Arbeit&Wirtschaft: Nur noch 17 Jahre bis zur ausgerufenen Klimaneutralität. Sind wir in Österreich auf einem guten Weg?
Leonore Gewessler: Wir haben vor drei Jahren in Österreich eine Aufholjagd im Klimaschutz gestartet, und seither wurde eine Vielzahl von Klimaschutzgesetzen auf den Weg gebracht: vom Klimaticket bis zum Pfand, vom Erneuerbaren-Ausbau über den Bahnausbau bis hin zu Öffi-Rekordbudgets. Für 2022 sehen wir, dass die Emissionen zurückgegangen sind, und das erwarten wir auch für 2023. Aber wir sind noch längst nicht fertig, denn Klimaschutz ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Das heißt, wir brauchen die Dynamik, die wir jetzt gestartet haben, jedes Jahr bis 2040 – damit Österreich 2040 stolz sein kann, ein klimaneutrales Land zu sein, in dem die Menschen gut leben können.
Der APCC Report sagt, dass einkommensstarke Haushalte überproportional verantwortlich sind für den steigenden CO2-Ausstoß. Ist der Klimawandel möglicherweise die größte Verteilungsfrage aller Zeiten?
Wir müssen uns bewusst sein, dass die Klimakrise Menschen unterschiedlich betrifft. Wir sehen das jetzt schon im globalen Maßstab. Länder und Menschen, die am wenigsten dazu beigetragen haben, dass wir jetzt in dieser Situation sind, sind die, die am meisten darunter leiden. Und das gilt natürlich auch innerhalb reicher Gesellschaften des globalen Nordens. Auch dort ist die Betroffenheit von den Auswirkungen der Klimakrise unterschiedlich groß. Aber umgekehrt sind auch die Möglichkeiten unterschiedlich, wie man entweder sich selbst schützen oder auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Klimaschutz heißt Veränderung hin zu einer besseren Zukunft. Den Slogan der europäischen Klimaschutzpolitik „Leave no one behind“, also niemanden zurücklassen, müssen wir konstant mit Leben erfüllen. Dazu ein Beispiel aus Österreich: Heizungen, die mit fossilem Gas oder mit Öl betrieben werden, sind eine Kostenfalle und schlecht fürs Klima. Aber gerade einkommensschwache Haushalte haben nicht das Investitionskapital, um zu sagen: Ich tausche jetzt meine Heizung aus und baue stattdessen eine neue, klimafreundlichere und günstigere Heizung ein. Aus diesem Grund haben wir mit den Bundesländern eine Förderung auf den Weg gebracht, die einkommensschwachen Haushalten bis zu 100 Prozent der Kosten für den Heizungstausch ersetzt. Damit wollen wir sicherstellen, dass alle Teil der Lösung sind und diese Entwicklung hin zu mehr Klimaschutz auch mitmachen.
Das sind sehr viele Einzelmaßnahmen, aber wir brauchen einen großen Plan. Viele Menschen sind verzweifelt, weil sie sich die Energie-Voraus- und -Nachzahlungen nicht mehr leisten können. Was können wir also tun?
Einerseits müssen die Menschen in der aktuellen Krise der fossilen Energien unterstützt werden, sodass sie mit ihrem Geld auskommen. Die Inflation ist getrieben von hohen Gaspreisen. Wir haben im vergangenen Jahr eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht: den Antiteuerungs- und Klimabonus, den Heizkostenzuschuss, die Indexierung der Sozialleistungen, die Abschaffung der kalten Progression sowie Maßnahmen wie den Wohnschirm aus dem Sozialministerium. Und wir werden auch weiter, wo es notwendig ist, nicht nur hinschauen, sondern hingreifen und unterstützen.
Damit die Preise für Konsument:innen sinken?
Ja, und da kommen der Klimaschutz und die Energiewende ins Spiel. Es ist völlig klar, dass der Weg raus aus dieser Abhängigkeit, raus aus dieser Preistreiberei, aus der Erpressbarkeit durch Russland, die erneuerbaren Energien sind. Wir müssen jetzt in die Zukunft, in eine sichere, krisenfeste, günstigere Energieversorgung investieren. Denn die Sonne schickt uns keine Rechnung, Wladimir Putin schon. Und die kommt uns gerade sehr teuer.
