„Kollektivvertragsverhandlungen sind für uns in Österreich zu einer Selbstverständlichkeit geworden“, so Peter Schleinbach, Bundessekretär der Gewerkschaft PRO-GE. Vor allem im Vergleich zu anderen Ländern wird die Besonderheit der österreichischen Kollektivvertragslandschaft deutlich: Sie liegt darin, dass fast jeder bzw. jede Beschäftigte durch einen Kollektivvertrag (KV) erfasst ist. „Für uns sind Kollektivverträge zum Normalfall geworden, aber wenn man bedenkt, dass es eigentlich keine gesetzliche Basis für jährliche Lohnerhöhungen gibt, ist es umso bemerkenswerter, dass die Kollektivvertragsarbeit kontinuierlich weitergeht.“
Kollektivverträge sind ein Werkzeug, um Gesetze auszubauen, Gesetzesbestimmungen zu verbessern und an die jeweilige Branche mit ihren spezifischen Bedürfnissen anzupassen und zu individualisieren.
Canan Aytekin, Leiterin der Fachbereiche der Gewerkschaft vida
Kollektivverträge regeln jedoch mehr als nur die Mindestentlohnung von Beschäftigten. Das betont auch Canan Aytekin, Leiterin der Fachbereiche der Gewerkschaft vida: „Kollektivverträge sind ein Werkzeug, um Gesetze auszubauen, Gesetzesbestimmungen zu verbessern und an die jeweilige Branche mit ihren spezifischen Bedürfnissen anzupassen und zu individualisieren“. Aber wie entsteht nun ein guter Kollektivvertrag und woran misst man seinen Erfolg?
Kollektivvertragsverhandlungen: Der Kontext macht die Musik
Wenn Peter Schleinbach den Raum betritt, um über Kollektivvertragsverhandlungen zu sprechen, folgt ihm all das Wissen über die hunderten Kollektivverträge, die er für die unterschiedlichen Branchen und Berufsgruppen der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) über die Jahre als einer der Hauptverhandler durchgesetzt hat. Einen Kollektivvertrag herauszuheben und als erfolgreich zu bezeichnen, das ist schwierig. Denn im Grunde sind es die Umstände der Verhandlungen, die letztendlich ausschlaggebend sind. Kontinuität unter guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu erzielen, ist das eine. „Aber auch unter schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Qualität der Vertragsverhandlungen nicht darunter leidet, das ist die eigentliche Herausforderung“, betont Schleinbach.
Auch unter schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass die Qualität der Vertragsverhandlungen nicht darunter leidet, das ist die eigentliche Herausforderung.
Peter Schleinbach, Bundessekretär der Gewerkschaft PRO-GE
Das Fazit seiner Erfahrungen in der Rolle als Bundessekretär der PRO-GE? „Ausverhandelte Konditionen müssen immer im entsprechenden Kontext gesehen werden. Oft sind es nicht die Ergebnisse, die als Erfolgsindikator einer KV-Verhandlung gesehen werden sollten. Es ist vielmehr die Mühe, die aufgewendet wurde, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, die ein wichtiges Barometer für die Größe eines Erfolges darstellt.“ Der KV-Experte führt als Beispiel das folgende Szenario an: „Eine zweiprozentige Lohnerhöhung zu erreichen, in die viel Mühe fließt, kann ebenso beeindruckend sein wie eine dreiprozentige Lohnerhöhung in einer gewinnbringenden Branche.“
Der Erfolg von Kollektivverträgen: die Summe kleiner Triumphe
Wenn man über die Erfolge der Kollektivvertragsverhandlungen der letzten Jahre spricht, gilt es, sich eines vor Augen zu halten: Es geht nicht so sehr um die einzelnen Teilerfolge, die im Zuge der Kollektivvertragsarbeit für ArbeitnehmerInnen erreicht werden konnten. „Vielmehr ist es die Kontinuität der Kollektivvertragsqualität und die über die Zeit kumulierten Errungenschaften für die Beschäftigten“, argumentiert Peter Schleinbach.
- Vollständige Anrechnung der Karenzzeiten in der Metall- und Elektrobranche
- Weitgehend Mindestlohn 1.500 Euro
Exemplarisch hebt er jedoch einzelne Erfolge heraus, die die Produktionsgewerkschaft PRO-GE in den vergangenen Jahren für die ArbeitnehmerInnen der unterschiedlichsten Branchen umsetzen konnte: So ist in der Metall- und Elektrobranche die vollständige Anrechnung der Karenzzeiten gelungen. In der Metallindustrie konnte nach jahrzehntelangem Bestreben durchgesetzt werden, dass der 31. Dezember arbeitsfrei ist. Außerdem profitieren viele Branchen davon, dass die Durchsetzung eines Mindestlohns von monatlich 1.500 Euro im Wesentlichen abgeschlossen wurde.
