Kooperation, Markt und Macht

Foto (C) ROB LEVER/AFP/picturedesk.com
Als „liebenswertes Familienmitglied“ stellt die Firma Bosch diesen Roboter vor. Seine Entstehungsgeschichte ist eines von vielen Beispielen von großen Unternehmen, die in Start-ups investieren.

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Etablierte Unternehmen halten nach Start-ups Ausschau, um von ihrer Flexibilität zu profitieren. Markt und Macht sind aber ungleich verteilt.
Start-ups funktionieren ganz anders als etablierte Unternehmen. Sie folgen einer Idee oder Technologie, sind agil, zeigen Risikobereitschaft und bergen oftmals große Wachstumsaussichten. Das sind alles Eigenschaften, die etablierten Großunternehmen vielfach fehlen. Umgekehrt haben Letztere ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen, bieten Stabilität und können Macht ausüben. Gelingt ein Zusammenwirken, können sich etablierte Unternehmen und Start-ups gut ergänzen: So zeigen es die beiden Beispiele Bosch und Energie Steiermark.

Neue Ideen und Produkte

Mit Kooperationsprojekten erhoffen sich viele Unternehmen einen Zugang zu neuen Ideen und Produkten, sie hoffen, deren „way of business“ zu lernen, und schließlich sehen sie neue Investitionschancen. Jedoch sollte man sich auch die Frage stellen, wie man Start-ups und deren Beschäftigte behandelt, um nachhaltig auch erfolgreich sein zu können.

Kraft der Disruption

Unter den Begriff „disruptive Technologien“ fällt nicht jede Innovation, vielmehr müssen dadurch völlig neue Märkte entstehen. So löste etwa die Digitalkamera die analoge Fotografie ab. Disruptive Technologien haben anfangs geringere Gewinnspannen, befriedigen nur kleine Märkte und können die Anforderungen der wichtigsten KundInnen nicht erfüllen, vor allem in Sachen Qualität.

Jedoch haben disruptive Innovationen eindeutige Vorteile bei potenziell neuen KundInnen. Die Vorzüge sind zunächst nur bei einer kleinen Randgruppe von Bedeutung: Sie sind meist billiger, einfacher, kleiner und in Summe anwendungsfreundlicher. Der Markt und die Produktanwendung sind anfangs nicht klar zu bestimmen. Für etablierte Unternehmen sind disruptive Innovationen zunächst uninteressant, da sich die wichtigsten KundInnen dafür nicht interessieren. Die disruptive Innovation erfährt in der Folge jedoch eine dramatische Verbesserung in den Produktmerkmalen, sodass sie auch die Anforderungen im etablierten Kernmarkt erfüllen kann.

Als solche werden disruptive Innovationen zur ernsten Bedrohung für die bestehende Technologie. Treibende Kräfte sind dabei das Internet und die Digitalisierung, die an vielen Stellen disruptive Umbrüche und schließlich ganz neue Geschäftslogiken ermöglichen. Ein Beispiel ist die Disruption von Online-Buchungsplattformen gegenüber Reisebüros.

First Mover

Unternehmen, die frühzeitig in disruptive Märkte eintreten, genießen laut Harvard-Professor Clayton Christensen „First Mover“-Vorteile. Wachsen diese Unternehmen, wird es für sie zunehmend schwieriger, als First Mover das zu wiederholen, was ihnen beim ersten Mal noch gelungen ist. Und große Unternehmen, die an der Börse gelistet sind, müssen wachsen, um ihren Unternehmenswert hochzuhalten.

Während ein Start-up mit einem Umsatz von 100.000 Euro für ein 20-prozentiges Wachstum lediglich weitere 20.000 Euro für eine Marktidee wie zum Beispiel zusätzliche Umsätze aus Apps benötigt, sind es bei einem großen Unternehmen mit 100 Millionen Euro Umsatz für dasselbe Wachstum bereits 20 Millionen.

Position des Wartens

Je größer also ein Unternehmen wird, umso unattraktiver werden neu entstehende Märkte. Als Folge nehmen große Unternehmen eine Position des Wartens ein. Sie warten, bis neue Märkte jenes Volumen aufweisen, das für sie interessant ist. Daher erhoffen sich die etablierten Platzhirsche mit Start-up-Kooperationen einen Zugang zu neuen Ideen und zu neuen Produkten.

Es gib verschiedenste Kooperationsmöglichkeiten: Bei sogenannten „Corporate Venture“-Programmen beteiligen sich große Unternehmen an Start-ups. Damit soll ein Eintritt zu Technologien und neuen Geschäftsmodellen ermöglicht werden. Bei Inkubationsprogrammen stellen die etablierten Unternehmen für interessante BewerberInnen (Start-ups) Ressouren, Expertise und Kontakte zur Verfügung und betten das Geschäft in ein Start-up-taugliches Umfeld ein.

