Alarmierender Befund
- Spanien: mehr als 300.000 Menschen wurden aufgrund der Austeritätspolitik der EU aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt
- Niederlande: aufgrund einer Gesetzesänderung verloren nach einer Klage 650.000 Menschen den Zugang zu geförderten Wohnungen
- Frankreich: Sozialwohnbauträger müssen nach einem Beschluss der Regierung Macron jedes Jahr ein Prozent ihres Bestands verkaufen
- Irland: Zehntausende Familien leben nach Verlust ihrer Wohnungen in Frühstückspensionen
In Irland leben Zehntausende Familien nach dem Verlust ihrer Wohnungen in Frühstückspensionen. Dublin baut jetzt ein neues kommunales Wohnungswesen auf. In Schottland sind 7.000 Kinder mit ihren Eltern in Obdachloseneinrichtungen untergebracht. In Bratislava sind die Wohnkosten derart gestiegen, dass Familien in österreichische Grenzgemeinden ausweichen. In Lissabon wird fast jede dritte Wohnung für touristische Kurzzeitvermietung verwendet, die Stadt will jetzt gemeinnützige Genossenschaften als neue Wohnform einführen. In Griechenland wurde der Schutz vor Zwangsräumungen von der EU-Troika aufgehoben – in einem Land, in dem es keine Sozialwohnungen gibt.“ In Griechenland müssen fast 40 Prozent der Menschen mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufwenden.
Erschreckend sei dabei aber vor allem auch: Dadurch, dass Einkommen stagnieren und Wohnkosten steigen, seien auch immer mehr Personen und Familien mit mittleren Einkommen betroffen. „Die Wohnungskrise ist im Mittelstand angekommen“, hält Kauer fest. Verschärft hat sich die Wohnungskrise in den vergangenen zehn Jahren seit Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, und dabei vor allem in den Städten. Als Grund nennt Kauer einerseits sinkende Investitionen durch die öffentliche Hand (bedingt durch Sparbudgets und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien), andererseits aufgrund des niedrigen Zinsniveaus „das Zunehmen hochspekulativer Aktivitäten von global agierenden, institutionellen Investoren auf den Wohnungsmärkten, die die Grundstückspreise und Wohnkosten in schwindelnde Höhen treiben“. Die Wohnungsmärkte seien damit von Marktversagen geprägt. Doch Wohnen sei ein Grundbedürfnis von Menschen.
Die Wohnungskrise ist im Mittelstand angekommen.
Michaela Kauer, Koordinatorin der EU-Städtepartnerschaft Wohnen
Europäische Bürgerinitiative „Housing for All“
Dieses sicherzustellen, ist den Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative für leistbares Wohnen – „Housing for All“ – ein Anliegen. „Wir fordern daher von den EU-Gesetzgebern bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für mehr bezahlbares und soziales Wohnen“, betont Karin Zauner, eine der SprecherInnen der Initiative. Sie ist in Wien im Bereich des öffentlichen Wohnbaus tätig, auf internationalen Konferenzen hat sie sich über die Jahre europaweit vernetzt.
Wir fordern von den EU-Gesetzgebern bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für mehr bezahlbares und soziales Wohnen.
Karin Zauner, Sprecherin der Initiative „Housing for All“
So entstand auch die Idee, hier auf EU-Ebene etwas auf die Beine zu stellen, erzählt sie im Gespräch mit A&W. Schön sei zu sehen, dass in Wien „viel richtig gemacht wurde“. Wien sei daher bis heute ein Best-Practice-Modell – „auch wenn es immer noch Luft nach oben gibt und auch Wohnen in Wien zunehmend teurer wird, denn die Preise ziehen an“. 60 Prozent der Menschen in Wien leben übrigens entweder in einem Gemeindebau oder in einer Genossenschaftswohnung.
Die Forderungen
Da Wohnen nationale Aufgabe ist und es hier keine EU-Vorgaben gibt, war es wichtig, bei den Forderungen der Bürgerinitiative Dinge anzusprechen, die Gemeinschaftsrecht sind, so Zauner. Geeinigt habe man sich daher auf folgende Forderungen:
1.Erleichterung des Zugangs für alle zu leistbarem und sozialem Wohnbau 2.Keine Anwendung der Maastricht-Kriterien auf öffentliche Investitionen in leistbaren Wohnbau 3.Besserer Zugang zu EU-Finanzmitteln für gemeinnützige und nachhaltige Wohnbauträger 4.Soziale und wettbewerbsgerechte Regeln für Kurzzeitvermietungen über Online-Plattformen 5.Kleinräumige, statistische Erfassung des Wohnbedarfs in Europa.„Es geht um die Rahmenbedingungen“, erklärt Zauner. Was dürfe der Staat fördern? Wie könne die öffentliche Hand trotz Fiskalregeln – Stichwort: Begrenzung der Neuverschuldung – in soziale Wohnbauten investieren? Sie gibt zu bedenken, dass mit Wohnungen gleichzeitig auch Vermögen geschaffen werde. Das sei zu berücksichtigen.
Unterstützung der Bürgerinitiative
In jedem Mitgliedsland, in dem die Initiative aufliegt (es müssen sich mindestens sieben Staaten beteiligen, bei dieser Initiative sind es 15), muss zudem eine Mindestanzahl an Unterschriften erreicht werden. In Österreich sind 13.500 Einträge nötig. Zauner ruft hier nicht nur zum Unterzeichnen auf, sondern würde sich auch über Mithilfe bei der Kampagne freuen. „Wir haben nur sehr wenig Budget – unsere Stärke muss die Solidarität sein.“
Auch Kauer unterstützt die Bürgerinitiative. Diese habe einige der zentralen Forderungen des Aktionsplans der Städtepartnerschaft aufgegriffen, „was sehr erfreulich ist und eine wichtige Unterstützung beim institutionellen Umsetzungsprozess auf EU-Ebene darstellt, der noch vor uns liegt“. BürgerInnen könnten hier ein Zeichen setzen und die Europäische Union im Sinn der Menschen und des Menschenrechts auf Wohnen mitgestalten.