Sogar Exxon-Studien sagen Klimakatastrophe voraus
Menschen, die unabhängigen Wissenschaftler:innen skeptisch gegenüberstehen, mögen sich an die Wissenschaftler:innen von Konzernen wenden, um die These der Klimakatastrophe zu verifizieren. An die von ExxonMobile zum Beispiel: Der Konzern nahm enorme Geldmittel in die Hand, um die Auswirkungen seines Produkts, nämlich Energie aus fossilen Brennstoffen, zu untersuchen – so viel Geld, dass die Forschung des Konzerns jene von Universitäten und Regierungen übertraf, wie eine Analyse der Arbeiten im Jahr 2022 zeigte. An dieser waren Geoffrey Supran und Naomi Oreskes von der Universität Harvard sowie der Klimaphysiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beteiligt. Es geht um 32 interne Dokumente und 72 Studien von Exxon. Sie alle kommen zum selben Ergebnis wie die unabhängigen Arbeiten.
Stößt der Mensch Treibhausgase aus, beschleunigt er damit den Klimawandel. Und das „mit potenziell katastrophalen“ Auswirkungen, wie es in einem Memo an den Exxon-Vorstand aus dem Jahr 1977 heißt. Aus der Erkenntnis, dass das eigene Geschäftsmodell die Zukunft eines ganzen Planeten mitruiniert, zog der damalige Vorstand den Schluss, dass Desinformation wohl der beste Weg sei, damit umzugehen – schließlich geht es um Profite.
Klimakatastrophe: Das Problem mit dem System
Das Problem ist nicht das Wissen. Die Krise ist systemimmanent. Zu diesem Schluss kommt auch „Die Grenzen des Wachstums“. Deren zentrale Schlussfolgerung ist: „Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt und so sehr Ergebnis vielfältiger menschlicher Bestrebungen, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen.“
Wir brauchen ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell,
das Wohlstand mit weniger
materiellen Gütern sichert.
Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik,Universität Wien
Wie diese neue Vorgehensweise aussehen muss, ist eindeutig: Die Menschheit muss weniger Treibhausgase ausstoßen. Das funktioniert aber nicht durch technologischen Fortschritt, sondern durch einen Systemwandel. Wirtschaftswachstum taugt dabei nicht als zentraler Maßstab für Wohlstand und Fortschritt. „Degrowth“ oder auch „Postwachstum“ heißt in der Wissenschaft die Lösung. „Es geht um eine bewusste Umgestaltung der Abhängigkeit davon, dass immer mehr investiert, produziert und konsumiert werden muss“, fasst Ulrich Brand das Ziel zusammen. Er ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. „Der Energieverbrauch muss insgesamt gesenkt werden. Wir kriegen das mit dem Ausbau erneuerbarer Energien alleine nicht hin. Das zeigen alle Studien.“ Das Mantra vom „grünen Wachstum“ – also Wirtschaftswachstum dank vermeintlich umweltfreundlicher Technologien – sei unehrlich.
Weg vom verschwenderischen Konsum
Auf diesen Fehler im aktuellen Wirtschaftssystem weist auch Alina Brad hin. Sie ist Senior Scientist am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht unter anderem zu Klimapolitik und Fragen der sozial-ökologischen Transformation. „In Ländern, in denen ein Rückgang der CO2 -Emissionen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum feststellbar ist, trügt der Schein insofern, als gleichzeitig viele emissionsintensive Fertigungsprozesse ins Ausland verlagert wurden.“ Es sei schlicht ungeklärt, ob alle Industrieprozesse tatsächlich dekarbonisiert werden könnten und, wenn ja, zu welchen Kosten. „Bislang gibt es keinen Nachweis dafür, dass eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch möglich ist“, so Brad.
Die Klimakatastrophe lasse sich also nur mit einem materiellen Rückbau abwenden. Es gehe darum, in bestimmten Bereichen – Produktion und Nutzung von Automobilen, Flugverkehr, industrielle Landwirtschaft, schnell verbrauchbare Güter, billige Kleidung – weniger zu konsumieren. „Wir brauchen ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das Wohlstand mit weniger materiellen Gütern sichert“, so Ulrich Brand. Wachstum könne und müsse es dann beispielsweise in den Bereichen Bildung, Gesundheit, ökologische Ernährung oder öffentlicher Verkehr geben. Ein Punkt, den auch Alina Brad betont: Der verschwenderische Konsum sei ein wesentlicher Teil der aktuellen Form des Kapitalismus. Die Konsumbedürfnisse würden aber vor allem durch Werbung geweckt.
