„Die da oben“, die ihren Klassenkampf führen, das sind die wirtschaftlich Mächtigen: Industrielle, Banker, Immobilienbesitzer, die sogenannten Eliten unserer Gesellschaft. Der deutsche Soziologe Michael Hartmann beschreibt Eliten als „Personen, die qua Amt oder – wie vor allem in der Wirtschaft – qua Eigentum in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen. Der zentrale Maßstab für die Zugehörigkeit zu einer Elite ist daher die Macht, über die eine Person verfügt.“
Personen, die qua Amt oder – wie vor allem in der Wirtschaft – qua Eigentum in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen. Der zentrale Maßstab für die Zugehörigkeit zu einer Elite ist daher die Macht, über die eine Person verfügt.
Michael Hartmann, Soziologe, über Eliten
Herrschaft der Propaganda
In der orthodox-marxistischen Definition entspricht das der herrschenden Klasse, die frei über die beherrschte Klasse verfügen möchte. Im 21. Jahrhundert ist das aber nicht so leicht möglich wie im 19. Jahrhundert – in Demokratien sind letztlich auch Eliten auf Mehrheitsentscheidungen angewiesen. Damit „die da oben“ ihre Interessen durchsetzen können, müssen sie dafür ihre persönlichen politischen Netzwerke und andere Instrumente nutzen, wie ihre Interessenvertretungen, eigens gegründete Think-Tanks und auch Verbindungen zu Medienhäusern. Einfach ausgedrückt: Eliten sind auf ihre Propaganda angewiesen.
Das soll möglichst unbemerkt geschehen. Art und Umfang dieser Einflussnahme sollen nicht zum Teil der öffentlichen Debatten werden. Deshalb wird der Klassenkampf von oben von seinen Verantwortlichen auch immer bestritten werden – selbst wenn die Einflussnahme sehr augenscheinlich vorgeführt wird, wie durch die Veröffentlichung von Wahlkampfspenden oder durch Mitgliedschaften in Förderkreisen nach Eigendefinition unabhängiger, wirtschaftsliberaler Think-Tanks.
Der Klassenkampf und seine Ziele
Im Klassenkampf geht es immer um Verteilungsfragen: Vermögen, Arbeit, Rechte, Mitbestimmung. Die Ursprünge des Klassenkampfs der Arbeiterklasse lagen in einer grundlegenden Verbesserung der Lebensbedingungen – etwa höheren Einkommen, humanen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, Schluss mit Kinderarbeit oder auch Widerstand gegen die Kürzungen von Sozialleistungen.
Der Klassenkampf von oben, wie er heute geführt wird, verfolgt drei gegenteilige Strategien: erstens neue Errungenschaften – vorwiegend der Arbeiter*innenbewegung– zu verhindern (beispielsweise Erbschafts- und Vermögenssteuern oder kürzere Arbeitszeiten), zweitens bestehende Errungenschaften zurückzunehmen (beispielsweise Arbeitnehmer*innenschutzbestimmungen) und drittens den Eliten neue Vorteile zu verschaffen (beispielsweise die Flexibilisierung der Arbeitswelt). Das Ziel im Klassenkampf von oben ist schlicht: Bereicherung.
Die neoliberale Agenda
Unmittelbar verbunden ist der Klassenkampf von oben mit dem Aufstieg der neoliberalen Ideologie und den Vorstellungen ihres Wegbereiters Friedrich August von Hayek. Der Ökonom und Kulturwissenschafter Walter Ötsch führt dazu aus: „Das neoliberale Projekt wird von Hayek von Anfang an als Propagandaunternehmen konzipiert.“ Und weiter: „Hayek entwickelt dazu zweierlei: ein theoretisches Konzept, wie eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung möglich sein kann, und zweitens eine organisatorische Infrastruktur, um dies nicht einmal, sondern andauernd zu realisieren.“
Das neoliberale Projekt wird von Hayek von Anfang an als Propagandaunternehmen konzipiert. Hayek entwickelt dazu zweierlei: ein theoretisches Konzept, wie eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung möglich sein kann, und zweitens eine organisatorische Infrastruktur, um dies nicht einmal, sondern andauernd zu realisieren.
