Soziale Verteilungsgerechtigkeit ist extrem wichtig. Wie können wir es schaffen, dass wir das nicht aus den Augen verlieren?
Die Frage von Gerechtigkeit im Klimaschutz ist eine, die in dieser Debatte auch auf internationaler Ebene von Anfang an dabei war. Soziale Gerechtigkeit muss ein Maßstab sein für Politik. Soziale Gerechtigkeit wird nicht nur ein Ministerium lösen können, sondern das ist genauso wie der Klimaschutz eine Gesamtregierungsaufgabe und eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten im Land. Im Klimaschutzministerium haben wir gerade ein Programm mit der Caritas und der Volkshilfe gestartet: Weißware-Tausch, wo einkommensschwache Haushalte kostenlose Energieberatung erhalten und wenn nötig ein zu 100 Prozent gefördertes neues, energiesparendes Gerät wie einen Kühlschrank oder Herd.
Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit koppeln?
Soziale Gerechtigkeit kann man nicht nur auf den Klimaschutz reduzieren, sondern das betrifft auch die Frage: Wie gestaltet man das Pensionssystem, das Steuersystem, die Arbeitszeiten und die Pflegearbeit, wie schaut die Kinderbetreuung aus? Wir wollen eine starke, solidarische Gesellschaft, die zusammenhält, aber die eben klimafreundlich lebt und klimaneutral produziert, konsumiert und wirtschaftet.
Für 44 Prozent der Emissionen sind Industrie und Energie verantwortlich. Welchen Plan haben Sie hier, um 2040 klimaneutral zu sein?
Die energieintensive Industrie hat gerade einen riesigen Transformationsprozess vor sich: Es braucht vor allem die Betriebe, die in diese Klimaschutzmaßnahmen investieren. Wir haben jetzt Mittel im Budget, um das zu unterstützen.
Die Strompreisbildung muss sich auf europäischer Ebene ändern.
Leonore Gewessler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie
Und wie wird eine Verbindlichkeit sowohl auf Haushaltsebene als auch bei den Unternehmen hergestellt?
Wir haben die Verbindlichkeit einerseits durch die europäische Klimagesetzgebung. Wir haben in Europa als erstem Kontinent „klimaneutral 2050“ im Gesetzesrang. Das verpflichtet uns als Kontinent und als einzelne Länder. Und wir haben die Regulierung auf europäischer Ebene über den Emissionshandel für die Industrie, den wir gerade noch einmal nachgeschärft haben, damit wir diese Ziele und diesen Pfad auch erreichen: Dazu kommt das „Carbon Border Adjustment“, ein Mechanismus, der sicherstellt, dass die Verbindlichkeiten für die Industrie auch über die Grenzen der EU hinaus wirken. Gerade für Österreich und die österreichische Industrie ist z. B. der Umstieg auf emissionsfreie Mobilität eine wichtige Entscheidung und auch eine große Chance. Die Autozulieferindustrie hat jetzt einen klaren Pfad, eine klare Aufgabe. Das ist wichtig für die Planungssicherheit für die Industrie und für die Planungssicherheit für die Kund:innen. Wir wissen jetzt: Das wird die Zukunft der Mobilität sein. Das ist eine Klimaschutzmaßnahme, bei der wir die Branche als Klimaschutzministerium begleiten. Ganz generell geht es in der Industrie beim Klimaschutz um mehr Energieeffizienz. Es geht darum, dass der Input in der Energie nicht mehr fossile Energie ist, sondern erneuerbare Energie. Aber es geht auch darum, was produziert wird, damit die Produkte klimafreundlich und im besten Fall auch noch kreislauffähig sind.
Stichwort Corporate Social Responsibility. Gibt es da Maßnahmen für Unternehmen?
Klimaschutz ist nicht nur eine technologische Veränderung. Wenn ich von Energie- und Wärmewende spreche, dann geht es um Betriebe und Veränderungen für die Menschen dort. Deswegen sind bei unserem „Just Transition“-Prozess von Anfang an alle Sozialpartner und auch einzelne Unternehmen an einem Tisch gesessen. Denn nur gemeinsam können wir Maßnahmen umsetzen, die sicherstellen, dass Klimaschutz allen gute Zukunftsperspektiven bietet.
Wie lange werden wir brauchen, um unsere Ziele zu erreichen?
Wir haben in den ersten zwei Jahren im Bereich Energie viel gemacht, um sicherzustellen, dass wir von den fossilen Energien wegkommen und von dieser Erpressbarkeit hin zu den Erneuerbaren. Wir haben seit 2020 in Österreich zum Beispiel so viel Photovoltaik zugebaut wie die 20 Jahre davor insgesamt. Diese Maßnahmen wirken. Der nächste Schritt ist der Gebäudebereich: Wir haben das Erneuerbaren-Wärmegesetz, wo es darum geht, die fossilen Energien aus den Gebäuden rauszukriegen und Heizsysteme auf Basis erneuerbarer Energien zu installieren.
Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf?
Unser Sorgenkind im Klimaschutz ist die Mobilität. Die klimaschädlichen Emissionen in diesem Bereich haben sich in den vergangenen 20 Jahren um 70 Prozent gesteigert. Deswegen brauchen wir Investitionen in Öffis, eine Aufstockung von Radfahr-Budgets, das Klimaticket, den Bahnausbau. Die Zusammenarbeit mit den Städten ist hier wichtig, damit wir erstmals auch in Städten und Ballungsgebieten gerade für Pendler:innen den Ausbau mitfinanzieren können. Dieser Ausbau von Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr, fürs Radfahren, fürs Zu-Fuß-Gehen, das wird uns sicher weiter beschäftigen. Wichtig ist aber auch die Industrie. Der nächste große Schritt ist sicher die Industrie. Die wird auch auf europäischer Ebene eine große Rolle spielen im nächsten Jahr, weil wir da große Umstellungen mit sehr langen Investitionszyklen vor uns haben. Da fallen viele der Entscheidungen, die wir brauchen, damit wir wissen: Bis 2040, 2050 kommen wir mit den Emissionen runter. Deswegen müssen wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Wir wollen sicherstellen, dass wir als Europa bei Klimatechnologien vorne mit dabei sind, weil das sind die Arbeitsplätze der Zukunft, da kommt der Wohlstand der Zukunft her, das ist die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft. Und dort müssen wir schauen, dass wir vorne dabeibleiben. Also das ist sicher eine große Aufgabe, die uns dieses Jahr auf europäischer Ebene beschäftigen wird.
Dazu brauchen wir aber auch mehr Flexibilität im Arbeitsmarkt.
Ja, richtig. Etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien geht es nicht nur um eine technische Änderung, sondern der Prozess umfasst mehr. Das ganze Energiesystem oder auch Jobprofile ändern sich. Der Dachdecker oder die Spenglerin lernt jetzt auch Neues, etwa wie man eine Photovoltaikanlage montiert. Und deswegen fördern wir nicht nur den Ausbau der Erneuerbaren, sondern definieren im „Just Transition“-Aktionsplan ganz genau, was es an Ausbildung, an Weiterbildung und an Unterstützung braucht, damit sich die Arbeitswelt und die neuen Jobprofile auch tatsächlich in Chancen für den Einzelnen im Job umsetzen lassen. Das geschieht alles in sehr guter Abstimmung mit dem Ministerium für Arbeit und Wirtschaft, mit den unterschiedlichen Branchenvertreter:innen und auch dem ÖGB und der Arbeiterkammer. Wir haben begonnen, Lehrberufe zu überarbeiten und zu definieren, was die Qualifikationen der Zukunft sind.
Danke für das Gespräch!