Ein Blick nach Vorarlberg, dem teuersten Bundesland zum Wohnen in Miete, zeigt, dass der Richtwert dort mit April 2022 von 8,92 auf 9,44 Euro pro Quadratmeter erhöht wurde. Günstiger ist die Bundehauptstadt Wien. Hier waren vor der Anpassung 5,82 Euro fällig, nun sind es 6,15 Euro. Besonders Menschen, die laut Mietrechtsgesetz (MRG) in Altbauten (errichtet vor dem 1. 7. 1953) oder in Gemeindebauwohnungen leben und einen Mietvertrag nach dem 28. 2. 1994 abgeschlossen haben, können davon betroffen sein. ‚Können‘, weil die Mietpreise nicht angehoben werden müssen. Speziell in privaten Mietsituationen ist die Wahrscheinlichkeit einer Anhebung jedoch hoch. Längst sind Mieten ein entscheidender Treiber der Teuerung.
Die Mietpreise im nicht geförderten Bereich sind von 2008 bis 2019 enorm gestiegen, wie die AK erhoben hat. Bei einer Inflation von 21 Prozent im Gesamtzeitraum stiegen die Mieten in Wien um 52 Prozent netto und im restlichen Österreich um 46 Prozent. „Im geförderten Mietbereich sind die Preise relativ stabil, doch im privaten Bereich explodieren seit 2008 die Kosten“, sagt Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunal und Wohnen in der AK Wien. Mit der Erhöhung der Richtwert- und Kategoriemieten müssen Mieter:innen zukünftig wohl noch weitere 140 Millionen Euro für ihre Wohnungen aufwenden. Allein im September 2022 war die Inflation in Österreich zweistellig. Es war die stärkste Teuerung seit dem Jahr 1952.
Lebenswertes und leistbares Wohnen
Eine wichtige Rolle bei leistbarem Wohnen spielen in Österreich Genossenschafts- und Gemeindebauwohnungen. Rund 180 gemeinnützige Wohnbauträger bewirtschaften eine Million Wohnungen. „Es gibt rund 220.000 Gemeindebauwohnungen, die Wiener Wohnen verwaltet“, sagt Bernhard Rubik, Sozialarbeiter bei Wiener Wohnen. Er ist viel bei den Menschen vor Ort unterwegs. In Wien sind 43 Prozent aller Wohnungen des Gesamtbestands Sozialwohnungen, also leistbare Gemeindebau- und Genossenschaftswohnungen. Im Europavergleich steht man damit gut da: In London und Paris liegt der Anteil bei knapp über 20 Prozent. In Berlin sind es nur 10 Prozent und in Hamburg 8 Prozent. Leistbar ist in diesen Städten das Wohnen oft nicht.
„Leistbares und lebenswertes Wohnen ist sehr überschneidend. Es muss die Wohnqualität passen, und natürlich muss das Wohnen an sich leistbar sein. Es bringt nichts, wenn ich schöne Wohnungen habe, die sich keiner leisten kann“, sagt Rubik. Der Sozialarbeiter kümmert sich um Mieter:innen, die in Mietrückstand geraten sind. Und er hilft, die Wohnungen für diese Menschen zu sichern – also sie vor einer drohenden Räumungsklage zu bewahren. „Für mich als Sozialarbeiter sind die Menschen wichtig, mit denen ich zu tun habe. Ich bin ein Fan davon, die Menschen als Ganzes zu sehen und nicht nur die Zahlen“, meint Rubik.
Ich bin ein Fan davon,
die Menschen als Ganzes zu sehen
und nicht nur die Zahlen.
Bernhard Rubik, Sozialarbeiter Wiener Wohnen
Mieter:innen im Krisenmodus
Ein anderer großer gemeinnütziger Wohnbauträger ist die WBV-GPA, Wohnbauvereinigung für Privatangestellte. 9.200 Wohnungen und 1.500 Heimeinheiten für Studierende, Senior:innen und wohnungslose Menschen werden in Wien, Niederösterreich und der Steiermark verwaltet. „Das günstigste Wohnen ist das geförderte Wohnen. In Österreich haben rund 80 Prozent der Menschen Zugang zu gefördertem Wohnraum. Eine Erhöhung des Volumens von neu gebauten geförderten Wohnungen würde einen ganz wesentlichen Beitrag zu leistbarem Wohnen bedeuten“, sagt WBV-GPA Geschäftsführer Michael Gehbauer.