Transformation gemeinsam tragen
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn diese Waren werden von Menschen hergestellt und gekauft. Helene Schuberth, Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), erweitert die Debatte um folgenden Punkt: „Man darf die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Die Umweltbewegungen der vergangenen Jahrzehnte waren aus verschiedenen Gründen nicht erfolgreich. Einer ist, dass man die Sorgen der Arbeitnehmer:innen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, um den Verlust von vermeintlichem Wohlstand, nicht ernst genommen hat.“
Die Transformation von Sektoren wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Industrie kann nach Schuberth nur erfolgreich sein, wenn die Arbeitnehmer:innen beteiligt werden. „Wichtig ist somit, dass die Transformation von allen gemeinsam getragen wird und garantiert ist, dass qualitativ hochwertige Arbeitsplätze entstehen und diejenigen, die negativ betroffen sind, abgesichert werden“, fordert Schuberth. Klimapolitik sei auch Sozial- und Beschäftigungspolitik.
Unsichtbare Hand des Marktes
Eine Analyse, die im Kern auch Josef Riegler teilt. Der Politiker war von 1987 bis 1989 Landwirtschaftsminister und von 1989 bis 1991 Vizekanzler. Er etablierte den Begriff der „ökosozialen Marktwirtschaft“. Im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft sagt er: „Wir haben in Europa mehr oder weniger ein Fundament der sozialen Marktwirtschaft. Es ist für Europa kennzeichnend, dass über Jahrzehnte versucht wurde, eine Balance zwischen Erfordernissen der Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit herzustellen. Das Motto war ‚Wohlstand für alle‘.“ Bestehe eine soziale Schieflage, könne Europa nachschärfen. Andere Länder – wie beispielsweise die USA – hätten diesen Vorteil nicht.
Allerdings glaubt Schuberth, dass ohne einen Systemwechsel die Klimakatastrophe nicht aufzuhalten sei. Bisher vertraute man auf die „unsichtbare Hand des Marktes“ und versuche alles, um nicht in den Markt eingreifen zu müssen. Zur Erreichung der festgelegten CO2 -Reduktionsziele setzte man im Wesentlichen auf preisliche Anreize, wie etwa höhere Energiekosten für fossile Energieträger. „Dies funktioniert jedoch nicht“, so Schuberth. Der Transformationsprozess müsse von Staat und Sozialpartnern gemeinsam geplant werden. Das umfasse klare Vorgaben für die Wirtschaftssektoren und Unternehmen, verbunden mit Sanktionierung bei Nichteinhaltung. „Den Unternehmen staatliche Fördermittel für die Transformation zukommen zu lassen, ohne diese an gewerkschaftliche Forderungen wie Ausbildungs- und Standortgarantien zu knüpfen, ist inakzeptabel“, macht Schuberth deutlich. Die Klimakatastrophe sei auch eine soziale Frage. „Weltweit sind die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung für über die Hälfte des CO2 -Ausstoßes verantwortlich, das reichste Prozent alleine für 15 Prozent, die ärmere Hälfte der Menschheit aber nur für 7 Prozent.“
Konsum auf dem Rücken des Südens
Die reichen Länder des Nordens stoßen jede Menge Treibhausgase aus und haben ihren Wohlstand auf Kosten des globalen Südens aufgebaut – eine Bilanz, die in der Debatte um Klimaneutralität und Energiesicherheit gerne ignoriert wird. „Eine ernsthafte Politik in Richtung Klimaneutralität, die auch international solidarisch ist, sehe ich aktuell nicht. Es dominiert die globale kapitalistische Konkurrenz. Das sehen wir zwischen China, den USA und Europa – und die Länder des globalen Südens sind Objekte der Ausbeutung. Und das wird nicht infrage gestellt“, beklagt Brand.
Den Unternehmen staatliche Fördermittel
für die Transformation zukommen zu lassen,
ohne diese an gewerkschaftliche
Forderungen wie Ausbildungs- und Standortgarantien zu knüpfen, ist inakzeptabel.
