Erich Fenninger im Kampf gegen Kinderarmut
Arbeit&Wirtschaft: Die steigende Inflation beschäftigt uns seit Monaten, dazu kommen massive Erhöhungen bei den Energiekosten. Die Regierung versucht hier nun mit einem 150-Euro-Gutschein für all jene, die unter der Höchstbeitragsgrundlage in der Sozialversicherung liegen, gegenzusteuern. Wie sinnvoll sind solche Maßnahmen, wenn es um die Bekämpfung von Armut geht?
Erich Fenninger: Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass die Regierung versteht, dass Menschen aufgrund der hohen Inflation und des dramatischen Anstiegs der Preise für Energie Probleme haben. Was absolut unverständlich bleibt, ist, dass man jedem Österreicher und jeder Österreicherin 150 Euro zur Verfügung stellt, denn nicht alle haben so wenig Einkommen, dass sie das nicht selbst stemmen könnten. Wir wissen, dass etwa 1,5 Millionen Menschen von Armut oder Armutsgefährdung betroffen sind. Es wäre doch ein viel sinnvollerer Weg, hier zielorientiert jene zu unterstützen, die damit ein Problem haben, denken wir an die Menschen mit wenig Einkommen, die mittlerweile jeden dritten Euro für Energie und Wohnen verwendet werden müssen. Ein normaler Durchschnittshaushalt verwendet 18 Prozent für das Wohnen und Energie.
Rund 18 Prozent der Kinder in Österreich sind armutsgefährdet – fast jedes fünfte! @erichfenninger, Geschäftsführer der @volkshilfe und Viktoria Reisinger von der Arbeiterkammer Oberösterreich sprechen darüber in Kreiskys Wohnzimmer. https://t.co/nZu48s7IHU#kindergrundsicherung pic.twitter.com/HHUnRc8ZQY
— Bruno Kreisky Forum (@BKFVienna) January 31, 2022
Armut zählt zu den Kernthemen der Volkshilfe. Sie haben nun bereits die Wohn- und Energiekosten angesprochen. Wo drückt sonst noch der Schuh?
Armut hängt mit Reichtum zusammen. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sagt zum Beispiel, es sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Bertolt Brecht hat darauf hingewiesen, wenn du reich bist, bin ich arm. Armut bedeutet primär nichts anderes, als kein Geld zu haben. Und in einer kapitalistischen, kommerzialisierten Konsumgesellschaft ist das von besonders hoher Relevanz. Geld ist ein Tauschmittel, das wir verwenden, um die eigene Existenz und die eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können. Armutsbetroffene Menschen haben einfach zu wenig Geld in Relation zu anderen oder sie haben absolut kein Geld, um ihre primären Bedürfnisse zu befriedigen. Und daraus entstehen viele andere Schäden: Krankheitssymptome entwickeln sich, die Familien und Personen stehen unter Stress, sie sind nicht mehr Teil der Gesellschaft, sie werden ausgegrenzt, sie isolieren sich oftmals selbst, sie haben meistens einen geringeren Bildungsweg als andere.
Armut ist kein Versagen
Menschen ziehen sich also auch selber immer mehr zurück. Was braucht es da gesellschaftlich, dass das Tabu Armut nicht mehr so stark ist?
Ich glaube, dass Tabu ein Thema ist, aber wahrscheinlich ist es noch viel wichtiger zu identifizieren, dass mit ärmeren Menschen Politik gemacht wird, dass man ihnen negative Eigenschaften unterlegt. Man tut so, als würde es sich um ein individuelles Versagen handeln. Man müsste aber zunächst prüfen, wie Armut entsteht. Und Armut hängt in Österreich und in anderen westlichen Staaten zusammen mit Erwerbstätigkeit. Es gibt viele, die von der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen bleiben. Wir können wissenschaftlich nachweisen, dass das nicht auf individuelles Versagen zurückzuführen ist, sondern auf eine ökonomische Struktur. Zum Zweiten dürfen wir nicht unterschätzen, dass es zu einer Fragmentierung der Erwerbstätigkeit gekommen ist, dass wir für viele Tätigkeiten die Menschen nicht ausreichend bezahlen.
