Lehrlingscampus der Wiener Linien: Gut Ding braucht Feile

Eine Auszubildende feilt ein Stück Metall am Lehrcampus der Wiener Linien.
Am Anfang geht’s ans Feilen: Auch Angelique Weiss lernt so das genaue Arbeiten und bekommt dabei ein Gefühl für unterschiedliche Materialien. | © Markus Zahradnik
In der Kunst der Montage, Herstellung und Reparatur bis hin zur Restaurierung üben sich die Wiener Linien in ihrer Simmeringer Hauptwerkstätte – mit Fingerspitzengefühl werden zukünftige Fachkräfte auf dem Lehrlingscampus ausgebildet.
Es schwirrt der kratzige Klang von Metall an Metall durch die Luft. Feilen flitzen über in Zwingen gespannte Werkstücke, im Hintergrund läuft in gedämpfter Lautstärke Radio Wien. Erst im vergangenen Herbst eröffnete die neue Lehrwerkstätte auf rund 5.700 Quadratmetern. Sie ist Teil des Lehrlingscampus der Wiener Linien am Standort der Hauptwerkstätte Simmering. Verglichen mit der 64.000 Quadratmeter großen tatsächlichen Werkshalle ist das eine geradezu überschaubare Größe. Das gesamte Areal an der Simmeringer Hauptstraße misst gigantische 264.000 Quadratmeter. Mitarbeiter:innen, die sich kreuz und quer über das Gelände bewegen müssen, nutzen deshalb Fahrräder. Und noch ein kleiner Superlative: Hier lagern etwa 15.000 Ersatzteile für Schienenfahrzeuge.

Lehrlingscampus der Wiener Linien: Präzisionsarbeit

Soeben sind zehn junge Menschen auf dem Lehrlingscampus der Wiener Linien ausschließlich auf ihr zu bearbeitendes Stück Stahl fokussiert. Sämtliche Mobiltelefone müssen während des Tages, also zwischen sieben Uhr morgens und 15 Uhr, ruhen. „Beim Feilen kann der Stahl schon ein harter Gegner sein“, erklärt uns Daniela Steiner, Leiterin des Lehrlingscampus.

Ein Klavier, an dem verschiedene Werkzeuge befestigt sind.
Musik in der Luft: Um den Unterricht spannend zu gestalten, werden auch einige Spielereien programmiert. | © Markus Zahradnik

Um das Material an das vorgegebene Sollmaß anzupassen, bedarf es zu Beginn reichlich Kraft, gefolgt von immensem Feingefühl. Die Toleranzgrenze ist äußerst niedrig – passt das Stück nicht millimetergenau, lässt es sich final auch nicht mehr montieren. Die hohe Kunst des akribischen Feilens mit der Hand ist trotz „ausgefeilter“ Computertechnik auch heute noch Standard in der Ausbildung vieler technischer Berufe. Die Jugendlichen sollen ein Gefühl für das genaue Arbeiten an den Werkstoffen bekommen. Nicht grundlos kursiert die abgewandelte Redensart „Gut Ding braucht Feile“ durch die Lehrwerkstätte. Für manche Lehrlinge soll die Präzisionsarbeit charakterbildend sein, für andere ist sie oft eine Qual.

Angelique Weiss.
„Feilen, sägen, bohren – das saubere Arbeiten finde ich schon sehr cool“, sagt Angelique Weiss. | © Markus Zahradnik

Angelique Weiss ist eine von drei jungen Frauen der zehnköpfigen Gruppe. Sie absolviert das erste Jahr der Doppellehre Elektrotechnik und Mechatronik hier auf dem Lehrlingscampus der Wiener Linien. Während einer zweitägigen Schnupperpraxis konnte sich die 18-Jährige beim Löten einiger Werkstücke versuchen und überzeugte die Ausbildner:innen. Angelique erhielt das sogenannte „Golden Ticket“, eine Zusage für einen Lehrplatz ganz ohne die sonst erforderlichen Bewerbungsrunden. Diese gelten als relativ schwierig, immerhin kommen allein rund 20 Bewerber:innen auf nur einen Lehrplatz. Beinahe alle Lehrlinge werden übernommen, der Statistik zufolge mehr als 90 Prozent. Zukünftig sind sie unter anderem für die Wartung und Reparatur von U-Bahn, Straßenbahn, Bus und die Infrastruktur der Stationen verantwortlich.