Helene Schuberth, Chefökonomin des ÖGB
In ärmeren Ländern seien es vor allem Oligarchen, die vom Handel mit Rohstoffen profitieren würden. Es werde nicht hinterfragt, zu welchen Bedingungen beispielsweise Wasserstoff in Afrika produziert würde und ob diese Anlagen auch die Energiearmut vor Ort bekämpfen würden. „Es braucht eine Umorganisierung der Wirtschaftsbeziehungen, um auf Augenhöhe zu agieren. Die OPEC ist eine entsprechende Plattform. Ein solches Kartell bräuchte es auch für Lithium und andere Rohstoffe, damit sie ökologisch und sozial verträglich abgebaut werden und den Ländern was bringen.“ Ein fairer Handel bedeutet im aktuellen Wirtschaftssystem aber auch, dass diese Länder wachsen und mehr Energie verbrauchen würden. Entsprechend müsse sich die globale Sicht auf Wohlstand ändern, führt Brand weiter aus, also dass „gute Mobilität“ nicht gleichbedeutend sei mit einem großen Auto und „gute Ernährung“ nicht mit hohem Fleischkonsum einhergehe.
Alle Länder müssten ihren Konsum überdenken, um bessere Lebensbedingungen für alle zu schaffen. „Denn der aktuelle Produktivismus und Konsumismus schafft auch in China eine enorme Ungleichheit. Das meine ich nicht moralisierend, sondern sehr politisch. Es muss uns gelingen, ein anderes Wohlstandsmodell zu schaffen. ‚Der Süden‘ wird dann möglicherweise wachsen im Sinne einer Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen – aber nicht durch Palmölplantagen, von denen nur ein paar Oligarchen profitieren.“
Grünes Wachstum als Ausweg?
Auch Riegler teilt diese Ansicht. „Das Grundproblem, das wir haben, ist, dass viele Bereiche der Wirtschaft nur auf Gewinnmaximierung hinarbeiten. Und da geht natürlich sehr viel an sozialer und ökologischer Verantwortung verloren. Es ist einfach ein System, das in Richtung Ausbeutung von Mensch und Natur läuft.“ Damit enden dann allerdings die Gemeinsamkeiten. Denn bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden könne, setzt Riegler vor allem auf eine faire Bepreisung von Kohlendioxid. Dies sei der wichtigste Hebel, um technologische Innovation im Bereich der Treibhausgasvermeidung zu erzielen. „Eine leistungsfähige Marktwirtschaft ist meines Erachtens notwendig, damit eben auch sozialer Wohlstand überhaupt generiert werden kann.“
Für Brand gehört die Debatte um technologische Lösungen wie das Einfangen von CO2 zum Greenwashing erweitert. „Eine starke Klimaneutralität gibt es nur durch eine Reduktion des Energieverbrauchs. Grünes Wachstum führt aber zu einer Zunahme. Denkt man an die Digitalisierung, den geplanten E-Auto-Boom und Wasserstoffpläne für den Flugverkehr, dann wird das nicht gehen“, kritisiert Brand. „Für wesentliche Klimaschutzmaßnahmen und eine Systemumstellung bedarf es heute massiver Investitionen. Gleichzeitig werden die Vorteile und Gewinne erst in 20 oder 30 Jahren sichtbar werden“, bringt Brad das Problem auf den Punkt. Allerdings ist fraglich, ob sich die Politiker:innen über einen solchen Zeitraum auf das Verständnis der Bevölkerung verlassen können.
Können wir die #Klimakrise überhaupt noch verhindern? Laut @uli_brand, Universitätsprofessor für Internationale #Politik, schon: „Wir brauchen aber ein anderes Wirtschafts- und #Gesellschaftsmodell, das #Wohlstand mit weniger materiellen Gütern sichert.“
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) March 16, 2023
Den Status quo weitergedacht, enden die Simulationen in „Die Grenzen des Wachstums“ in der Katastrophe. Auch, wenn viele das nicht wahr haben wollen und auf Klima-Mythen hereinfallen: Bislang erweisen sich die Berechnungen, die ein halbes Jahrhundert alt sind, als erschreckend präzise. Doch die Zusammenfassung der Studie ist überraschend hoffnungsvoll. „Gleichgewichtszustände erfordern ein außergewöhnliches Maß von Verständnis, Vorstellungskraft und politischem und moralischem Mut. Wir glauben aber, dass diese Anstrengungen geleistet werden können, und hoffen, dass diese Veröffentlichung dazu beiträgt, die hierfür notwendigen Kräfte zu mobilisieren.“