Die Empörung hat auch mit zwei Gefühlen, die man als Bürger*in generell – unabhängig von der konkreten Person – gegenüber seinen Spitzenrepräsentant*innen hat. Einerseits: Man will nicht, dass sie sich als was Besonderes vorkommen, als über den Gesetzen stehend. Andererseits: Man will nicht, dass sie „ganz gewöhnlich“ sind. Man hätte schon gerne besonders fähige, tatkräftige, vielleicht auch besonders kluge Menschen an der Staatsspitze, wo unsere Geschicke gelenkt werden.
Also, ist ja total interessant: Wir wollen nicht, dass sich der Staatslenker als etwas Besseres vorkommt als die Tante Gerti aus Hernals. Aber irgendwie wollen wir natürlich auch nicht, dass die Gerti Tant‘ aus Hernals die Staatsgeschicke lenkt.
Robert Misik, Journalist und Autor
Ein Widerspruch. Man könnte das, wenn man so will, das demokratische Paradoxon nennen. Gleichheit ist uns viel wert, aber zugleich haben wir natürlich schon gern ganz besondere Leute an der Spitze, die sich aus der grauen Masse der Gleichheit abheben – theoretisch jedenfalls. Und in dieser demokratischen Grauzone, in der Grauzone dieses demokratischen Paradoxons stolperte Sebastian Kurz durch das Walsertal und mitten hinein in sein kleines Verderben.
Millionen Österreicherinnen und Österreicher sperren sich wochenlang ein und halten sich an Abstandsregeln, die wir heutzutage auch schon fast Anstandsregeln nennen, und der, der die Regeln verhängte, der ihnen auch noch Angst machte, also der, der diese Regeln verhängte, gibt ihnen zu verstehen: „Ja, das sind die Regeln für euch, aber doch nicht für mich.“
Das ist das Schlimmste, was man machen kann, weil es die Akzeptanz dieser Regeln zerstört. Insofern war dieser Auftritt auch regelrecht lebensgefährdend, weil jetzt bei vielen Menschen das Gefühl da sein wird: „Wozu soll ich mich noch an die Regeln halten, wenn sich die Regierenden selbst nicht dran halten?“ Mitten in einer Pandemie kann das ordentlich ungesund werden.