Kürzen bei den Ärmsten

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  1. Seite 1 - Vermögens- und Verteilungsfragen
  2. Seite 2 - Soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf
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In Österreich sind Vermögen kaum belastet, Arbeit hingegen sehr stark. Dennoch spielen Vermögens- und Erbschaftssteuern im Wahlkampf eine erstaunlich untergeordnete Rolle.
Aufhorchen lässt dabei die Feststellung, dass es bei der Finanzierung des Sozialstaats eine Schieflage gibt. In Österreich zeige sich „ein kontinuierlicher Rückgang des Anteils der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen seit Ende der 1970er-Jahre“, wie Marc Pointecker, der im Sozialministerium für „sozialpolitische Grundsatzfragen“ zuständig ist, konstatiert.

Hohe Konzentration der Vermögen

Vermögen werden in Österreich kaum belastet, Arbeit hingegen sehr stark. Damit nicht genug: „Österreich weist eine besonders hohe Konzentration der Vermögen auf: Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank kommt zum Ergebnis, dass das reichste Prozent vermutlich ein Drittel des gesamten privaten Vermögens in Österreich besitzt.“ Die tatsächliche Ungleichheit in Österreich sei um einiges größer, so der Experte.

Vor diesem Hintergrund fordert Pointecker Erbschafts- und Vermögenssteuern, Mindestlöhne – immerhin 650.000 Beschäftigte verdienen noch weniger als 1.700 Euro brutto im Monat –, Infrastrukturprogramme und Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen. Aber: „Die Umsetzung der hier skizzierten Vorschläge erfordert Mehrheiten zur Änderung der Politik in verteilungspolitischen Fragen.“ Es gibt jedoch wenig Anlass für Optimismus, was die rasche Lösung der Verteilungsprobleme betrifft. Die Umsetzung von Vorschlägen sei „immer eine Frage der Macht- und Kräfteverhältnisse“.

Tatsächlich spielen in der öffentlichen Debatte des (Vor-)Wahlkampfes Vermögens- und Verteilungsfragen kaum eine Rolle – zumindest nicht in dem Sinne, wie es im Sozialbericht der Fall ist. Stattdessen wird eine sehr eigene Vermögensdebatte geführt, nämlich eine, die sich tendenziell gegen die ärmeren Schichten der Bevölkerung richtet.

Das lässt sich etwa an der Diskussion rund um die Mindestsicherung ablesen. So veröffentlichte der Rechnungshof im Juli einen Bericht über die Praxis der Mindestsicherungsvergabe in Wien. Darin wird das Land Wien scharf kritisiert. Die Anzahl der MindestsicherungsbezieherInnen sei von 2011 bis 2015 um 50 Prozent angestiegen. Ein weiterer Anstieg sei zu erwarten. Es werde nicht genug unternommen, um sicherzustellen, dass tatsächlich nur Berechtigte die Mindestsicherung bekämen. „Der RH empfiehlt, Reform- und Einsparungsmaßnahmen einzuleiten, um die Finanzierbarkeit der Mindestsicherung in Wien mittel- und langfristig sicherzustellen“, heißt es in dem Bericht.

In immer mehr Bundesländern wird dies bereits praktiziert beziehungsweise geplant. Beispiel Tirol: Hier will die Landesregierung durch Kürzungen bei der Mindestsicherung 5,3 Millionen Euro einsparen. Unter anderem sollen Wohnkosten gedeckelt, also teure Mieten nicht mehr übernommen werden. Eine Kürzung des Mindestsatzes für Kinder ist ebenso geplant wie eine Streichung diverser Sonderzahlungen für ArbeiterInnen, PensionistInnen und Erwerbslose.

Der in Innsbruck tätige Sozialverein DOWAS kommentierte im März: „Aus unserer langjährigen Arbeit mit Menschen in Notlagen wissen wir, dass die Mindestsicherung bisher gerade ausreichend war, um den Betroffenen eine Absicherung des Lebensunterhaltes zu bieten. Die Lebenshaltungskosten in Tirol steigen – die Kürzungen entbehren somit jeglicher Grundlage und werden eine wirksame Armutsbekämpfung unmöglich machen.“

Missbrauch für Sozialabbau

Der ÖGB-Bundesvorstand hatte sich bereits im März 2016 gegen Angriffe auf die Mindestsicherung ausgesprochen. „Das letzte Netz muss halten“, heißt es da. In dem Beschluss kritisiert der ÖGB, dass die „Asylsituation als Vorwand für schleichenden Sozialabbau“ missbraucht werde. Nötig sei vielmehr eine bundesweit einheitliche Mindestsicherung. Einer Deckelung von Sozialleistungen erteilt der ÖGB eine klare Absage.

