Krabben statt Reis: Der Kampf um Land und Arbeit in Ecuador

Ein Mann hält eine Krabbe am Hafen von Guayaquil. Symbolbild für die Gewalt in Ecuador, der die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ausgesetzt sind.
Krabben für den Export, Gewalt für die Kleinbäuer:innen – in der Region Durán kämpfen Familien ums Überleben und um ihr Land. | © APA Picturedesk/REUTERS/Ivan Alvarado
In Ecuador kämpfen Kleinbäuer:innen gegen Krabbenunternehmen – und dabei geht es um mehr als nur Land. Die Konflikte in der Region Durán sind ein dramatisches Beispiel für die Ungleichheit im Land – die durch neoliberale Politik befeuert wird.
Krabbenunternehmen gegen Kleinbäuer:innen – so lässt sich der Konflikt auf der ehemaligen Hacienda Las Mercedes vor den Toren der größten ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil beschreiben. Von Guayaquil ist es nur eine halbe Stunde mit dem Auto bis nach Durán, einer eigentlich fruchtbaren Region, in der Las Mercedes liegt. Doch je näher man Las Mercedes kommt, desto mehr wandelt sich die Landschaft entlang der Küste: Krabbenbecken, soweit das Auge reicht. Manche sind schon in Betrieb, andere noch in der Bauphase, jedes etwa doppelt so groß wie ein Fußballfeld. Diese Krabbenbecken hinterlassen vergiftete Böden, verseuchtes Wasser – und kaum Arbeitsplätze. Dabei wären die dringend nötig.

Gewalt in Ecuador

Nur noch ein Drittel aller Beschäftigten in Ecuador hat einen sozialversicherungspflichtigen Job. Dazu kommt, dass knapp 70 Prozent der Landfläche in Ecuador inzwischen für Exportprodukte genutzt, ein Geschäft fast nur für reiche Investoren. Die kleinen Bauern und Bäuerinnen stehen immer stärker unter Druck, in Las Mercedes wie anderswo. Das strategische Ziel der Ernährungssouveränität, verankert in der ecuadorianischen Verfassung, bleibt unbeachtet. Dieses Konzept sieht eine lokale, sozial und ökologisch nachhaltige Produktion von Grundnahrungsmitteln vor. Das wollen auch die Familien von Las Mercedes mit Reis, Gemüse und Früchten gewährleisten.

Knapp 70 Prozent der Landfläche in Ecuador
wird inzwischen für Exportprodukte genutzt,
ein Geschäft fast nur für reiche Investoren.

Die Region um Guayaquil und Durán gehört zu den gefährlichsten in Ecuador, Gewalt ist dort alltäglich. Motor der Konflikte ist der Kokainhandel. Doch die darin involvierten Banden dienen in vielen Fälle auch als paramilitärische Kräfte einflussreicher Unternehmen. Sie sollen gegen aufmüpfige Bananengewerkschafter:innen oder gegen Kleinbäuer:innen vorgehen, die lukrativen Projekten für Ölpalmen oder Krabben im Weg stehen.

Unfaire Geschäfte

„Anfang 2022 begann die Entwicklung mit den Krabbenbecken“, erklärt Rechtsanwalt Milton Yulán die Szenerie. „Viele Kleinbäuer:innen wurden von ihrem Land vertrieben, um den Krabbenbecken Platz zu machen.“ In wenigen Monaten wechselten 1.187 Hektar den Besitzer. Nur drei Genossenschaften mit 96 Familien konnten ihre 380 Hektar Grund von den mit Mafias verbundenen Investoren verteidigen. Dort zu sehen sind heute saftige grüne Flächen, die eine friedliche Idylle versprechen. Doch der Schein trügt: Hier kommt es häufig zu Auseinandersetzungen. Darum sollte man auch nicht aus dem Auto aussteigen, meint Yulán. „Die Situation vor Ort ist extrem angespannt.“ Für die folgende Woche wird ein Treffen mit einigen Bauern und Bäuerinnen im Büro des Anwalts im Zentrum von Guayaquil vereinbart.

