Globale Lieferketten: Abhängigkeiten und Risiken

© Miriam Mone
Ein Schiff, das im Suezkanal auf Grund läuft, ein Brand in einer Fabrik am anderen Ende der Welt – selbst vermeintlich kleine Unregelmäßigkeiten entlang globaler Lieferketten können in Österreich unvorhergesehene Ausmaße annehmen.
Einst lautete der Slogan der deutschen Baumarktkette Praktiker. „Geht nicht, gibt’s nicht.“ Der Spruch verkörpert, spätestens seit dem Aufstieg des Online-Versandhandels, eine Art westliche Wohlstandsmetapher. Alles ist immer und zu jeder Zeit verfügbar. Und zwar billig. Doch geraten globale Lieferketten ins Stocken, droht dieser Wohlstand zügig zu bröckeln. Wenn in Österreich Futtermittel für Schweine fehlen, weil die Ukraine keinen Mais mehr exportiert. Oder die Industrie keine Halbleiter hat, weil ein Schneesturm in den USA die Produktion lahmlegt. Auch ein Schiff, das im Suezkanal auf Grund läuft, fehlende Lkw-Fahrer:innen in Großbritannien und ein brennendes Chipwerk in Japan bringen das System ins Schwanken. Oftmals reicht eine „Kleinigkeit“, um eine global vernetzte, feingliedrige Produktionsstruktur zu unterbrechen.

Moderne Volkswirtschaft ist abhängig von Lieferketten

Dass vermeintlich simple Güter, wie FFP2-Masken oder Toaster, um den ganzen Globus schippern, bevor sie hierzulande im Regal landen, ist kein Zufall, erklärt Michael Wögerer, Projektleiter von „weltumspannend arbeiten“, dem entwicklungspolitischen Verein im ÖGB. „Unternehmen produzieren dort, wo Rohstoffe und Arbeitskräfte am billigsten sind.“ Das verspricht kurzfristig Profite, schafft aber Abhängigkeiten und Risiken. Besonders kleinere Länder wie Österreich sind abhängig vom Import sogenannter Vorprodukte. Laut Complexity Science Hub hat rund ein Drittel der österreichischen Unternehmen mindestens einen Lieferanten, dessen Ausfall zum Produktionsstillstand führen würde.

Die Volatilität der Produktions- und Lieferketten wird zusehends „nach unten durchgegeben, indem sie durch die Belegschaft abgefedert werden soll“, kritisiert Wögerer. Um auf Ausfälle besser reagieren zu können, beschäftigen Unternehmen beispielsweise mehr Leiharbeiter:innen und fordern von der Stammbelegschaft mehr Flexibilität. Prominentestes Beispiel: die Ausweitung der täglichen Maximalarbeitszeit auf zwölf Stunden. Wie unmittelbar sich globale Entwicklungen auf Österreich auswirken, zeigt ein Blick nach Steyr. Nur wenige Tage, nachdem Russland in die Ukraine eingefallen war, meldeten BMW und Steyr Automotive (vormals MAN) ihre Arbeiter:innen zur Kurzarbeit an.

Von Lohnabhängigen abgefedert

Das ist ein entscheidender Unterschied zu Ländern des Globalen Südens, betont Karin Fischer, Leiterin des Arbeitsbereichs Globale Soziologie an der JKU Linz. Ein Land wie Österreich sei mit Kurzarbeit, Subventionen oder Sozialleistungen immer noch besser in der Lage, die negativen Auswirkungen von gestörten Lieferketten abzufedern, als Länder im Globalen Süden, am „anderen Ende“ der Kette. Als viele Lohnabhängige in Europa während der Lockdowns ins Homeoffice wechselten oder Kurzarbeitergeld bezogen, brach bei Lohnarbeiter:innen im Globalen Süden das komplette Einkommen weg.

Karin Fischer von der JKU Linz im Inteview über globale Lieferketten
Während Österreich negative Auswirkungen gestörter Lieferketten abfedern kann, litten Arbeiter:innen des Globalen Südens hart darunter, so Karin Fischer von der JKU Linz. Das werde hierzulande oft vergessen.

Andererseits, betont Fischer, sind es der Globale Norden und damit Länder wie Österreich, die von den globalen Produktionsketten am meisten profitieren. „Höherwertige Aktivitäten – wie Forschung, Design, Branding und Patentierung – finden in den Headquarters transnationaler Unternehmen im Globalen Norden statt.“ Die Gesamtwirtschaft würde arbeitsintensive Tätigkeiten mit geringerer Wertschöpfung in den Globalen Süden auslagern. Die billigen Preise hierzulande, etwa für Lebensmittel und Elektronik, „sind Ausdruck von Konzernmacht“, betont Fischer. Die Bundesregierung will mit einem Entlastungspaket gegensteuern.

Lieferketten anpassen, Abhängigkeiten verringern

Gegen die mit der Globalisierung tendenziell steigende Volatilität von Lieferketten etwas zu unternehmen, ist keine leichte Aufgabe. Einerseits sind Mechanismen und Interdependenzen entlang von Lieferketten komplex und undurchsichtig. Zum anderen sind die Ursachen, wie Umweltkatastrophen, Kriege, Cyberattacken oder Pandemien, von einzelnen Unternehmen oder Regierungen kaum zu beeinflussen.

© Miriam Mone

In der derzeitigen Situation, so ÖGB-Wirtschaftsexpertin Miriam Baghdady, müsse es kurzfristig darum gehen, politisch gegenzusteuern. Vor allem Geringverdiener:innen müssten vor den schlimmsten Auswirkungen der Teuerung geschützt werden. Langfristig aber müssten Lieferketten angepasst werden, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Dort, wo es sinnvoll und möglich erscheint, sollten Unternehmen regional zu produzieren. Für die Kostenkalkulation, fordert Baghdady, dürften nicht die möglichst geringen Arbeitskosten ausschlaggebend sein. Firmen müssen soziale und ökologische Kriterien ebenso wie Aspekte der Versorgungssicherheit mitdenken. Apropos Ökologie: Ausgerechnet der Winter 2012/13 war in Deutschland ein besonders langer, das Frühjahr überdurchschnittlich regnerisch. Baumärkten brach das Frühjahrsgeschäft weg. Nach wirtschaftlich herausfordernden Jahren meldete die Baumarktkette Praktiker im Juli 2013 Insolvenz an. Geht nicht, gibt’s also doch.

Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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