Österreich enthält sich bei Abstimmung über Lieferkettengesetz
„Die Enthaltung von Wirtschaftsminister Martin Kocher ist eine Farce. Kocher hätte die Möglichkeit gehabt, mit dem EU-Lieferkettengesetz zu beweisen, dass er für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik der Zukunft steht. Stattdessen hat er dem Druck der Industrielobby nachgegeben und argumentierte, dass es zu wenig Zeit gegeben hätte“, kritisiert Bettina Rosenberger. Sie ist Geschäftsführerin beim Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe). Die Initiative wird durch den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), die Gewerkschaft PRO-GE und die Arbeiterkammer Wien (AK) unterstützt.
Das geplante Gesetz soll Unternehmen zum sorgfältigen Umgang mit den sozialen und ökologischen Wirkungen in der ganzen Lieferkette verpflichten. Sie müssen arbeitsrechtliche Bestimmungen auch bei den Zulieferbetrieben außerhalb der EU sicherstellen. Das Gesetz gilt für folgende europäische Unternehmen sowie in der EU tätige Firmen aus Drittstaaten:
- Mit 1.000 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von 300 Millionen Euro.
- Ab 500 Mitarbeiter:innen und einem Umsatz von 150 Millionen Euro.
- In Risikobranchen mit erhöhten Gefahrenpotenzial für Mensch und Umwelt gilt die Richtlinie ab 250 Mitarbeiter:innen und einem Umsatz von 40 Millionen.
Lieferkettengesetz gilt nicht für Finanzsektor
Zwischen Februar und November 2022 hatten die zuständigen Minister:innen zwölf Verhandlungsrunden anberaumt, in denen sie eine gemeinsame Position erarbeiteten. Die Einigung der Minister:innen ist dem Vorschlag zum Lieferkettengesetz der EU-Kommission sehr ähnlich. In manchen Punkten unterscheidet sie sich allerdings. Beispielsweise soll der Finanzsektor diesem Gesetz nicht unterliegen. „Diese politische Einigung auf ein Lieferkettengesetz ist zu begrüßen. Die Enthaltung Österreichs ist aber genauso wenig nachvollziehbar wie die geplante Ausklammerung des Finanzsektors“, meint ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.
Als Gegenvorschlag sollen die Mitgliedsstaaten nun selbst entscheiden, ob sie diesen Sektor freiwillig den Sorgfalts- und Nachhaltigkeitspflichten unterstellen. Auch die Umsetzungsfrist möchten die Minister:innen verlängern. Erst in vier Jahren soll das Gesetz greifen. In manchen Bereichen sogar erst in fünf, abhängig von der Unternehmensgröße. Mit einer Ausnahme. Unternehmen und Konzerne, die mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen haben und einen Jahresumsatz von über 300 Millionen Euro vorweisen, sollen bereits in drei Jahren die neue Richtlinie anwenden.
Lieferkettengesetz greift zu kurz
Der Rat beschloss im Dezember die allgemeine Ausrichtung des Lieferkettengesetzes. Doch diese greift laut Arbeiterkammer zu kurz. „Die allgemeine Ausrichtung stellt einen wichtigen Schritt im Gesetzgebungsprozess dar, inhaltlich ist die Einigung aber längst nicht weitreichend genug. Das EU-Parlament ist hier insgesamt ambitionierter als Kommission und Rat“, sagt Alice Wagner. Sie ist Referentin für Arbeitsrecht und Wettbewerb im Brüssel Büro der Österreichischen Bundesarbeiterkammer. Positiv hingegen hebt die AK den Aspekt hervor, dass der Ratsentwurf nun auch Gewerkschaften explizit als Stakeholder:innen nennt. Jedoch mit Einschränkungen, wie die AK betont, denn die Einbeziehung der unterschiedlichen Interessenvertretungen bleibt weiterhin lückenhaft.
Die Enthaltung von Wirtschaftsminister Kocher entspricht nicht der Stimmungslage in Österreich. Erst kürzlich präsentierten Arbeiterkammer und Greenpeace die Ergebnisse zur Umfrage zum Modekonsum in Österreich. 91 Prozent aller Befragten sprechen sich dabei für ein Lieferkettengesetz aus und wollen gesetzliche Regulierungen. Auch immer mehr Unternehmen sind für ein EU-weites Lieferkettengesetz. „Viele namhafte Unternehmen wie Danone, Ikea und Hapag-Lloyd fordern selbst, dass die gesamte Wertschöpfungskette erfasst wird“, sagt Wagner. Dass Freiwilligkeit allein nicht reicht, um Menschen- und Arbeitsrechte zu schützen, zeigt die Erfahrung. „Nach Daten der EU-Kommission führen derzeit nur 16 Prozent der europäischen Unternehmen eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung für ihre Lieferkette durch. Die wenigsten Unternehmen sehen Abhilfe für die Opfer vor. Hier besteht also noch viel Handlungsbedarf und es braucht eine gesetzliche Regelung.“
Lieferkettengesetz gilt nur für 0,06 Prozent der Unternehmen
Der Industriellenvereinigung und Angelika Winzig, ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, geht der Entwurf für das Lieferkettengesetz zu weit. Es sei „realitätsfern und unpraktikabel“, so ihr Argument. „Großunternehmen dürfen nicht die Verantwortung auf KMUs verschieben.“ Die Befürchtung bei Winzig ist, dass für KMU dadurch ein beträchtlicher Mehraufwand entsteht und das hohe Kosten verursacht. Ein Argument, dass Expert:innen, für vorgeschoben halten.