Tram 71 fährt exklusiv

Frühmorgens rattert der 71er nicht bloß am Zentralfriedhof vorbei nach Kaiserebersdorf, sondern auch mitten ins Hauptwerkstättengelände der Wiener Linien. Kurz vor fünf Uhr morgens läutet der Wecker von Angelique Weiss. Pünktlich um sieben Uhr beginnt sie ihren Arbeitstag auf dem Lehrcampus der Wiener Linien. Dass sie so zeitig aus dem Bett muss, stört sie kein bisschen – als Morgenmensch würde sie gern früher beginnen. „Feilen, sägen, bohren – das saubere Arbeiten finde ich schon sehr cool“, schwärmt die Wienerin, die sich aber auch für Elektrotechnik begeistern kann. Abgesehen von der elektronischen „Fuzelarbeit“, die sie nicht täglich haben muss.

Ein aus Kupferdrähten gelötetes kleines Fahrrad und ein kleiner Hirsch.
Als kleine Fingerübung werden Modelle gelötet um ein Gefühl für die Technik zu bekommen. | © Markus Zahradnik

Bevor Angelique ihre Lehre begann, besuchte sie eine HTL und musste dort viel programmieren. „Ich wollte aber lieber etwas Handwerkliches machen“, erzählt sie, und so schnupperte sie bei den Wiener Stadtwerken und entschied sich dann für die Wiener Linien. Allerdings ist die Jugendliche erblich ein wenig vorbelastet, zumal ihre Mutter als Straßenbahnfahrerin in Wien unterwegs war. „Später möchte ich auch die Qualifikation zur Werkmeisterin machen“, ist sich Angelique Weiss über ihre Zukunft erst mal gewiss.

Gesunde Mischung auf Lehrlingscampus der Wiener Linien

„Mädchen haben eine andere Sichtweise auf die Technik“, weiß Leiterin Daniela Steiner, die vor 14 Jahren selbst als Lehrling bei den Wiener Linien begonnen hat. Gemeinhin gelten junge Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen als besonnener bei ihrer Berufswahl. Entscheiden sie sich für eine technische Ausbildung, dann auch mit dem Wissen, worauf sie sich einlassen. In der Lehrlingsgruppe schafft das eine „tolle Ergänzung“, freut sich Steiner. Mädchen bringen die nötige Ruhe in die Runde und sorgen auch für bessere Umgangsformen bei den Burschen. „Gemischte Gruppen sind auch erfolgreicher, sie kommen sehr schnell auf innovative Lösungen“, weiß die Lehrlingscampus-Leiterin und ausgebildete Kraftfahrzeugtechnikerin aus Erfahrung.

Daniela Steiner und Simon Schoiswohl-Hüterer leiten die Ausbildung am Lehrlingscampus der Wiener Linien.
Daniela Steiner leitet den Lehrlingscampus der Wiener Linien. Simon Schoiswohl-Hüterer ist Ausbildungsleiter. Das Credo der beiden: möglichst flache Hierarchien, aber klare Vorgaben. | © Markus Zahradnik

Die Wiener Linien setzen bei ihrer Ausbildung daher gezielt auf gemischtgeschlechtliche Ausbildung und junge Menschen, die nicht stillstehen wollen. „Das Interesse an Technik, Innovationen und der eigenen persönlichen Entwicklung ist das Wichtigste“, erklärt Steiner und vermittelt das auch den Lehrlingen – aktuell werden 366 junge Menschen von 36 Ausbildner:innen geschult. „Wir müssen immer offen für Veränderung sein, denn die Technik entwickelt sich stetig weiter, und nichts, was heute gelernt wird, ist in Stein gemeißelt.“