Doch nicht jede:r kann sich die Miete noch leisten. Sogar Amnesty International hat die Probleme der Wohnungslosigkeit in Österreich angeprangert. Die multiple Krise aus Corona, Ukraine-Krieg und hoher Inflation setzt vielen Menschen zu. Sie sind gezwungen, bei Ausgaben zu sparen, und wenn das nicht mehr reicht, dann kann es passieren, dass auch die Miete nicht mehr fristgerecht bezahlt werden kann. Wenn dem so ist, dann droht eine Räumungsklage, die in weitere Folge zur Delogierung führen kann. „Sobald ein qualifizierter Mietrückstand besteht, kann eine Räumungsklage eingebracht werden. Ein qualifizierter Mietrückstand besteht dann, wenn eine Monatsmiete im Folgemonat zum Zeitpunkt der nächstfälligen Miete immer noch offen ist“, sagt die Leiterin der Fachstelle für Wohnungssicherung der Volkshilfe (FAWOS), Anne Wehrum.
Die FAWOS ist eine Beratungsstelle für Menschen, die in Gefahr sind, ihre Wohnung zu verlieren. Bei einer Räumungsklage gibt es einen gerichtlich geregelten Vorgang: Von Vermieter:innenseite muss zunächst eine Mahnung ausgesprochen werden, und sollte bis zum Fristablauf keine Zahlung erfolgt sein, dann kann eine Räumungsklage bei Gericht eingebracht werden. Ergeht daraus ein Urteil, braucht dieses vier Wochen, um rechtskräftig zu werden, und ab dann ist ein Räumungstermin möglich. „Der FAWOS ist es wichtig, dass sich die Menschen möglichst früh an sie wenden“, so Wehrum. Auch neunerhaus bietet betroffenen Menschen entsprechende Unterstützung. Und kämpft mit steigender der Nachfrage, wie die Jahresbilanz 2023 zeigt.
Wohnen auf Raten
Im Gemeindebau sind – anders als auf dem privaten Markt – nur Mieter:innen, die über einen sehr langen Zeitraum keine Miete bezahlen, gefährdet, ihre Wohnung zu verlieren. Mit den Unterstützungsangeboten versucht man, auch für diese Fälle Lösungen zu finden. Besonders in der von der Pandemie geprägten Zeit wurden beispielsweise mehr als 12.000 Ratenvereinbarungen bei Wiener Wohnen getroffen, um Wohnungen zu sichern. Hilfe zu leisten, das ist die Aufgabe von Bernhard Rubik. „Als Sozialarbeiter bekomme ich Rückstandsfälle, das heißt, die Wohnung für Leute zu sichern, die kurz vor der Delogierung stehen. Wir bekommen die Fälle zugeteilt, und dann versuchen wir, mit den Menschen Kontakt aufzunehmen – zuerst telefonisch, und wenn wir sie nicht erreichen, dann machen wir einen Hausbesuch“, so Rubik.
Wiener Wohnen ist der größte kommunale Hausverwalter Europas und hat kein Interesse daran, Menschen durch Delogierungen aus den Wohnungen zu drängen. „Wiener Wohnen versucht durch Ratenvereinbarungen und die enge Zusammenarbeit mit sozialen Stellen der Stadt, darauf zu schauen, dass man die Mieter:innen möglichst gut unterstützen kann“, sagt Rubik. Dass es bei vielen Menschen knapp mit den Finanzen geworden ist, das merkt man auch bei der FAWOS. Die Tendenz bei den Beratungsgesprächen steigt. Im Jahr 2020 führte man 1.500 Erstberatungen durch, 2021 1.700, und im ersten Halbjahr 2022 waren es bereits 1.300 Haushalte, die um Hilfe anfragten. „Mit den anstehenden Energiepreiserhöhungen ist davon auszugehen, dass dies für viele Menschen bedeutet, dass die Miete nur noch schwer oder gar nicht mehr leistbar ist, da die Mieten ohnehin bereits im Verhältnis zum Einkommen oft sehr hoch sind“, meint Wehrum. Schon jetzt ist Energiearmut ein dramatisches Problem.
Wohnschirm als Hilfsfonds
Infolge der Pandemie verloren viele Menschen ihre Arbeit oder wurden auf Kurzarbeit umgestellt. Daher forderte die Arbeiterkammer bereits im Frühjahr 2021 von der Regierung, dass reagiert werden müsse und es einen Hilfsfonds für Menschen braucht, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Nach einigen Monaten wurde reagiert und der „Wohnschirm“ des Sozialministeriums eingerichtet. Dieser startete zum Jahreswechsel 2021/2022 und ist als Wohnungssicherung und Delogierungsprävention für COVID-19-bedingte Mietrückstände gedacht.
