Wie die Klimakatastrophe den Arbeitsmarkt auf den Kopf stellt

Ein Handwerker installiert Isolation in einem neuen Gebäude. Symbolbild für Klimakatastrophe Arbeitsmarkt.
Die Gebäudesanierung zählt zu den großen Jobmotoren, um bei der Klimakatastrophe gegensteuern zu können. | © Adobestock/Olha
Die Klimakatastrophe und das Gegensteuern stellen auch den Arbeitsmarkt auf den Kopf. Ein Umbau ist nötig. Doch was heißt das für die Beschäftigten?
Mit Gebäudesanierungen, Mobilitäts- und Energiewende begegnet die Politik dem Klimawandel. Das verändert den Arbeitsmarkt grundlegend. Denn in manchen Branchen – wie beispielsweise der Zulieferindustrie im Automobilbereich – werden viele Firmen keine Zukunft haben, wenn sie ihr Geschäftsmodell nicht anpassen. Neue Unternehmen und Geschäftsbereiche mit völlig neuen Berufsfeldern entstehen. Menschen brauchen also Umschulungen, Ausbildungen und neue Perspektiven. Auf die Arbeitsmarktpolitik kommen damit enorme Herausforderungen zu. Die Diskussionsrunde „Arbeitsmarkt und Klimakrise – so schaffen wir den Umbau“, hat sich den drängendsten Fragen gestellt.

Diskussionsrunde: Arbeitsmarkt in Zeiten der Klimakatastrophe

Die Arbeiterkammer (AK) hat zur Diskussionsrunde „Arbeitsmarkt und Klimakrise – so schaffen wir den Umbau“ geladen. Journalistin Nina Horaczek führte als Moderatorin durch die Veranstaltung. Welche Bedeutung die Arbeitsmarktpolitik bei der Bewältigung der Klimakatastrophe hat, hob insbesondere Silvia Hofbauer heraus, die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien.

Ein Kontrolleur prüft Klimaanlagen. Symbolbild für Klimakatastrophe Arbeitsmarkt.
Unternehmen müssen ihren Beschäftigten Chancen zur Weiterbildung geben. | © Adobestock/A Stockphoto

Denn ein zentraler Lösungsansatz ist die Aus- und Weiterbildung. Um erneuerbare Energien oder Technologien, die Treibhausgase einsparen, nutzen zu können, brauchen Unternehmen Menschen, die mit diesen Technologien umgehen können. Ausgerechnet an der Aus- und Weiterbildung hapert es aber jetzt schon. Deswegen macht Hofbauer drei konkrete Vorschläge, um die Situation zu verbessern:

  • Weiterbildungen müssen auch während der Arbeitszeit möglich sein.
  • Für Menschen, die bereits gearbeitet haben, aber nochmal eine Ausbildung machen wollen, muss es eine Existenzsicherung geben, damit sie sich diesen beruflichen Neustart auch leisten können.
  • Vermittlung und Qualifikation müssen beim Arbeitsmarktservice (AMS) gleichwertig nebeneinanderstehen. Aktuell liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlung – egal in welchen Beruf.

„Die Verantwortung für Aus- und Weiterbildung kann nicht nur bei den Beschäftigten selbst liegen. Unternehmen müssen ihren Beitrag dazu leisten und Mitarbeiter:innen Qualifizierung ermöglichen, anstatt die Kosten dafür an die Allgemeinheit auszulagern“, so Renate Anderl, Präsidentin der AK.

Enormes Potenzial auf dem Arbeitsmarkt

Vorschläge, für die es dankbare Abnehmer:innen geben wird. Benedikt Narodoslawsky ist Journalist mit Schwerpunkt Politik, Klima- und Umweltthemen. Er rechnet vor, dass alleine die Energie- und Wärmewende rund 100.000 Jobs pro Jahr in Österreich schaffen könnten. Doch sei das eben auch ein globales Phänomen. Bis zum Jahr 2030 würde sich der Bedarf an Arbeitskräften im Bereich der Green Jobs verdreifachen. So käme es zu einem Wettkampf um die Arbeitnehmer:innen mit den passenden Qualifikationen. Die Frage ist, ob Österreich für diesen Wettkampf gerüstet ist.

