Klimaschutzplan soll Graz emissionsfrei machen
Das „Gegenmittel“ umfasst 180 Seiten und nennt sich „Klimaschutzplan Graz“. In dem Dokument sind sämtliche Einzelmaßnahmen der Vergangenheit erfasst, etwa aus den Bereichen Verkehr, Industrie, Energie oder Gebäude, sowie neue Aktionspläne eingearbeitet, die der Stadt den Weg in eine klimaschonende Zukunft ebnen sollen. Der Klimaschutzplan sieht vor, die Emissionen der Stadt und ihrer knapp 300.000 Bewohner:innen bis 2030 möglichst auf (netto) null zu reduzieren und gleichzeitig die Lebensqualität zu erhalten.
Wie das funktionieren soll, lässt sich im Stadtentwicklungsgebiet Reininghaus beobachten, einem der Leuchtturmprojekte des Masterplans. Im Jahr 2013 genehmigte der Gemeinderat das Projekt, 2017 startete der Bau, bis 2025 sollen hier 10.000 Menschen leben. Die Wohnungen des Areals werden mit Industrieabwärme beheizt und über hauseigene PV-Anlagen mit Strom versorgt. In den Erdgeschoßen der Wohnanlage gibt es Nahversorger, ein Ärzt:innenzentrum, einen Kindergarten, Cafés. Im drei Hektar großen Reininghauspark sorgen Bäume und ein Teich für Kühlung.
Reizthema Auto
Seit einem knappen Jahr leben auch Sandi und Igor hier. Sie schieben gerade ihr sieben Monate altes Baby durch den Reininghauspark. Beim Thema Klimaschutz geben sie sich wortkarg, mit diesen Dingen würden sie sich nicht viel beschäftigen. Igor stört sich vor allem an den fehlenden Parkplätzen. „Das ist ein Problem“, betont er wiederholt. Denn Platz für Pkws gibt es hier kaum, auch das ist Teil des Konzepts im Klimaschutzplan Graz. Stattdessen erhalten die Bewohner:innen im ersten Jahr ein kostenloses Öffi-Ticket, Straßenbahn und Bus halten direkt vor der Anlage. Von der Parkplatzproblematik abgesehen fühlten sie sich daher sehr wohl in Graz-Reininghaus, betonen Sandi und Igor. Sie schätzen die Natur, das Öffi-Angebot, die Nähe zum Stadtzentrum und ihre Wohnung, die günstig und trotz Hitze angenehm kühl sei. „Super, super“, strahlt Sandi.
Werner Prutsch kennt die Parkplatzproblematik nur zu gut. Der promovierte Chemiker ist eine Art Urgestein des Grazer Umweltamtes, seit 34 Jahren arbeitet er in der Stadtverwaltung. Seit 2008 ist er Abteilungsvorstand, an der Ausarbeitung des Klimaschutzplans Graz war er federführend beteiligt. Auf dem Besprechungstisch in seinem Büro liegt ein kleiner Würfel, gefüllt mit Fäden. „Geduldsfäden“, sagt Prutsch, ein Geburtstagsgeschenk einer Kollegin. Denn Geduld kann er brauchen. Prutsch brachte gut drei Jahrzehnte fachliche Expertise in den Klimaschutzplan ein – die nicht selten mit anderweitigen Interessen kollidiert.
Trotz Klimaschutzplan Graz: Kampf um jeden Parkplatz
In den vergangenen Jahren wurden quer durch die Stadt zahlreiche Bäume gepflanzt, viele Flächen entsiegelt – „und es ist ein Kampf um jeden Parkplatz, mit Zähnen und Klauen“, klagt Prutsch. Gerade das Auto sei ein „politisch heikles Thema“, bei dem oft Kompromisse eingegangen werden müssten, die er aus naturwissenschaftlicher Sicht eigentlich nicht gutheißen könne.
Trotzdem plädiert Prutsch dafür, möglichst viele Leute mit ins Boot zu holen. „Man muss aufpassen, dass nicht irgendeine elitäre Gruppe einfach einen Plan erstellt, in der Überzeugung, sie weiß das alles, sie kann das alles“, mahnt er. Um ein Konzept umzusetzen, müssten die Betroffenen miteinbezogen werden: Unternehmer:innen, Arbeitende, Wohnbauträger:innen, Anrainer:innen – sie bringen Erfahrungen mit, die kein Expert:innengremium der Welt zusammenbringt, ist Prutsch überzeugt. Ihr Know-how finde sich im Plan wieder, nicht nur pro forma, sondern in Form „echter Partizipation“, wie Prutsch betont.
Chronisch knapp bei Kasse
Gemeinden zählen zu den wichtigsten Akteur:innen beim Klimaschutz, sie haben zahlreiche Hebel, mit denen sie Maßnahmen direkt vor Ort umsetzen können. Doch sie sind in Österreich chronisch unterfinanziert. Laut einer Umfrage der Fachhochschule Kärnten, die Anfang des Jahres im Auftrag des Österreichischen Gemeindebundes durchgeführt wurde, klagen rund drei Viertel der Bürgermeister:innen über Finanzprobleme. Graz ist da keine Ausnahme. Ende vergangenen Jahres beliefen sich die Nettoschulden der Stadt auf gut 1,5 Milliarden Euro. Das Zauberwort, das sich im „Klimaschutzplan Graz“ immer wieder findet, lautet „Kosten-Nutzen-Analyse“: Wo lassen sich mit möglichst wenig
Geld möglichst viel Emissionen einsparen?
Wenn die Stadt Fahrzeuge der Flughafenfeuerwehr durch E-Fahrzeuge ersetzt, dann kostet die Einsparung einer Tonne CO₂ 12.000 Euro. Bei der Förderung von Sonnenstrom auf Grazer Balkonen hingegen betragen die „CO2-Vermeidungskosten“ nur 300 Euro je Tonne, bei der thermischen Sanierung einer Feuerwache 200 Euro. Laut Berechnungen aus dem März 2023 verursacht der Klimaschutzplan der Stadt bis 2030 Mehrkosten von rund 371 Millionen Euro. Beginnen will die Stadt bei den Maßnahmen mit den geringsten „CO₂-Vermeidungskosten“. Die Errichtung von PV-Anlagen und Gebäudesanierungen stehen auf der Klima-To-do-Liste der Stadt daher ganz oben.
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Die Pensionistinnen Antje und Eveline kommen mittlerweile fast jeden Tag in den Reininghauspark. „Meine Meinung hat sich geändert“, sagt Antje. Den 100-jährigen Bäumen trauert sie bis heute nach, trotzdem sei es „erstaunlich grün“ – grüner, als sie das anfangs für möglich gehalten habe. „Eine ganz klasse G’schicht“, ergänzt Eveline.
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