Wenn ich Ihnen zuhöre, entsteht der Eindruck, es braucht Umverteilung. Wie kann diese konkret ausschauen?
Wir brauchen eine Gesellschaft, wo wirklich jede:r von uns in der Lage ist, erwerbstätig zu sein, und auch das Recht hat auf Erwerbstätigkeit. Und zum Zweiten, dass er das Recht auf eine faire Entlohnung seiner Tätigkeit hat. Da ist viel in Österreich gelungen, aber gleichzeitig sehen wir, dass gerade die untersten Einkommensschichten, traditionell jene, die stärker manuell tätig sind oder in sozialen Bereichen, einfach unterbezahlt sind. Und vieles, was früher in Anstellungsverhältnissen passiert ist, wird heute in anderen freien oder selbstständigen Aktivitäten durchgeführt.
Die Gesellschaft hätte die Verantwortung, dass ein Ordnungsrahmen organisiert wird. Das passiert aber in einer neoliberalen Welt immer weniger, weil wir die letzten 30 Jahre beobachten müssen, dass der Finanzmarkt den Ordnungsrahmen für die Politik mehr gestaltet als die Politik den Ordnungsrahmen für das Kapital und für die Finanzwirtschaft. Und das wären die Dreh- und Angelpunkte. Global betrachtet wissen wir beispielsweise von Oxfam, dass acht Menschen so viel Vermögen haben wie 50 Prozent der Menschheit. Hier muss man entgegensteuern, national wie international.
Besser Entlohnung: Laut sein für Kolleg:innen
Sie haben den Sozialbereich angesprochen, wo die Entlohnung traditionell sehr niedrig ist. Das ist auch ein Bereich, wo man, wenn man mit Arbeitgeber:innen spricht – auch die Volkshilfe ist hier ein Arbeitgeber –, zur Antwort bekommt: Wir würden gerne mehr zahlen, wir sind aber angewiesen auf öffentliche Gelder. Das bringt uns zum Steuersystem. Wie würde ein faireres Steuersystem aussehen?
Zunächst ist mir wichtig, über den Begriff Arbeitgeber:innen zu sprechen. Ich halte es für wichtig, dass wir uns in Erinnerung rufen, dass wir auch hier vom Wording her eine Verdrehung der Tatsachen tolerieren. Wir sind Menschen, die Arbeit geben, wir leisten Tätigkeit, ob das diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen sind, Sozialarbeiter:innen, Menschen im Handel oder wo auch immer. Und die sogenannten Arbeitgeber:innen nehmen sich die Arbeit.
Ich halte es für legitim, Vermögen zu besteuern und
nicht die Tätigkeit der Menschen in den Vordergrund zu stellen.
Erich Fenninger, Volkshilfe Österreich
Das Zweite: Seitdem ich in Leitungsfunktion bin, kämpfe ich für bessere Entlohnung. Diese können wir nicht selbst finanzieren, weil Armutsbetroffene definitiv nicht in der Lage sind, Sozialarbeitsstunden zu finanzieren. Das heißt, natürlich muss es dann kollektiv finanziert werden. Ich glaube, dass wir trotz der Abhängigkeit von Fördergeldern auch den Mut haben müssen, dass wir im Sinne der Kolleg:innen laut sind.
Wie aber könnte nun ein gerechteres Steuersystem aussehen?
Das eine ist, dass wir sehen, dass das Vermögen an sich viel zu wenig besteuert wird. Menschen mit Kapital werden letztlich in Kombination mit den Prinzipien des Finanzmarktes ständig reicher. Wir können das auch empirisch messen. Zweitens geht es um eine bessere Versteuerung auch jener, die tätig sind und extreme Einkommen haben. Und man muss die Frage stellen, ob Rieseneinkommen zum Beispiel bei großen Konzernen wirklich noch rechtfertigbar sind. Ich halte es für legitim, Vermögen zu besteuern und nicht die Tätigkeit der Menschen in den Vordergrund zu stellen. Wenn wir auf den Mittelwert der OECD-Staaten kämen, hätten wir einige Milliarden mehr pro Jahr an Steuereinnahmen, die wir in Fairness investieren könnten.