Die strukturelle Zusammenführung von KV-Bereichen zu größeren KV-Einheiten hat einen Beitrag dazu geleistet, die Verhandlungsmacht auf Gewerkschaftsseite auszubauen, wie dies beispielsweise in der Textil- und Lederindustrie der Fall war. Das gemeinsame Lohnsystem von Angestellten und ArbeiterInnen sowie der Monatslohn im Metallgewerbe stellen für Schleinbach ebenfalls wichtige Schritte für die historisch gute Entwicklung der Kollektivverträge dar.
Errungenschaften gehen weit über den Mindestlohn hinaus
Canan Aytekin lässt die KV-Erfolge der Gewerkschaft vida Revue passieren. Bei den an die 50 bis 60 Kollektivverträgen, die jährlich im Referat Fachbereiche der vida verhandelt werden, ist die Bandbreite der Errungenschaften sehr groß. Auch bei der vida war ein bedeutendes Projekt, das im Laufe der letzten zwei Jahre große Priorität hatte, die Anhebung des Mindestlohns auf 1.500 Euro monatlich. Konkret ging es dabei um zirka 20 Kollektivverträge, bei denen der Mindestlohn unter diesem Betrag lag. „Bei fast allen davon konnte die Forderung nach mindestens 1.500 Euro monatlich durchgesetzt werden. Dort, wo die Differenz zu groß war, konnten wir uns mit der Arbeitgeberseite unter anderem auf Stufenpläne für das schrittweise Annähern zum gewünschten Mindestlohn einigen“, resümiert Aytekin.
Doch es kommt nicht nur auf die Entlohnung selbst an. Auch die Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten ist ein wichtiger Bestandteil von Kollektivverträgen. In den Branchen, in denen dies bereits durchgesetzt wurde, haben Beschäftigte die Möglichkeit, gleich in einer höheren Lohnstufe einzusteigen, um nach einem Jobwechsel nicht wieder ganz unten beginnen zu müssen. Zu den weiteren Errungenschaften zählen unter anderem auch die Arbeitszeitverkürzung in einigen Branchen von 40 Wochenstunden Normalarbeitszeit auf 38,5 bzw. 38 Stunden oder die Ausweitung der Karenzzeitenanrechnung, die in unterschiedlichem Ausmaß in den verschiedenen Branchen eine deutliche Verbesserung zum Gesetz darstellen.
Besonders herausheben möchte Aytekin die Bemühungen um die sechste Urlaubswoche im Zuge der Kollektivvertragsarbeit. Dabei geht es ihr vor allem darum, „die starren gesetzlichen Regelungen flexibler zu gestalten“. Angestrebt wird daher nicht nur die generelle Einführung der zusätzlichen Urlaubswoche, sondern auch ein schnelleres Erreichen zusätzlicher Urlaubstage im Allgemeinen, gekoppelt entweder an das Lebensjahr oder die Betriebszugehörigkeit. Einer der besonderen Erfolge dieses Jahres? „Seit 1. Mai 2018 haben wir für die ArbeiterInnen am Flughafen die sechste Urlaubswoche über den Kollektivvertrag als sozialpartnerschaftliche Vereinbarung durchgesetzt“, so Aytekin.
Kontinuierliche Entwicklung und Signalwirkung
Trotz der vielen Errungenschaften betont Peter Schleinbach abschließend erneut, dass es nicht so sehr auf die einzelnen Kleinerfolge ankommt: „Alleine gesehen wirken diese meist nicht sonderlich spektakulär – nur in den seltensten Fällen kann man von historisch bedeutsamen Erfolgen sprechen. Vielmehr sind es die kontinuierliche Entwicklung und die vielen kleinen Erfolge, die in Summe zu qualitativ guten Kollektivverträgen führen.
Denn genau die treiben die Verhandlungsarbeit voran, sodass im Laufe der Zeit gute Kollektivverträge entstehen.“ Wie aber auch die erfolgreichen Beispiele der vida zeigen, können selbst kleine Triumphe durchaus eine Signalwirkung haben. Wird etwas erstmalig in einer Branche durchgesetzt, zeigt das laut Aytekin vor allem eines: „Es ist möglich.“ In der nächsten Verhandlungsrunde dann vielleicht auch für weitere Branchen und Berufsgruppen.