Handwerkliches Gespür

Seit Steiners Lehrzeit hat sich das Berufsbild der Kfz-Mechaniker:innen stark verändert. „Wir haben die Motoren zerlegt und Kolbenringe getauscht – damals haben sich die Mechaniker:innen noch in den Motor eingefühlt und hineingehört, um einen Fehler zu finden. Das konnte Stunden dauern.“ Wehmütig ist sie deshalb, getreu der Devise ständiger Weiterentwicklung, keineswegs. Das genaue Hinhören ist der Arbeit mit dem Computer überwiegend gewichen: Mechaniker:innen wählen sich mit einem Endgerät in das Fahrzeug ein. Statt also das Ohr ans Fahrzeugherz zu legen, filtert etwa das Notebook anhand verschiedener elektronischer Komponenten die Problemstellung heraus. Freilich, ein handwerkliches Gespür brauchen die Mechaniker:innen noch immer, ein kaputtes Radlager beispielsweise wird von einem Sensor in der Regel (noch) nicht erkannt.

Daniela Steiner: „Wir müssen immer offen für Veränderung sein, denn die Technik entwickelt sich stetig weiter.“ | © Markus Zahradnik

Auf dem Lehrlingscampus der Wiener Linien muss es eine Fehlerkultur geben, ist Daniela Steiner überzeugt: „Mir ist es wichtig, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Lehrlinge müssen fragen dürfen, wenn sie etwas nicht verstanden haben und ich es erklären soll.“ Die Ausbildung orientiert sich stark am Wissensstand der Lehrlinge. „Wir ziehen den Lehrplan nicht einfach stur durch, sondern schauen auf die Stärken und Schwächen unserer Jugendlichen.“ Mancher Lehrinhalt wird vielleicht erst später unterrichtet, dafür ein anderer vorgezogen. Entscheidend ist, dass am Ende der Lehre (meist nach vier Jahren) die Fähigkeiten und das Wissen auch angewendet werden können. Natürlich wird von den jungen Menschen auch sehr viel gefordert: „Wenn ich in einem Team arbeite, muss ich meinen Kolleg:innen zu 100 Prozent vertrauen, mich auf sie verlassen können und umgekehrt.“ Das fängt bei der Pünktlichkeit an, geht über die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften und reicht bis zur fehlerfreien Montage oder Kontrolle.

Ein Arbeitsplatz mit verschiedenen Computern.
Ordnung und Sauberkeit, so klischeehaft es klingt, es ist die Basis für genaues und fehlerfreies Arbeiten. | © Markus Zahradnik

Hierarchie auf dem Lehrlingscampus der Wiener Linien

Daneben bieten die Wiener Linien ihren Lehrlingen auch Trainings in Team-Entwicklung und Konfliktmanagement oder Kommunikationsworkshops zur Persönlichkeitsentwicklung an. Lehrlingscampus-Leiterin Steiner: „Zu Beginn sind sie noch das Schulsystem gewohnt, und da ist es ganz wichtig, dass wir diese Lehrzeit nutzen, um die Jugendlichen auf andere Rahmenbedingungen vorzubereiten.“ Das heißt: konzentriertes Arbeiten, um Fehler zu vermeiden. Themen wie Disziplin, offene Kommunikation und Konsequenz sind so wichtig für das Unternehmen wie Hierarchie und Technik.