Mit dem aktuellen Entwurf würde das Gesetz allerdings nur eine ganz kleine Minderheit an Unternehmen treffen. „Der Kommissionsvorschlag und die vom Rat beschlossene Position sind enttäuschend. In Österreich hätte dies zur Folge, dass die Regelung direkt lediglich für rund 0,06 % der Unternehmen gelten würde“, meint Wagner. Die Expertin sieht außerdem eine Gefahr für KMU, die bereits Maßnahmen zur Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten gesetzt haben. „Daraus könnte sich ein Wettbewerbsnachteil ergeben, weil andere Anbieter durch Ausbeutung von Mensch und Natur weit billiger produzieren.“
Auch die Initiative NeSoVe ist für ein strengeres Gesetz, das im Vergleich zu jetzt KMUs intensiver einbindet und sie nicht außen vor lässt. „Der effektivste Weg, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, wäre eine Ausdehnung des EU-Lieferkettengesetzes auf alle Unternehmen, also auch auf KMUs. Insbesondere bei den Sorgfaltspflichten von KMUs soll ein risikobasierter Ansatz herangezogen werden“, so Rosenberger. NeSoVe würde hier einen klaren Vorteil für KMUs sehen, denn „sie wären nicht mit der Unsicherheit konfrontiert, dass einer ihrer Geschäftspartner die Verantwortung möglicherweise auf sie abwälzt“, sagt Rosenberger.
Verbindliche Sorgfaltspflichten kosten fast nichts
In Deutschland trat mit 1. Jänner 2023 ein Sorgfaltspflichtengesetz in Kraft, das unabhängig vom Lieferkettengesetz der EU umgesetzt wurde. Ab diesem Jahr müssen sich Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter:innen und ab 2024 ab 1.000 Mitarbeiter:innen diesen Pflichten unterwerfen. Diese Unternehmen müssen ein Risikomanagement einrichten, das zur Aufgabe hat, Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Schädigungen der Umwelt festzustellen. Auch andere Nachbarländer sind ebenfalls schon weiter.
„Das deutsche Lieferkettengesetz beinhaltet keine zivilrechtliche Haftung. Nur mit einer zivilrechtlichen Haftung kann aber gewährleistet werden, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen im Globalen Süden auch entschädigt werden“, meint Rosenberger. Ein anderes Problem ist, dass die Sorgfaltspflichten nur auf die unmittelbaren Zulieferbetriebe beschränkt bleibt. „Das französische loi de vigilance geht da schon weiter. Auch in den Niederlanden wird derzeit über ein nationales Sorgfaltspflichten-Gesetz verhandelt, welches tatsächlich weitreichender werden könnte als die europäische Regelung“, sagt Wagner.
Wegen Lieferkettengesetz: Strabag zieht sich aus Afrika zurück
Doch auch das wenig scharfe Gesetz in Deutschland lässt bereits ein österreichisches Unternehmen rotieren. Denn der Baukonzern Strabag will sich laut der Tageszeitung FAZ aus dem Afrika-Geschäft zurückziehen. Als Grund gibt man an, dass die lokalen Zulieferer nicht alle kontrolliert werden könnten, da es dafür mehr Mitarbeitende benötigt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert wird, da mehr Kosten entstehen.
„Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie geht davon aus, dass die Kosten für die Implementierung von verbindlichen Sorgfaltspflichten bei großen Unternehmen durchschnittlich etwa 0,009 % ihres Umsatzes betragen wird“, entkräftet Rosenberger dieses Argument. Von Seite der AK sieht man dieses Argument vorgeschoben, da die Strabag nicht nur in Afrika, sondern auch in anderen Teilen der Welt tätig ist.
Unsere Nachbarländer setzen erste Schritte in Richtung #Lieferkettengesetz, hierzulande wird noch immer gern an die Moral der Konzerne appelliert. Doch die Stimmen für neue Regeln werden mehr, berichtet @alexiaweiss. https://t.co/cyBkGT0Ku5
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) July 5, 2021
„Nach jetziger Rechtslage wäre es wohl auch möglich, dem deutschen Lieferkettengesetz durch entsprechende Konzern-Umstrukturierungen zu entgehen, deshalb zeigt der Fall Strabag gut auf, warum ein EU-Lieferkettengesetz wichtig ist. Da damit europaweit einheitliche Standards geschaffen und Umgehungen verhindert werden“, so Wagner. Nachdem im Dezember 2022 der Rat der Minister:innen Position bezogen hat, geht es nun in weitere Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament, dem sogenannten Trilog. Im zweiten Halbjahr 2023 wird wohl die entscheidende Phase folgen und es wird sich zeigen, ob sich Österreich dabei gesprächsbereiter präsentiert als zuletzt.