Pläne für Angriffe auf Mindestsicherung und Erwerbslose kommen derzeit vor allem aus den Reihen von ÖVP und FPÖ. So wurde Ende Mai eine Studie aus dem Haus von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) bekannt, in der über eine Einführung des deutschen Hartz-IV-Modells in Österreich nachgedacht wird. Erwerbslose sollen demnach zum Verbrauch ihrer Ersparnisse und ihres Besitzes gezwungen werden – eine bemerkenswerte Enteignung der Armen.

Die FPÖ wiederum fördert schon seit Langem Kürzungen bei Pensionen, Familienbeihilfen und eben bei der Mindestsicherung. Diese möchte sie auf 65 Prozent des niedrigsten Kollektivvertrages gesenkt wissen. In Bundesländern wie Oberösterreich forciert sie aktiv die Beschneidung der Mindestsicherung. Doch auch die SPÖ ist teilweise an Angriffen auf die Mindestsicherung beteiligt. Im Burgenland hat sie im März gemeinsam mit FPÖ und ÖVP ein entsprechendes, umfassendes Sparpaket vorgelegt.

Soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf

Die SPÖ will im Wahlkampf das Feld „soziale Gerechtigkeit“ mit dem Slogan „Nehmen Sie sich, was Ihnen zusteht“ besetzen. Unter anderem fordert die SPÖ eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro und einen Mindestlohn von 1.500 Euro. Zugleich verspricht sie eine Senkung der Lohnnebenkosten um drei Milliarden Euro sowie Pensionskürzungen im öffentlichen Dienst, wenn auch vorerst nur bei „hohen Sonderpensionen“. Auch die Grünen werben mit „sozialer Gerechtigkeit“, unter anderem fordern sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.750 Euro. Weitere Themen sind: Umverteilung und leistbares Wohnen.

Konkurrenz auf sozialpolitischer Ebene kommt von der Liste des Ex-Grünen-Politikers Peter Pilz. Zwar sind die inhaltlichen Details seiner Plattform noch recht spärlich. In verschiedenen Medienauftritten versprach Pilz aber eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und eine Erbschaftssteuer ab 500.000 Euro.

Für die Gewerkschaftsbewegung virulent bleibt umso mehr das Thema Umverteilung. So startete etwa der ÖGB Waldviertel im Juni eine Kampagne mit dem Titel „Teilen macht reich – Sparen macht arm“. Darin wird zu mehr Umverteilung in Österreich aufgerufen. So seien schon jetzt zwei Drittel aller MindestsicherungsbezieherInnen sogenannte AufstockerInnen, also ArbeitnehmerInnen, deren Lohn nicht zur Existenzsicherung reicht.

In der ORF-„Pressestunde“ im Juli erklärte ÖGB-Präsident Erich Foglar die Erbschafts- und Schenkungssteuer für „längst überfällig“. Der ÖGB sei immer dafür eingetreten, diese mit der Abschaffung des Pflegeregresses zu verknüpfen. Das sei eine Frage der „Generationengerechtigkeit“. Die ErbInnen sollten einen Beitrag leisten, dieser sollte den Pflegebedürftigen zugutekommen. Eine Grenze zwischen 500.000 und einer Million Euro, bis zu der keine Steuern fällig werden sollen, ist für Foglar in Ordnung. Entscheidend sei aber die Konstruktion.

Außerdem hält Foglar am gewerkschaftlich angestrebten Ziel eines Mindestlohnes von 1.700 Euro fest. Adäquate Löhne und Gehälter seien die erste Voraussetzung dafür, dass die Mindestsicherung ihre Absicherungsfunktion erfülle, so Foglar.

Lücke schließen

Diese Forderung – und in gewissen Bereichen schon mehr – gebe es schon seit Jahren. Nur mehr 15 Prozent der ArbeitnehmerInnen würden weniger verdienen, das seien 420.000 Beschäftigte, unter 1.500 Euro lägen 300.000. Foglar sprach sich zugleich dafür aus, dass die Mindestsicherung wieder österreichweit einheitlich geregelt wird. Sie sollte ausschließlich in die Bundeskompetenz fallen.

Linktipps:
Hartz IV für Österreich – ÖVP-Planspiele mit den Ärmsten, Redaktion Kontrast-Blog:
tinyurl.com/y895lc62
Sozialbericht des Sozialministeriums, Sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen 2015–2016, Jänner 2017:
tinyurl.com/y8lf8s87

Von
Christian Bunke
Freier Journalist

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.

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