Walter Ötsch, Kulturwissenschafter
Die zentrale Rolle für das Gelingen des neoliberalen Projekts spielt der sogenannte „freie Markt“ – also die Vorstellung, dass sich alle Bedürfnisse einer Gesellschaft durch Angebot und Nachfrage gestalten lassen, die Vorstellung einer Gesellschaft der Konkurrenz statt des Zusammenhalts. „Es ist ein Bild vom Menschen als Gewinn-und-Verlust-Rechner – und eben nicht als Inhaber unveräußerlicher Rechte und Pflichten“, die vom Staat garantiert werden, schreibt der US-amerikanische Autor und Kulturkritiker Stephen Metcalf.
Es ist ein Bild vom Menschen als Gewinn-und-Verlust-Rechner – und eben nicht als Inhaber unveräußerlicher Rechte und Pflichten.
Stephen Metcalf, Kulturkritiker
Denn wo der Staat eingreift, wenden sich Neoliberale gegen die gestaltenden demokratischen Strukturen: „Sie (die Demokratie, Anm.) wird nur dann verteidigt, wenn sie eine Markt-Gesellschaft stützt und fördert. Sollte das nicht der Fall sein, zum Beispiel, wenn die Bevölkerung auf demokratische Weise eine andere Wirtschaftsordnung oder eine andere Version des Kapitalismus will, dann werden Neoliberale zu Kritikern der Demokratie“, erklärt Ötsch.
Das geht bis zur Unterstützung von Diktatoren: Nach dem Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende empfahlen die „Chicago Boys“, eine Gruppe chilenischer Ökonomen, der Militärdiktatur Augusto Pinochets eine neoliberale Wirtschaftsordnung. Beeinflusst war die Gruppe von den Ideen ihres Mentors Milton Friedmann, dessen neoliberale Wirtschaftslehre die Funktionsweisen des freien Markts als alternativlos für Gesellschaften betrachtet. Oder es werden demokratische Prozesse einfach ignoriert – wie 2015 nach dem Oxi-Referendum in Griechenland. Die Bevölkerung lehnte Reformen, entworfen von der Europäischen Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, mehrheitlich ab. Die Reformen wurden trotzdem umgesetzt.
Entsolidarisierung und Spaltung der Gesellschaft
Wird der Klassenkampf als Verteilungskampf von wenigen (den Eliten) gegen viele (den Rest der Gesellschaft) verstanden, liegt der Schluss nahe: „Denen da oben“ gelingt es umso besser, „die da unten“ zu beeinflussen, je weniger Einigkeit „unten“ besteht; oder anders ausgedrückt: je stärker kollektive Ideen geschwächt werden.
So etwas wie die Gesellschaft gibt es nicht. Es gibt nur einzelne Männer und Frauen, und es gibt Familien. Keine Regierung kann existieren, ohne dass die Menschen zunächst für sich selbst sorgen.
Margaret Thatcher, ehemalige britische Premierministerin
Ein Schlüssel dazu liegt im Propagandieren von Eigenverantwortung. Eigenverantwortung war eine der großen Erzählungen in der Politik Margaret Thatchers, die als erstes Staatsoberhaupt offen Hayeks Visionen folgte. Thatcher führte das Vereinigte Königreich in einen bedingungslosen Liberalismus. In ihren eigenen Worten ausgedrückt: „So etwas wie die Gesellschaft gibt es nicht. Es gibt nur einzelne Männer und Frauen, und es gibt Familien. Keine Regierung kann existieren, ohne dass die Menschen zunächst für sich selbst sorgen.“ Eine besonders harte Politik führte Thatcher gegen Gewerkschaften, die sich im Vereinten Königreich in ihren Regierungsperioden halbierten.
