Kapital der nächsten Generation
Für die nächste Generation stellt sich nur die Frage, ob sie in Zukunft ein höheres Real- und Humankapital in Form von Infrastruktur und Bildung bekommt – oder eben weniger Staatsschulden, weil zu wenig investiert wurde.
Genauer betrachtet
Die Idee, dass alle Generationen ein Recht auf gleiche Ausgangschancen haben, klingt naheliegend, ist es aber bei genauerer Betrachtung nicht. Ziel muss vielmehr sein, dass es den Kindern einmal besser geht und nicht gerade einmal gleich gut. Die Säuglingssterblichkeit etwa betrug noch 1988 (also vor 30 Jahren) 8,1 Gestorbene auf 1.000 Lebendgeburten, inzwischen sind wir bei 3,1 angelangt. Auch die Bildungschancen haben sich seit damals massiv verbessert. Der heutigen Generation nur die gleichen Chancen wie deren Eltern zuzugestehen, wäre eine massive Verschlechterung für die meisten Kinder und jungen Menschen.
Für die Gerechtigkeit ist relevant, was mit dem geborgten Geld gemacht wird: Wird durch die Senkung von Gewinnsteuern die Spaltung der Gesellschaft für die nächste Generation verschärft oder werden Ausgaben finanziert, welche die Chancen der nächsten Generation auf Bildung, Gesundheit oder auch Integration erhöhen?
Gespaltene Gesellschaft
Werden nur niedrige Profitsteuern, kaputtgesparte Schulen und eine in Arm und Reich gespaltene Gesellschaft hinterlassen, so ist das ungerecht gegenüber den nächsten Generationen. Generationengerechtigkeit heißt, der nächsten Generation eine funktionierende Infrastruktur, eine intakte Natur und eine geeinte Gesellschaft zu hinterlassen.
Interessant ist die Vorstellung der Regierung von einem gerechten Mietrecht. Einerseits soll „nicht in bestehende Verträge eingegriffen werden“, andererseits sollen Mieten auf ein marktkonformes Niveau angehoben werden. Das führt zwangsläufig zu Ungerechtigkeit zwischen Alt- und NeumieterInnen: Junge Leute, die ihre Familie aufbauen, haben die hohen „marktkonformen“ Mieten für zu kleine Wohnungen und die älteren leben in zu großen Wohnungen, die sie nicht aufgeben können, weil eine kleinere Wohnung mit neuem Vertrag teurer wäre. Es ist auch nicht gerecht, wenn das Recht, Mietverträge zu übernehmen, bei privaten Haushalten abgeschafft, bei Betrieben aber ausgebaut wird. Beim Mietrecht scheint die Regierung das gerecht zu finden, was Hausherren und Unternehmern hilft.
Haus- und Wohnungseigentum soll gefördert werden, während die Mieten für „Besserverdiener im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau“ regelmäßig erhöht werden. Die Konsequenz: Wer genug Geld hat, bekommt eine Förderung für den Kauf seiner Wohnung. Wer nicht ganz so viel hat, bekommt eine höhere Miete.
Ungleich verteilt
Die Familienbeihilfe soll für Kinder, die im Ausland leben, an das dortige Preisniveau angepasst werden. Die gering verdienende Pflegekraft, die Kinder im billigen Bulgarien hat, bekommt weniger, der Vorstandsvorsitzende mit Kindern in Paris bekommt mehr. Mit dem Familienbonus bei der Lohn- und Einkommensteuer bekommen jene Eltern mehr, die mehr verdienen. Nicht erwähnt wird die ungerechte Finanzierung von Familienleistungen. Nach wie vor finanzieren Abgaben auf die Lohnsumme die Leistungen für alle, also auch für Unternehmer- und Bauernfamilien.
Mit dem Pensionskonto besteht in Österreich ein klares Proportionalsystem. Wer mehr und wer länger einzahlt, bekommt mehr Pension. Wer 30 Beitragsjahre hat, bekommt 53,4 Prozent der Bemessungsgrundlage, wer 40 Jahre eingezahlt hat, bekommt 71,2 Prozent, also genau um jenes Drittel mehr, das er oder sie auch länger eingezahlt hat. Große Unterschiede gibt es dagegen bei der Finanzierung: Die Unselbstständigen finanzieren sich ihre Pensionen zu über 85 Prozent aus eigenen Beiträgen, nur 14,4 Prozent kommen aus dem Budget. Die Pensionen der Selbstständigen werden dagegen bei den Unternehmern zu 48 Prozent und bei den Bauern zu 77 Prozent von den SteuerzahlerInnen bezahlt.