Eine Frage, die Petra Draxl beantwortet. Sie ist die neue Chefin des AMS. Sie betont, dass das AMS sehr viele Aktivitäten in diesem Bereich setzte, gibt auch zu, dass es kein ganzheitliches Strategiepapier gäbe. Das habe auch mit den großen regionalen Unterschieden zu tun. Allerdings hätte Martin Kocher, der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, ambitionierte Ziele im Bereich der Transformation vorgegeben. Ob es für deren Verwirklichung auch die nötigen Mittel gäbe, entscheide sich aber erst Im Herbst 2023, so Draxl.

Österreicher:innen sind überqualifiziert

Aktuell suchen in Österreich 307.732 Menschen einen Job. An Arbeitskraft mangelt es also nicht. Auch nicht an der fachlichen Qualifikation. Das Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass mehr als die Hälfte (59,8 %) jener Personen, die 2021 als Hilfsarbeitskräfte tätig waren, dafür überqualifiziert waren.

Das lasse sich vor allem mit dem Nicht-Anerkennen beziehungsweise dem langwierigen bürokratischen Vorgang bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen erklären. „Wir haben ein Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften, nutzen es aber nicht“, sagt Anderl. „Gleichzeitig benötigen wir für notwendige klimapolitische Maßnahmen wie thermische Gebäudesanierung, Austausch von Öl- und Gasheizungen oder Ausbau des öffentlichen Verkehrs jede Menge qualifizierte Arbeitskräfte.“

Klimakatastrophe und Arbeitsmarkt: Green Jobs für alle

Draxl hebt hervor, dass vor allem in den vier Bereichen Mobilität, Bauen und Sanieren, Energiewirtschaft und Kreislaufwirtschaft und ökologisches Wirtschaften viele neue Jobs entstehen. Der Strukturwandel hat begonnen. Hier steuere die Gesamtwirtschaft auf eine enorme Nachfrage nach Arbeitskräften zu, betont Hofbauer. Denn die Auftragsbücher in diesen Bereichen seien für die kommenden Jahre voll und das Interesse, die bestehenden Arbeitnehmer:innen auf Fortbildungen zu schicken, entsprechend gering.

Die vollen Auftragsbücher betont auch Peter Wieser, Leiter der Magistratsabteilung 23 (Wirtschaft, Arbeit und Statistik). Er sieht hier eine enorme Chance, auch ungelernte Arbeitskräfte langfristig im Arbeitsmarkt zu integrieren. Als Beispiel nennt er die Dekarbonisierung des Gebäudesektors. Hier könnten rund 45 Prozent der anfallenden Arbeiten von Hilfskräften erledigt werden. Für ungelernte Arbeitnehmer:innen sei das eine gute Chance einen Einstieg in den Sektor zu finden. Zumal der Lohn über dem Median läge.

Außerdem könnten, so Wieser, durch smarte Fabriken auch wieder vermehrt Industriejobs in den Großraum Wien ziehen. Platzsparende und treibhausgasarme Produktion würden Industrie und Großstadt wieder kompatibel machen.

Klimawende nimmt Fahrt auf

Im gleichen Maße, mit der sich die Klimakatastrophe verschärft, beschleunigt sich auch gerade der Umbau der Wirtschaft, glaubt Narodoslawsky. Denn erst mit der Bewegung Fridays for Future (FFF) sei die Klimakatastrophe zu einem politischen Topthema geworden. Nach den jüngsten Wahlen – vor allem durch die Europawahl 2019 – habe sich viel in diese Richtung getan. Auch technologisch. Wirtschaftlich würde es für Unternehmen mittlerweile kaum noch Sinn ergeben, in fossile Brennstoffe zu investieren. Die neuen Technologien seien jetzt so weit, dass sie günstig im großen Rahmen eingesetzt werden könnten. Allerdings habe sich eben ein Investitionsstau gebildet, da jetzt in allen Ländern entsprechende Projekte laufen, weswegen die Produktion kaum noch hinterherkommt.

Auf die Generation, von der FFF ausging, setzt auch Draxl. Den jungen Menschen müsse man aufzeigen, wie sie mit Green Jobs und nachhaltiger Arbeit selbst an der Bewältigung der Klimakatastrophe mitarbeiten könnten. Dafür bräuchte es aber eine entsprechende Kommunikationskampagne.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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