Was sagen Sie Mindestpensionist:innen, die die soziale Rezession täglich spüren?
Genau deshalb haben wir Maßnahmenwie die Stromkostenbremse, den Klimabonus, den Heizkostenzuschuss, der über die Bundesländer ausgezahlt wird, und den Teuerungs- und Energiekostenausgleich auf den Weg gebracht. Alle diese Maßnahmen haben vor allem in den unteren Einkommensschichten die Krise abgefedert.
Stichwort Merit-Order-Regel: Das teuerste Kraftwerk bestimmt den Strompreis für alle anderen. Ist das im Sinne der Politik?
Denn letztlich bedeutet die Energiewende ja mehr Strom. Die Strompreisbildung muss sich auf europäischer Ebene ändern. Wir müssen sicherstellen, dass die Menschen in unserem Land schneller und direkter davon profitieren, dass wir jetzt schon einen sehr hohen und vor allem günstigen Erneuerbaren-Anteil – nämlich 75 Prozent – haben. Da Österreich in den europäischen Strommarkt eingebettet ist, brauchen wir dazu die EU. Für Anfang März ist ein Vorschlag der Kommission zur Reform der Strompreisbildung angekündigt: Die Erneuerbaren sollen vom Gaspreis entkoppelt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass günstigere Strompreise durch die Erneuerbaren auch tatsächlich bei den Menschen ankommen. Ganz wichtig ist, dass wir uns von kurzfristigen Preisschwankungen unabhängiger machen.
Stichwort Preis: Muss man regulierend in den Markt eingreifen?
Jeder Markt braucht Regulierung. Die Regeln, innerhalb deren sich der Strompreis bildet, sind Regeln, die vorgegeben sind. Und jetzt geht es darum, diese Regeln zu ändern, weil sie in einer Krise und in einem sich ändernden Stromsystem, wo der Anteil der erneuerbaren Energien höher wird, nicht mehr adäquat sind.
48 Prozent befürworten die Energiewende. Wir haben ja nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Mobilitätswende. Was sind die Pläne für die Zukunft, damit auch das abgesichert ist?
Damit wir den Klimaschutz in der Mobilität schaffen, brauchen wir einen starken Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Davon profitiert der Klimaschutz, denn jeder Kilometer im öffentlichen Verkehr ist ein Kilometer für den Klimaschutz. Und davon profitieren insbesondere einkommensschwache Haushalte, weil diese Menschen öfter im öffentlichen Verkehr unterwegs sind und häufiger kein Auto haben. Deswegen bauen wir auf Bundesebene die Infrastruktur mit Rekordinvestitionen in die Bahn aus. Mit dem Klimaticket haben wir sichergestellt, dass der öffentliche Verkehr leistbar bleibt.
Wie wichtig ist es, dass alle an Bord sind, auch die Unternehmen?
Sehr wichtig! Es kann nur gelingen, wenn alle mit an Bord sind: die Bundesländer, die in den öffentlichen Verkehr investieren, die Gemeinden, die mitmachen auf der letzten Meile, oder die Vereine und auch die Betriebe, die sich überlegen: Wie schaffen wir es, dass die Mitarbeiter:innen mit Mobilitätslösungen für ihren Weg in die Arbeit unterstützt werden können? Klar ist: Die Menschen müssen sich auf den öffentlichen Verkehr verlassen können.
Fakt ist, dass ungefähr drei Millionen Österreicher:innen keinen adäquaten Zugang zum öffentlichen Verkehr haben …
Den öffentlichen Verkehr auszubauen ist eine wichtige Basis – aus vielerlei Gründen. Aber wir werden auch 2030, 2040 und 2050 noch Auto fahren. Deswegen sind Beschlüsse auf europäischer Ebene, bei denen es darum geht, beim Pkw auf emissionsfreie Antriebe umzusteigen, für den Klimaschutz besonders wichtig.