Symbolpolitik
Nun will die Regierung im Bereich der Ausgleichszulage Symbolpolitik betreiben, die nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat. Die Ausgleichszulage ist eine Zuzahlung des Staates zu niedrigen Pensionen. Diese wird so berechnet, dass die Summe aus Pension und Ausgleichszulage ein Mindestniveau erreicht. Dieses liegt derzeit für Alleinstehende bei 14-mal 909 Euro und 1.363 Euro für Ehepaare, ebenfalls 14-mal. Ein Ehepaar, bei dem ein/e PartnerIn 40 Beitragsjahre hat, soll nun eine höhere Ausgleichszulage bekommen, ein Paar, das zweimal 35, also in Summe 70 oder mehr Beitragsjahre hat, hingegen nicht. Ein System, das weitgehend fair ist, nur aus Populismus umzubauen, wird dadurch aber nicht fairer.
Die Liste der Gerechtigkeitsfragen im Regierungsprogramm ließe sich fortsetzen. So soll die AUVA, die letztlich eine Haftpflichtversicherung für Unternehmen ist, plötzlich über die Krankenkasse von den Beschäftigten finanziert werden. Ein Unternehmer, der einmal einen Beschäftigten falsch anmeldet, soll dieselbe Strafe bekommen wie einer, der dies mit Hunderten Beschäftigten zum Unternehmensmodell macht.
Ein Grundsatz einer gerechten Finanzierung wäre, dass jene, die das Glück besserer Startvoraussetzungen und höherer Leistungsfähigkeit haben, auch mehr beitragen. Im Gegenzug gibt es in einer funktionierenden Gesellschaft Lob und Anerkennung und das Versprechen, ebenfalls unterstützt zu werden, wenn es einem einmal schlechter geht.
Ganz im Gegensatz dazu wird die bestehende Ungerechtigkeit noch verschärft. Für Zins- und Dividendeneinkommen wird schon jetzt ein geringerer Steuersatz verrechnet als für die meisten Arbeitseinkommen: ein einheitlicher von derzeit 27,5 Prozent bzw. 25 Prozent. Obwohl man für Zinsen und Dividenden nichts leisten muss und für Löhne und Gehälter schon. Das Regierungsprogramm plant die Körperschaftssteuer noch weiter zu senken. Und das, obwohl nur die reichsten paar Prozent der österreichischen Gesellschaft Einkommen aus Unternehmensgewinnen in relevanter Höhe haben. Diese profitieren überproportional vom sozialen Frieden in Österreich, tragen aber immer weniger dazu bei.
Zu wertvoll für Floskeln
Gerechtigkeit hat viele Seiten und viele Aspekte kann man unter mehreren, auch widersprüchlichen Gerechtigkeitsvorstellungen beurteilen. Sollen die am meisten bekommen, die viel einzahlen, oder jene, die es besonders brauchen, oder jene, die besonders viel für andere tun? Im Wahlkampf war zwar viel von Gerechtigkeit die Rede, im Regierungsprogramm ist davon allerdings nicht viel übrig geblieben. Die Debatte darüber, was gerecht ist, wird also weitergehen – und man muss sie ernsthafter führen, als dies im vorliegenden Regierungsprogramm geschieht. Gerechtigkeit ist ein zu wichtiges Ziel, um es durch Floskeln zu verwässern. Eine faire Wohlstandsverteilung und faire Beiträge dazu von allen müssen wieder im Mittelpunkt der Gerechtigkeitsdebatte stehen.
Eine handliche Übersicht über philosophische Gerechtigkeitstheorien:
tinyurl.com/y9a95v3w
tinyurl.com/y7volryk
tinyurl.com/ycy8985o
tinyurl.com/y8op6r8y
Sepp Zuckerstätter
Abteilung für Wirtschaftswissenschaft der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/18.
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