Arbeit&Wirtschaft: Was kann denn auf EU-Ebene für die Rechte von Arbeiter:innen getan werden?
Evelyn Regner: Sehr viel. Das können und müssen wir, wenn die nationale Ebene versagt. Und in Österreich versagt sie.
Inwiefern?
Bei der Teilzeit beispielsweise. Es gibt die Teilzeitrichtlinie der EU, die besagt, dass alle Beschäftigten gleich behandelt werden müssen. Teilzeitbeschäftigung wird überwiegend von Frauen ausgeübt, also müssen wir darauf achten, ob nicht eine indirekte Diskriminierung allein dadurch gegeben ist, wenn Frauen in Teilzeit beschäftigt sind statt in Vollzeit. Wenn wir uns die Löhne anschauen, verdienen Frauen ja nicht nur deshalb weniger, weil sie weniger Stunden arbeiten, sondern auch, weil im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigung Teilzeitarbeit an sich schlechter bezahlt wird. Auf europäischer Ebene wurde beschlossen, dass es diese Diskriminierung nicht mehr geben darf, und alle mussten das umsetzen. Wenn jetzt der Arbeitsminister Teilzeitbeschäftigte bestrafen will im Verhältnis zu Vollzeitbeschäftigten, dann ist das eine Diskriminierung. Kurz: Was Arbeitsminister Kocher in den Raum gestellt hat, ist EU-rechtswidrig. Es verstößt gegen die Teilzeitrichtlinie.
In vielen europäischen Ländern ist die massive Nachfrage nach Arbeitskräften ein Problem. Was kann auf europäischer Ebene dagegen getan werden?
Wir haben da einerseits ein demografisches Problem: Das sehen wir im öffentlichen Dienst, beispielsweise bei Lehrer:innen, Polizist:innen oder bei den Wiener Linien. Hier ist es dringend geboten, Anreize zu schaffen, um junge Menschen für diese Jobs zu begeistern. Ein anderer Grund ist Corona. Die Pandemie hat Menschen gelehrt, dass wir Geld brauchen, damit wir unser Leben finanzieren können, aber das Leben eben nicht nur aus Arbeiten besteht, sondern auch darin, Freund:innen zu sehen oder Familie zu haben. Da haben sich schon viele gefragt: Ist es eigentlich okay, wenn ich rund um die Uhr schufte und dabei nicht besonders viel verdiene? Sollte ich nicht ein bisschen weniger arbeiten?
Überdies sehen wir, dass sehr viele Beschäftigte aus anderen Ländern kamen. Gerade im Tourismussektor und in sehr vielen Dienstleistungssektoren sind Menschen, die teilweise sehr schlechte Arbeitsbedingungen geschluckt haben, wieder in ihre Herkunftsländer zurückgegangen, weil auch dort Jobs frei werden. Sie fragen sich dann: Soll ich mir das antun, unter so schlechten Arbeitsbedingungen in Österreich zu leben?
Also die Antwort wäre, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen?
Natürlich. Immer. Genau darum geht es. Wir erleben einen Strukturwandel und müssen uns fragen: Was können wir tun, damit Menschen gerne arbeiten? Da geht es um Arbeitsbedingungen, um Arbeitszeit, um Arbeitswege, um Ausbildung. Das hat sehr viel mit Respekt zu tun, mit Anerkennung der Arbeit, auch mit der Gestaltung des Arbeitsalltags. Da liegt jetzt eine Verpflichtung bei den Unternehmen. Die glauben zum Teil, Arbeitskräfte würden auf den Bäumen nachwachsen. So ist das nicht. Sie müssen ihnen auch etwas bieten.
Haben die Lockdowns nicht auch gezeigt, dass viele Menschen lieber selbstbestimmt von zu Hause arbeiten, ohne dass ihnen permanent über die Schulter geschaut wird?
Das eine ist der Arbeitsdruck, der immer größer wird. Und wenn der Arbeitsdruck besonders groß ist, sind Menschen weder kreativ noch besonders produktiv. Das Zweite ist die Kontrolle. Diese zwei Dinge verstärken bestehende Phänomene und führen dazu, dass Menschen sagen: Das kann und will ich nicht in einem Vollzeitjob bringen.
Die Tatsache, dass Arbeit so dicht geworden ist, liegt auch in der Digitalisierung. Eine Forderung, die in dem Zusammenhang immer wieder im Raum steht, ist Arbeitszeitverkürzung. Wie sehen Sie das?
Ich halte es für unbedingt notwendig, dass wir die Arbeitszeit verkürzen. Gleichzeitig sollte es eine Vier-Tage-Woche geben. Wir haben einen Strukturwandel, wir haben einen sogenannten Arbeitskräftemangel, die Preise schnalzen in die Höhe. Es ist an der Zeit, dass Beschäftigte auch etwas einfordern. Ich sehe keinen Grund, bescheiden zu sein.
Das bringt mich zu dem großen Stichwort Steuergerechtigkeit. Wie sieht ein gerechtes Steuersystem aus?
Bei Steuern muss man vier Elemente beachten: Einkommenssteuer, Körperschaftssteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer. Bei der Körperschaftssteuer haben wir zustande gebracht, dass große Unternehmen, die ja meistens global agieren, Land für Land offenlegen müssen, wo sie ihre Profite erreicht haben. Wenn das ordentlich umgesetzt wird, dann müssen die Unternehmen auch dort Steuern zahlen, wo sie ihre Profite erwirtschaften. Wir haben jetzt auf dieser Grundlage, das ist von Europa ausgegangen, eine globale Mindestkörperschaftssteuer erreicht – zwar nur 15 Prozent, aber wir hätten uns noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen können, dass sowas global überhaupt möglich ist. Sehr wichtig sind natürlich auch Vermögenssteuern. Tax the rich! Es geht nicht anders.
Und Finanztransaktionssteuern?
Die Finanztransaktionssteuer ist die sinnvollste Steuer, denn sie besteuert die Richtigen. Wir hatten das auf europäischer Ebene eigentlich schon fast auf Schiene und dann ist es doch nicht zustande gekommen, weil wir nicht genug Stimmen hatten. Es braucht Einstimmigkeit bei Steuerthemen. So wird es aber nie gelingen, Bahnbrechendes zu erreichen. Das Prinzip der Einstimmigkeit, wenn es um das wichtige Zukunftsthema Steuergerechtigkeit geht, gehört dringend weg.