„Die Hierarchie ist ganz essenziell, um klare Strukturen vorzugeben und Kommunikationswege einzuhalten. Disziplin gehört zu unserer Unternehmenskultur – es braucht sie, um Arbeitsaufträge auch zeitgerecht und fehlerfrei abschließen zu können“, erklärt Steiner ihre Sicht der Dinge. Es sei wichtig, dass sowohl Eigenverantwortung als auch Hierarchie in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, um effektive Zusammenarbeit und gute Ergebnisse zu erzielen. In einigen Fällen kann es notwendig sein, die Hierarchie zugunsten von mehr Eigenverantwortung zu lockern, um Innovation und Kreativität zu fördern. „Es ist jedoch auch wichtig, die Grenzen zu respektieren und sicherzustellen, dass die Einhaltung von Regeln und Richtlinien gewährleistet ist.“

Jugendvertrauensrat Florian Schlögl arbeitet in der Werkstatt vom Lehrlingscampus der Wiener Linien.
Jugendvertrauensrat Florian Schlögl arbeitet gerne am Schaltkasten. Bei komplexeren Schaltungen ist es wichtig, den richtigen Widerstand zu finden. | © Markus Zahradnik

Die Jungen bei Laune halten

Ganze zwei Jahre verbringen die Lehrlinge in der Lehrwerkstätte, bevor sie das erste Mal an leibhaftige Straßenbahnen, Busse oder U-Bahnen randürfen. „Da müssen wir sie schon bei Laune halten“, macht Roman Simek, Ausbildner von Angelique Weiss, deutlich. „Deshalb versuche ich halt, die Lehre so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten.“ Dazu gehört etwa die Konstruktion kleiner Motoren, die hiernach mittels 3-D-Drucker Gestalt annehmen, oder der Bau einer intelligenten kleinen Waage, auf der eine volle Wasserflasche steht. Weil die Lehrlinge während des Unterrichts zu wenig trinken, gibt sie laute Geräusche von sich, sollten innerhalb einer halben Stunde weniger als 0,2 Liter getrunken werden. Florian Schlögl ist im zweiten Lehrjahr und wurde vor Kurzem zum Jugendvertrauensrat gewählt.

Roman Simek schaut ein Werkstück. Daneben steht Angelique Weiss.
Null Toleranz: Ausbildungsleiter Roman Simek kontrolliert ein Werkstück. Ein Millimeter Abweichung ist oft zu ungenau. | © Markus Zahradnik

Zur Gewerkschaftsjugend kam der Wiener, weil er sich gerne für andere Menschen einsetzt. „Die Gewerkschaft hat sich in der Firma vorgestellt, da habe ich diese Aufgabe für mich entdeckt“, erzählt Florian, der bereits in der Schule Klassensprecher war. Er hat sich für die Lehre mit Matura entschieden. Dafür musste er im ersten Lehrjahr in der Berufsschule einen Notendurchschnitt von 1,5 oder niedriger erreichen. Die Ausbildung schätzt der 20-Jährige sehr: „Wir machen das Elektronische, wir machen Bauinstallationen oder Schaltkästen, und ich liebe es, Schaltkreise zu bauen.“ Das Lernen in der Gruppe spornt Florian an, immer gut sein zu wollen – auf keinen Fall aber der Schlechteste. In seiner Freizeit hat er die Astronomie für sich entdeckt und möchte sich demnächst ein Teleskop zulegen. „Dabei interessieren mich die Planeten nicht so sehr, eher sind es das tiefe Schwarz oder neue Galaxien.“

Wer weiß, ob sich die Wiener Linien nicht auch einst in die Lüfte schwingen. Technisch ist schließlich nichts in Stein gemeißelt, und alles ist in Bewegung. Mit der Entwicklung des Lehrlingscampus ist Daniela Steiner jedenfalls mehr als zufrieden. „Ich habe das Gefühl, dass die Lehrlinge wesentlich mehr Mut haben, Sachen anzusprechen, als noch vor zehn Jahren. Und sie scheuen sich dabei auch nicht, auf kritische Punkte einzugehen.“ Denn schließlich ermöglicht es die konstruktive Kritik Ausbildner:innen und Lehrlingen, einfach noch besser zu werden.

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