Ein Beispiel für Corporate Venture ist das deutsche Unternehmen Bosch, das bereits über 130 Jahre alt ist und sich entsprechend ständig neu erfinden muss. Um von den Vorteilen von Start-ups profitieren zu können, wurde eine eigene Gesellschaft gegründet, die Robert Bosch Venture Capital GmbH. Sie investiert in Start-ups und hat ein Investitionsvolumen von 420 Millionen Euro. Die Hoffnung: so frühzeitig zu disruptiven Innovationen zu gelangen.

Das von Bosch unterstützte US-Start-up Mayfield Robotics etwa hat sich auf die Entwicklung von Home-Robotern spezialisiert. Im Jahr 2017 stellte es seinen ersten kommerziellen Roboter Kuri vor: Er ist 50 Zentimeter groß, kann sich im Wohnraum bewegen und wird als Haustier, mobiler Lautsprecher oder Roboterfreund vorgestellt. Was er auch können soll: Eltern, die nicht zu Hause sind, darüber informieren, wenn ihr Nachwuchs in die eigenen vier Wände zurückkehrt.

Die österreichische Energiebranche befindet sich seit Jahren in einem massiven Umbruch. Die Wachstumsschwäche in Europa führte zu einem Verfall von Emissionszertifikaten als auch massive europapolitische Umwälzungen prägten den Begriff Energiewende.

Die Umsätze der österreichischen Energieversorgungsunternehmen haben sich infolge gesunkener Großhandelspreise laufend verringert: Während die zehn größten Energiekonzerne 2013 noch etwa 16,6 Mrd. Euro Umsatz erwirtschafteten, waren es 2015 nunmehr 14,5 Mrd. Euro. Ebenso wurden in dieser Branche Investitionen gekürzt und Umstrukturierungsmaßnahmen eingeleitet

„Auch ein Energiekonzern muss sich digital transformieren und kann sich nicht auf seinen bisherigen Geschäften ausruhen, wenn er wettbewerbsfähig und zukunftsorientiert bleiben will“, meint Thomas Wiedner. Er ist Innovationschef der Energie Steiermark und wirkte federführend an der Einführung des konzerninternen Start-up-Programms namens „Next-Incubator“ mit.

Auch dieser Energiekonzern will potenzialträchtige Innovationen früher erkennen, fördern und ihre Geschäftsmodelle diversifizieren. Man erhofft sich auch Änderungen der eigenen Unternehmenskultur, mehr „Agilität“ und „Radikalität“. Gesucht werden Start-ups an der Schnittstelle neuer digitaler Technologien wie Internet of Things, Blockchain oder künstliche Intelligenz und dem Energiesektor.

Buchtipp: Clayton M. Christensen, Kurt Matzler, Stephan Friedrich von Eichen: The Innovator´s Dilemma

Mindesterfordernis für die Bewerbung ist ein Prototyp, der im Rahmen eines gemeinsamen Pilotprogramms getestet werden kann. Sollte das Potenzial bei einzelnen Produkten und Teams derartig groß sein, sind Gespräche über eine Beteiligung nicht ausgeschlossen. Nach einer Aufnahme in den Next-Incubator wird eine temporäre Arbeitsplatzinfrastruktur zur Projektplanung angeboten.

Im Anschluss erfolgt die technische Validierung sowie eine gemeinsame Erarbeitung eines Pilotprogramms (inkl. Spezifizierungen, Zielen, Meilensteinen und Zeitplan) und die gemeinsame Umsetzung und Evaluation des Vorhabens. Erst nachdem alle Phasen positiv überwunden sind, wird ein gemeinsamer „Rollout“ auf Basis individueller Verträge ermöglicht.

Faire Kooperationen ermöglichen

Es scheint im Management angekommen zu sein, dass Engagements in Start-ups durchaus Sinn machen, um im Zuge der Digitalisierung Fuß zu fassen. Die beiden Beispiele zeigen auch, dass die Machtverhältnisse zwischen Start-ups und Großunternehmen asymmetrisch sind. Daher ist es wichtig, dass etablierte Unternehmen früh und überzeugend signalisieren, dass sie ihre Position nicht ausnutzen – und dies auch nicht tun.

Des Weiteren sollte auch im Aufsichtsrat über Fairness gesprochen werden: Handelt es sich um eine Auslagerung im neuen Gewand, indem Arbeitsbedingungen und regulative Standards untergraben werden? Oder geht es um wertschätzende Kooperationen – mit fairen Rahmenbedingungen –, die Vorteile sowohl für etablierte Unternehmen, Start-ups und die Region mit sich bringen?

Weltpremiere auf der CES 2017:
Bosch Start-up stellt Home-Roboter Kuri vor, Pressemeldung vom 5.1.2017:
tinyurl.com/yb8ycffy
Mittelmeier, Andreas (2016): Interview – Energie Steiermark launcht „Next-Incubator“, der „brutkasten“, Österreichs Start-up- und Innovationsplattform, 30.9.2016:
www.derbrutkasten.com/a/interview

Von
Simon Schumich
Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/17.

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