro brutto für alle. Denn: Arbeit und Mindestlöhne sind eine gute Versicherung gegen Armut. Mindestlöhne verhindern aber nicht nur Lohndumping und Hungerlöhne. Sie sind zudem ein gutes Mittel, um die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern schneller zu schließen.
Trotz Einkommen – kein Auskommen
Aber selbst wenn der Mindestlohn ein gutes Instrument zur Armutsbekämpfung ist, ist er kein Allheilmittel und reicht allein nicht aus, um das Problem der Armut zu lösen. Bestes Beispiel dafür sind die „Working Poor“. Mit diesem Begriff werden Menschen bezeichnet, die zwar Arbeit haben, deren Einkommen aber unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt und zum Leben nicht ausreicht. Sie arbeiten als LeiharbeiterInnen, Neue Selbstständige oder WerkvertragsnehmerInnen. Oder sie sind in Branchen tätig, die laut Kollektivvertrag schlecht bezahlt werden wie etwa in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungsbereich. Besonders betroffen sind alleinerziehende Frauen, die aufgrund der Kindererziehung entweder gar keiner Arbeit nachgehen können oder nur in eingeschränktem Ausmaß arbeiten, Menschen mit geringer Bildung und MigrantInnen. Gerade auf ArbeitnehmerInnen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten wird gerne zurückgegriffen. Menschen aus Bulgarien, Ungarn oder der Slowakei wissen häufig zu wenig über ihre Rechte und sind damit gefährdet, ausgebeutet zu werden.
Weiters hat in den vergangenen Jahren die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse zugenommen. Immer mehr Menschen sind in befristeten Arbeitsverhältnissen oder arbeiten auf Werkvertragsbasis und sind zudem oft nicht „durchversichert“. Fast die Hälfte aller berufstätigen Frauen arbeitete vergangenes Jahr in Teilzeit. „Das hat weitreichende Folgen wie etwa Einkommen, die nicht existenzsichernd sind, schlechte Aufstiegschancen und eine absolute Katastrophe in der Pension. Frauen sind deutlich häufiger von Altersarmut betroffen als Männer“, erklärt Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende.
Armut trotz Arbeit
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass auch eine schwierige Haushaltssituation zu Armut trotz Arbeit führen kann. Nämlich dann, wenn mehrere Personen von einem einzigen Einkommen leben müssen. „Working Poor“ hängt somit nicht nur von der Einzelperson, sondern von der Erwerbssituation und dem Einkommen der Familienmitglieder ab. Auch die bereits erwähnte Lebenssituation wie etwa Betreuungspflichten, die individuellen Möglichkeiten wie Bildung sowie Herkunft und die generelle Arbeitsmarktlage sind wesentliche Faktoren.
Bündel an Maßnahmen
Das zeigt, dass sich genauso wie Armut im Allgemeinem auch „Working Poor“ nicht mit einem einzigen Argument begründen lässt und entsprechend auch nicht mit einer einzelnen Maßnahme wie dem Mindestlohn abstellen lässt. Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um Menschen vor Armut und Ausgrenzung zu schützen.
Diese sind in den Bereichen Arbeitsmarkt, Soziales, aber auch auf Bildungsebene zu setzen. So ist zum Beispiel alleinerziehenden Müttern auf Dauer nicht damit geholfen, dass das Kind nur einen Kindergartenplatz bekommt. „Wir brauchen dringend verbesserte Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dazu gehören leistbare Kinderbildungseinrichtungen mit Öffnungszeiten, die eine Vollzeitbeschäftigung sowohl in der Stadt als auch am Land ermöglichen“, sagt Anderl. Außerdem müsse die Wirtschaft mehr Vollzeitarbeitsplätze für Frauen anbieten, von denen sie gut leben können. „Studien bestätigen nämlich, dass Frauen bei einem besseren Kinderbetreuungsangebot zu Vollzeitarbeit tendieren.“
Den Kindern aus sozial schwachen Familien wiederum wäre mit fairen Chancen vor allem in der Bildung geholfen, denn noch immer ist Bildung viel zu sehr von der sozialen Herkunft abhängig. „Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen ist die Bildungspolitik auf dem richtigen Weg“, betont die ÖGB-Vizepräsidentin. Viele SchülerInnen sind mit den täglichen Hausaufgaben überfordert. Ganztägige Schulformen sind die beste Lösung, sagt sie, weil sie Kinder bestmöglich fördern, deren Eltern sich keine Nachhilfe leisten können. Daher ist auch die Ausbildungspflicht bis 18 eine wichtige Maßnahme zur Armutsbekämpfung.
Billigeres Wohnen
Nicht zuletzt gilt es, leistbaren Wohnraum zu schaffen. Die hohen Kosten für Miete, Energie und Heizung belasten die Geldbörsel der MieterInnen enorm. Vor allem junge Menschen und Familien mit wenig Einkommen tun sich besonders schwer, eine Wohnung zu finanzieren. AK-Präsident Rudi Kaske betont, dass es einen „Mix aus Maßnahmen braucht, um Wohnen billiger zu machen – ein einfaches, transparentes Mietrecht mit wirksamen gesetzlichen Mietpreisbegrenzungen und mehr geförderte Wohnungen, die langfristig leistbar bleiben.“
Linktipps
Statistik Austria
ÖGB Frauen
Arbeiterkammer
Amela Muratovic
ÖGB Kommunikation
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/17.
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