Hätte, hätte Lieferkette …

Ein Arbeiter auf einer Kaffeeplantage inspiziert Kaffeesäcke. Das Lieferkettengesetz zwingt Unternehmen mehr Verantwortung zu übernehmen.
Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, Verantwortung für die Umwelt- und Arbeitsbedingungen zu übernehmen. | © KHAM/REUTER/picturedesk.com
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Lange diskutiert, beschlossen, ent-beschlossen, aufgeweicht. Das „EU-Lieferkettengesetz“ ist auch abgeschwächt ein Meilenstein zur Sicherung von Grund- und Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette. Doch aus der Lieferkette wurde eine lange Entscheidungskette, die uns einmal mehr demokratische Defizite in der EU vor Augen führt.
Weltweit werden nach wie vor Kinder zur Arbeit gezwungen, Menschen ausgebeutet, Flüsse vergiftet, Dörfer überflutet. Unternehmen in der EU machen nicht selten Profit damit, keine Gedanken über die Bedingungen entlang ihrer Lieferkette zu verschwenden. Das Lieferkettengesetz setzt hier an. Es verpflichtet große Unternehmen zur Überprüfung ihrer Lieferanten und nimmt sie in die Haftung. „Unzumutbare Bürokratie!“, ein „Standortrisiko“. Die Industrielobby hat sich ins Zeug geworfen, das an sich bereits beschlossene Lieferkettengesetz zu Fall zu bringen oder zumindest massiv aufzuweichen. Ihre ganze Hoffnung legten sie in die neue Blockadehaltung Deutschlands im Minister:innen-Rat, abschätzig bereits als „German Vote“ betitelt.

Deutschlands Blockadehaltung beim Lieferkettengesetz

Deutschland hatte im März 2024 eine harte Woche hinter sich. Sowohl bei der Plattformarbeit als auch gegen Zwangsarbeit hat sich das Land enthalten – wurde aber von den anderen EU-Staaten überstimmt. Was den Deutschen der „German Vote“ ist, ist den Italiener:innen ihr „Catenaccio“ (Anm.: eine sehr defensive Fußballtaktik). Italien hat weniger Sorgen um Lieferketten, als um ihre Einweg-Becher für den heißgeliebten „caffé da portare via“, den italienischen „coffee to go“. Diesem wollte die EU-Verpackungsverordnung einen Riegel vorschieben. Eine Blockadeallianz war geboren – denn zwei bevölkerungsreiche Staaten wie Deutschland und Italien können gemeinsam viel verhindern.

Die Mehrheitserfordernisse in der EU sind eine Krux. Gibt man jedem Staat eine Stimme – wie zum Beispiel in der UNO –, können kleine Mitgliedsstaaten Entscheidungen gegen die Mehrheit der Bevölkerung in der EU blockieren. Gewichtet man die Stimmen nach Bevölkerungsgröße, ist der Aufstand der kleinen Staaten (zu Recht) vorprogrammiert. Seit dem Vertrag von Lissabon 2009 werden die meisten Entscheidungen im Rat der EU mit einer sogenannten „qualifizierten Mehrheit“ getroffen. Das bedeutet, dass 15 der 27 EU-Mitgliedsstaaten (das sind 55 %) zustimmen müssen. Sie müssen zusammen mindestens 65 Prozent der 450 Millionen starken EU-Bevölkerung repräsentieren.

Lieferkettengesetz vs. Einwegbecher

35 Prozent der Bevölkerung bedarf es für eine sogenannte „Sperrminorität“, um einen Gesetzesvorschlag zu Fall zu bringen. Das klingt nicht wenig – doch stellt allein Deutschland bereits 18 Prozent der EU-Bevölkerung, Italien 13 Prozent. Aber erstens kommt es anders, zweitens als die Lobbyist:innen glauben. Die belgische Ratspräsidentschaft hat den italienischen Becher in der Verpackungsverordnung gerettet, Italien dem mittlerweile sehr entschärften Lieferkettengesetz im März 2024 zugestimmt, Deutschland (wie übrigens auch Österreich) wurde einmal mehr überstimmt. Die Zustimmung im EU-Parlament wird als Formsache gesehen.

Mein Fazit: Macht der „German Vote“ Schule, verliert Deutschland an politischem Handlungsspielraum und Glaubwürdigkeit. Das Lieferkettengesetz kommt – reduziert auf die Verpflichtung großer Betriebe. Die Mitgliedsstaaten haben genug Umsetzungsspielraum zu garantieren, damit KMUs nicht unter die Räder kommen.

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Über den/die Autor:in

Susanne Haslinger

Mag.a Susanne Haslinger ist Juristin und in der sozialpolitischen Abteilung der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) tätig.

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