Die Genossenschafter:innen und Anwalt Milton Yulán vor den Akten aus den letzen drei Jahren im juristischen Streit umformale Landtitel.
Die Genossenschafter:innen und Anwalt Milton Yulán (3. v. l.) mit den Akten aus drei Jahren juristischen Streit um formale Landtitel. | © Frank Braßel

Mit massivem Druck und handfester Gewalt wollten die Investoren die Bäuerinnen und Bauern zum Verkauf ihrer Länderei bringen. „Auf einmal standen einige Männer im Februar 2022 morgens bei uns vor dem Haus und drängten uns, das Land zu verkaufen. 2.000 Dollar pro Hektar boten sie an, dann 4.000“, erzählt Elvira Vargas, Vorsitzende der Genossenschaft „Nueva Revolución“, in der nächsten Woche. „Als wir ablehnten, wurden sie laut und bedrohten uns mit einer Pistole.“ „Erinnert ihr euch an die Hubschrauber, die auf einmal über unsere Häuser flogen? Ich hatte solche Angst“, beschreibt sie ihre Eindrücke im Februar 2022. Viele der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen haben ihr Land aus Angst verkauft. Die meisten für einen Spottpreis von wenigen tausend Dollar, obwohl der Marktpreis bei 20.-25.000 Dollar pro Hektar lag.

Politik im Hintergrund

Die Auseinandersetzungen rund um die Ländereien haben viel mit der politischen Realität in Ecuador zu tun. Zahlreiche Behörden und Institutionen gelten als korrupt. „Da muss es auch hier im Landwirtschaftsministerium eine mafiöse Struktur gegeben haben“, erklärt Hugo Hermosa, Abteilungsleiter für Landfragen, gegenüber A&W die Hintergründe dieser rasend schnellen Verkäufe. „Das ist meine persönliche Meinung.“ Zu dieser Zeit war Bernardo Manzano Landwirtschaftsminister – ein ehemaliger Manager des größten Privatunternehmens Ecuadors, der Corporación Noboa. Das Unternehmen exportiert Bananen und gehört der Familie des aktuellen Präsidenten Daniel Noboa, der erneut bei der Wahl am Sonntag als Präsidentschaftskandidat antritt. Ein Cousin Noboas kaufte 2022 sogar 210 Hektar der umstrittenen Ländereien. Politische Macht und Landbesitz gehen in Ecuador oft Hand in Hand.

Vor 20 Jahren war Kolumbien einer der gefährlichsten Orte der Welt für Gewerkschaften. Heute ist die Lage etwas besser, aber gewerkschaftliches Engagement ist immer noch riskant, sagt Fabio Arias, Vorsitzender der Gewerkschaft CUT. 👇

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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 23. Januar 2025 um 18:00

Genossenschaften im Kampf gegen die Gewalt in Ecuador

Das erklärt vermutlich auch, warum Hermosa nicht sagen will, weshalb die drei Genossenschaften bis heute keine endgültigen Urkunden über ihren Landbesitz haben. Und dass obwohl ihnen bereits 2007 vom Staat die Ländereien einer verschuldeten Bankiersfamilie zur dauerhaften Bewirtschaftung übergeben worden sind. „Investoren bekommen sofort einen Landtitel, das zeigen auch die Verkäufe von 2022. Normale Bauern und Bäuerinnen warten oft jahrelang. Wohl auch, damit man ihnen mit Hilfe des Ministeriums das Land leichter wieder rauben kann“, analysiert der Anwalt Yulán.

„Wir haben protestiert, uns zusammengeschlossen und sind bis vor das Landwirtschaftsministerium in Quito gezogen. Es gab Unterstützung von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie FIAN“, berichtet Manuel Ipo, der Verwalter der Genossenschaft, von ihrem Widerstand gegen den Landverkauf. An seinem Grund will er auch in Zukunft festhalten: „Ich gehe hier nicht weg. Soll ich etwa wieder wie früher Wasser an den Kreuzungen von Guayaquil verkaufen?“ Und auch die Genossenschaftlerin Magna Vera will sich nicht einschüchtern lassen: „Wenn ich abends auf dem kleinen Hügel bei uns sitze, denke ich manchmal: Es ist ein kleines Paradies hier, wie Himmel auf Erden“, schwärmt sie.

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Über den/die Autor:in

Frank Braßel

Historiker und Journalist. Langjähriger Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN und der Entwicklungsorganisation Oxfam. Von 2005-2011 Berater im unabhängigen Agrarforschungszentrum SIPAE in Quito/Ecuador.

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