„Die Vielen“ sollen sich also nicht solidarisieren, sondern jede und jeder für sich selbst kämpfen – bzw. in der neoliberalen Terminologie ausgedrückt: Alle sollen miteinander konkurrenzieren. Und einen Schritt weiter in dieser Logik sollen sich Gruppen, die in sich Gemeinsamkeiten aufweisen, gegenseitig bekämpfen: Alt gegen Jung, Arm gegen Reich, Beschäftigte gegen Arbeitslose, Gesunde gegen Kranke und dergleichen. Umso stärker die Entsolidarisierung auf individueller Ebene und die Spaltung auf gesellschaftlicher Ebene voranschreiten, umso einfacher wird es für „die da oben“, „die da unten“ zu ihrem Vorteil zu lenken.
Umkämpfte Gebiete
Wie stark ein Gebiet umkämpft ist, lässt sich meist an einem Faktor ablesen: um wieviel Geld es geht. Der Finanzsektor wurde dem Einfluss der „Vielen“ bereits weitgehend entzogen. Zwar durften sie für die Folgen der Finanzkrise 2008/09 allein in Österreich 14 Milliarden Euro zahlen – aber Folgen hatte das für den Finanzsektor praktisch keine. Die Bankenrettung wurde als alternativlos dargestellt, Regulierungen, die eine Wiederholung verhindern, allerdings nicht.
Um viel Geld geht es auch bei den Steuern, die „die da oben“ zahlen, von denen „die da unten“ letztlich profitieren. Doch im Klassenkampf von oben geht es darum, diese Steuern eben nicht zu bezahlen, sondern möglichst viele Steuerschlupflöcher auszunutzen. Hier wurden Möglichkeiten geschaffen, auf die einfache Steuerzahler*innen „da unten“ nicht im Entferntesten zugreifen können. Den Wohlfahrtsstaaten entgehen dadurch Milliarden. Andere Steuern sollen überhaupt verhindert werden – etwa Vermögens- und Erbschaftssteuern in Österreich. Besteuerung von Vermögen und Entlastung des Faktors Arbeit? Keine Chance, Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds oder der OECD (wahrlich keine sozialistischen Institutionen) für entsprechende Strukturreformen zum Trotz.
Die größten Summen, die in einer von Erwerbsarbeit getragenen Gesellschaft verschoben werden, sind die Löhne und Einkommen. Und hier setzen die Eliten im Klassenkampf von oben auf ihre schärfste Waffe: Lohndruck. Lohndruck bedeutet nicht nur, Verhandlungen zu den Kollektiv- bzw. Tarifverträgen unter Druck zu setzen. Lohndruck bedeutet auch, Niedriglohnsektoren zu schaffen, genauso die prekäre Beschäftigung, den Abbau von Sozialleistungen, die Verschärfung von Zumutbarkeitsbedingungen für Arbeitslose und den Abbau von Schutzstandards für Arbeitnehmer*innen. „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ Dieser Satz fiel 2005 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Aber von wem stammt er? Ausgerechnet von einem Sozialdemokraten, dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder – Stichwort: Hartz IV.
Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.
Gerhard Schröder, ehem. deutscher Kanzler
Fazit
Wie können „die da unten“ dem Klassenkampf von oben entgegentreten? Erstens, indem sie sich nicht spalten lassen, also als Kollektiv – durch Geschlossenheit, Entschlossenheit und Solidarität. Errungenschaften im Klassenkampf von unten wurden immer mit kollektiven Kräften erreicht und verteidigt. Zweitens durch Organisation: Gewerkschaften, NGOs und andere Bewegungen der Zivilgesellschaft können neoliberaler Propaganda mit Expertise und entsprechender Kommunikation entgegenhalten. Und drittens durch Mobilisierung: „Die da unten“ sind eben die Vielen, die sich lautstark bemerkbar machen können. Je mehr, je geeinter, umso effektiver.