„Machtmissbrauch hat System“

Ein Mann fasst eine Frau im Arbeitskontext an.
Machtmissbrauch zieht sich durch alle Branchen. Das weiß die Expertin Lena Marbacher. | © Adobe Stock/Seventyfour
Machtmissbrauch ist kein Randphänomen, sondern ein strukturelles Problem, das sich durch alle Berufssparten zieht. Im Interview erklärt die Autorin Lena Marbacher die Mechanismen hinter den Missständen und zeigt auf, warum wir mehr über Systembedingungen als über Einzelfälle sprechen müssen.
Die Zahl der Frauen, die bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben, ist erschreckend hoch. Umfragen von 2023 sagen, dass rund 58 Prozent der Frauen in Österreich irgendwann in ihrem Arbeitsleben davon betroffen sind. Doch warum kommt es so häufig zu Machtmissbrauch am Arbeitsplatz? Dieser Frage geht Lena Marbacher in ihrem neuen Buch „Arbeit Macht Missbrauch“ (erschienen 2024 im S. Fischer Verlag) nach und liefert eine schonungslose Kritik an Machtstrukturen.

Lena Marbacher
st Autorin und freie Journalistin. Sie spricht als Expertin über die Zukunft der Arbeit vor Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft sowie auf Konferenzen. Sie ist Gründerin des Wirtschaftsmagazins „Neue Narrative“.
Arbeit und Wirtschaft: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu bewogen hat, das Buch „Arbeit Macht Missbrauch“ zu schreiben?

Lena Marbacher: Es gab 2023 in Deutschland drei große Missbrauchs-Skandale, die viel Aufmerksamkeit bekamen: den um den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, den um Schauspieler Til Schweiger und den um Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein. Ich habe mich gefragt, warum gerade diese Fälle so viel Berichterstattung bekommen, wenn es doch in jeder Branche solche Vorfälle gibt.

Portrait Lena Marbacher Autorin des Buches Arbeit, Macht Missbrauch über sexuelle Belästigung.
„Die Menschen, die in unserer Gesellschaft generell diskriminiert werden, oft auch diejenigen, die Machtmissbrauch im Beruf erleben“, analysiert Lena Marbacher, Autorin und freie Journalistin. | © Sapna Richter
Was meinen Sie damit?

Machtmissbrauch hat System. Ich habe mir 15 sehr unterschiedliche Bereiche angeschaut, und in jedem Einzelnen passiert er. Wir sprechen sehr oft darüber, wie schlimm die Täter:innen sind, aber nicht über die Systeme und Bedingungen, die so etwas überhaupt möglich machen. Denn es sind immer dieselben Muster, wie Täter:innen vorgehen, immer ähnliche Kategorien von Betroffenen, oft dieselben Abläufe.

Was begünstigt solche Vorfälle?

Schauen wir auf die Arbeitswelt: Organisationen haben immer die gleiche Grundlogik. Hohe Positionen in einer Hierarchie enthalten formale Macht, dadurch soll Komplexität reduziert werden und sie sind prinzipiell kontrollierbar. Aber dadurch entstehen in den formalen Strukturen informale Lücken, wo Machtmissbrauch möglich ist. Es wird manipuliert, gemobbt, belästigt und übergriffiger Humor als Organisationskultur getarnt. Genau dort müssen wir als Gesellschaft und im Betrieb hinschauen.

Alle wissen, was passiert,
aber niemand sagt oder
unternimmt etwas dagegen. 

Lena Marbacher,
Autorin und freie Journalistin

Wie lässt sich das ändern?

Ein Unternehmen muss zuerst einmal bemerken, dass es zu solchen Vorfällen kommt. Diese Lücken müssen dann geschlossen werden, indem Regeln formuliert werden und geschultes Personal intern als Ansprechpartner:innen  zur Verfügung steht. Das ist auch in kleinen Unternehmen mit flachen Hierarchien besonders wichtig, weil hier kaum formale Strukturen gegeben sind. Wenn der oder die Geschäftsführer:in gleichzeitig Personalabteilung, Vertrauensperson und belästigende Person ist, wird es kompliziert.

Sie haben angesprochen, dass Opfer oft ähnlichen Personengruppen angehören. Welche meinen Sie konkret?

Insgesamt sind die Menschen, die in unserer Gesellschaft generell diskriminiert werden, oft auch diejenigen, die Machtmissbrauch im Beruf erleben. Dazu zählen Frauen, sehr junge oder alte Menschen, Personen mit Zuwanderungsgeschichte, Menschen mit Behinderung oder queere Menschen.

Cover des Buches Arbeit, Macht, Missbrauch von Lena Marbacher.

Machtmissbrauch passiert nicht im „Dunkeln“, sondern oft auch ganz offen sichtbar. Welche Rolle spielen dann die Kolleg:innen im Betrieb?

Man kann von einem duldenden Umfeld sprechen. Alle wissen, was passiert, aber niemand sagt oder unternimmt etwas dagegen. Die Umstehenden möchten oft nicht in den Fokus geraten, fühlen sich selbst unter Druck gesetzt oder stehen vielleicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Täter:innen, weil es zum Beispiel die Chefin ist. Aus der Forschung wissen wir aber: Wenn eine Person etwas sagt, folgen wahrscheinlich auch andere. Es muss klare Regeln geben, was im Fall von Machtmissbrauch passiert und Stellen, an die man sich wenden kann zum Beispiel der Betriebsrat.

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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 10. Dezember 2024 um 08:49

Was hat Sie an der Recherche zu Ihrem Buch besonders berührt?

Was mich am meisten erschüttert hat, ist, dass die Zahl der Vorfälle gesamtgesellschaftlich viel größer sein wird, als wir denken. Die Fälle, die an die Öffentlichkeit kommen, sind nur das sogenannte Hellfeld. Dinge in der Art passieren täglich und überall: Im Sportverein, im Konzern, in der Polizei, in Start-ups, dem Kindergarten, der Gastronomie und der Politik.

Wenn Sie bei sexueller Belästigung helfen wollen, selbst betroffen sind oder mehr Informationen zum Thema wollen, finden Sie hier Hilfestellungen: ÖGB (Erste Hilfe bei Mobbing) oder hier Arbeiterkammer (Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz).

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Über den/die Autor:in

Sandra Gloning

Sandra Gloning ist freie Online- und Print-Journalistin in Wien mit einem breiten Themenfeld rund um Frauen, Lifestyle und Minderheiten und dem Ziel, Geschichten aus dem echten Leben zu erzählen.

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