„Unsere Forderung war die Schaffung eines Wohnfonds. Dieser Fonds heißt jetzt Wohnschirm“, so Ritt. Der Schirm wird über die bereits vorhandenen Beratungsstellen abgewickelt. Man bekommt dort Beratung, und es wird geprüft, ob die Wohnsituation langfristig haltbar ist. Gegebenenfalls ist es über den Wohnschirm auch möglich, dass ein Umzug in eine günstigere Wohnung finanziert wird. „Der Wohnschirm ist grundsätzlich eine positive Maßnahme und sehr sinnvoll“, meint Gehbauer von der WBV-GPA. Und bei der FAWOS sieht man ebenfalls die Vorteile. „Auch die Möglichkeit, dass um eine Pauschale für einen Wohnungswechsel angesucht werden kann, ist eine sehr gute Hilfestellung, da oftmals Wohnraum nur gesichert werden kann, indem ein Haushalt in eine für ihn leistbare Wohnung umzieht“, so Wehrum.
Heimelige Wohnpolitik
Der Wohnschirm, der ursprünglich bis Ende 2023 laufen sollte, wurde nun bis 2026 verlängert. Und die Dotierung wurde von 24 auf 60 Millionen Euro angehoben. Außerdem wurde er um die Energiekosten erweitert. Ein Parlamentsbeschluss liegt bereits vor, und die genauen Umsetzungsrichtlinien sollen demnächst folgen. „Alles in allem ist der Schirm deutlich flexibler als eine normale Mietzinsbeihilfe. Die Kombination aus individueller Beratung und Geldmitteln, die zur Verfügung stehen, ist bei diesem System sehr vorteilhaft“, meint Ritt.
Der Wohnschirm ist reaktiv ein gutes Mittel, um Menschen zu helfen, jedoch braucht es eine aktive Wohnbaupolitik, die ausreichend leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellt. „Aus meiner Sicht als Sozialarbeiter müsste sich strukturell einiges ändern. Je mehr leistbares Wohnen, desto besser. Ein paar Korrekturen beim Sozialhilfegrundsatzgesetz wären ebenfalls dringend notwendig, um langfristig ein soziales Sicherungsnetz zu schaffen“, so Rubik.
Durch die Novelle der Neubauverordnung 2022 für Wien wurde die Förderung der Stadt Wien zum Bau von leistbaren Wohnungen kürzlich deutlich erhöht. So gab es eine Anhebung der Sockelfördersätze um 60 Prozent bzw. 300 Euro pro Quadratmeter, also von bisher 510 bis 700 Euro auf jetzt 810 bis 1.000 Euro. Damit ist der soziale Wohnbau weiterhin gesichert.
Hoffnungsträger geförderter Wohnbau
Das Gesamtvolumen der Wohnbauförderungen zu erhöhen ist eine Forderung der WBV-GPA. Ein weiteres Thema, wo es eine Lösung braucht, sind private Bauträger, die viel Geld in Neubauten investieren und diese als Spekulationsobjekte verwenden. Oftmals stehen Wohnung und ganze Häuserblöcke leer. „Das nimmt wichtige Bauplätze weg, treibt die Grundstückspreise in die Höhe, und es verhindert sozialen Wohnbau, da es dort einen Deckel für den Grundstückspreis gibt“, sagt Ritt.
Wenn es in Österreich weiterhin leistbaren und lebenswerten Wohnraum geben soll, dann ist der geförderte Wohnbau der zentrale Bestandteil – und das schon aus Gründen der Demografie. Die Statistik Austria prognostiziert, dass Wien in wenigen Jahren die Zwei-Millionen-Einwohner:innen-Grenze überspringen und Österreichs Bevölkerung bis 2030 von 8,9 auf 9,25 Millionen Menschen anwachsen wird. All diese Menschen brauchen leistbaren und lebenswerten Wohnraum. Und noch immer ist der Gemeindebau, eine bauvisionäre Errungenschaft nach dem Ersten Weltkrieg, eine Strategie, die Zukunft hat.
Wien baut deshalb wieder Gemeindewohnungen – rund 5.500 werden bis 2025 in der Umsetzung sein. Im Oktober wird der sechste neue Gemeindebau in Meidling bezogen. Sozialarbeiter Rubik unterstreicht das: „Auch wenn der Gemeindebau Weltklasse ist, darf man sich nicht auf den Errungenschaften der Vergangenheit ausruhen!“ Zumal es langfristige Lösungen braucht.