Kampf um Raum

Foto (C) www.leerstandsmelder.de/wien
Die Stadt Wien schätzt, dass rund 35.000 Wohnungen leer stehen, 10.000 davon längerfristig über zweieinhalb Jahre. Der Leerstandsmelder der IG Kultur Wien macht einige von ihnen sichtbar.

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Zehntausende Menschen suchen in Wien eine Unterkunft. Gleichzeitig stehen Zehntausende Wohnungen leer. Alles nur Zufall? Er muss als Lebensraum bereits in der Planung mitgedacht werden.
Die Fensterscheiben sind verdreckt, abends brennt kein Licht, ein Plastiksackerl mit vergilbten Werbeprospekten an der Türschnalle erinnert daran, dass hier seit zwei Jahren niemand mehr wohnt. So wie diese Wohnung in der Leibenfrostgasse im 4. Wiener Gemeindebezirk gibt es über dreißigtausend leer stehende Wohnungen in Wien.

Spekulation mit „Betongold“

Gleichzeitig wimmelt es nur so von Wohnungssuchenden, die keinen leistbaren Wohnraum finden. Knapp zehntausend Menschen sind es derzeit – und es werden mehr, denn die Stadt wächst stetig. Im Jahr 2030 werden laut Prognosen fast zwei Millionen Menschen in Wien leben, das sind 250.000 mehr als jetzt.

Die Debatten über den angespannten Wohnungsmarkt und absurde Mietpreise haben das Thema Leerstand publik gemacht. Wo Großstädte wachsen und Kampf um Raum herrscht, steigt die Spekulation mit dem „Betongold“. Jetzt soll die Politik handeln, fordern die Mietervereinigung und die IG Kultur Wien. Zum Beispiel durch verpflichtende Leerstandsmeldungen und eine Abgabe auf leer stehende Immobilien.

Dass eine Wohnung leer steht, merkt man oft erst nach Monaten, wenn das Postfach überquillt oder die Lichter abends ausgeschaltet bleiben. Wie viele Wohnungen tatsächlich unbewohnt sind, weiß niemand so genau. Die Stadt Wien schätzt die Zahl auf 35.000, davon 10.000 längerfristige Leerstände über zweieinhalb Jahre. Nur diese zehntausend Wohnungen zählt die Stadt als definitiven Leerstand. So recht glauben will diese Zahlen aber niemand. „Wir gehen von mindestens 50.000 Wohnungen aus“, so Alexandra Rezaei, Bundesgeschäftsführerin der Mietervereinigung. Anderswo geistern Zahlen zwischen 80.000 und 100.000 leer stehenden Wohnungen herum.

Warum ist es so schwierig, konkrete Zahlen festzustellen? Die Wiener Wohnbauforschung (MA 50) hat dafür ein Rechenmodell entwickelt, bei dem sie Daten der Statistik Austria mit dem Wiener Bevölkerungsregister bündelt. Da liegt der Hund begraben: Das Bevölkerungsregister sagt wenig über die tatsächliche Bevölkerung einer Stadt aus. Viele Menschen sind nicht gemeldet, andere wiederum sind gemeldet, aber nutzen die Wohnung nicht.

Problembewusstsein schärfen

Keine genauen Zahlen, überhaupt wenig Transparenz beim Thema Leerstand – das hat die IG Kultur Wien veranlasst, einen Leerstandsmelder für Wien zu schaffen: eine Online-Stadtkarte, die leer stehende Immobilien als rote Fähnchen anzeigt. Das Prinzip ist einfach, mitmachen kann jede/r. Man muss sich nur registrieren, und schon können unbewohnte Objekte, Fotos und Informationen zu den EigentümerInnen eingetragen werden. Andere Mitglieder können die Einträge kommentieren, zum Beispiel, dass die Immobilie gerade saniert wird und deswegen nicht zur Verfügung steht. Dann wird das Fähnchen auf grau gesetzt. „Wir wollen damit Leerstand sichtbar machen und das Problembewusstsein schärfen“, so Willi Hejda und Fanja Haybach von der IG Kultur Wien. 300 rote Fähnchen sind derzeit über die ganze Stadt verteilt, Hunderte Menschen beteiligen sich bereits an dem Projekt, dessen Idee ursprünglich aus Hamburg kommt.

Die meisten Objekte sind Büroflächen oder verwaiste Geschäftslokale, Wohnungen werden kaum eingetragen. Vollständige Daten kann die Initiative nicht liefern, darum geht es ihr auch nicht. Die IG Kultur Wien will mit dem Leerstandsmelder aufzeigen: Es gibt derzeit 300 leer stehende Objekte und somit 300 vertane Chancen, diese Räume kreativ und kulturell zu nutzen.

Warum stehen Wohnungen leer?

Leerstand ist nichts Ungewöhnliches in einer Stadt. Im Gegenteil: Ein gewisser Leerstand ist sogar nötig, um Umzüge, Neuzugänge etc. zu ermöglichen, um also „mobil“ zu bleiben. Ein Teil der Leerstände ist somit eine notwendige Mobilitätsreserve. Andere Wohnungen stehen leer, weil VermieterInnen dreiste Mietpreise fordern und die Wohnungen so nicht anbringen, kritisiert die Mietervereinigung. In den letzten Jahren sind die Mieten in Wien drastisch gestiegen. Wohnraum duch Privatmieten sei vor allem für junge Menschen kaum leistbar. Allein die Lagezuschläge – Anteile an den Grundkosten – sind innerhalb eines Jahres zwischen 30 und 50 Prozent gestiegen. Im ersten Bezirk zahlt man seit 2017 knapp 11 Euro pro Quadratmeter allein nur Lagezuschlag. „Leerstand ist ein Problem, weil er die Preise weiter hochtreibt“, so Alexandra Rezaei. Dass Zehntausende Wohnungen nur aus Sanierungsgründen über zweieinhalb Jahre leer stehen, sei wenig glaubhaft: „Das ist Strategie!“ Alte Häuser werden einfach stehen gelassen, bis man sie abreißen muss und neue bauen kann, um teurere Wohnungen zu vermieten. In einem angespannten Wohnungsmarkt ist Leerstand ein beliebtes Mittel zur Spekulation. Nicht nur das.Zahlreiche Wohnungen stehen leer, weil sie von den EigentümerInnen gar nicht gebraucht werden, aber als gute Wertanlage, als „Betongold“, dienen. Und dann ist da noch Airbnb. Zwischen 5.000 und 7.000 Wohnungen in Wien werden mittlerweile ausschließlich über touristische Wohnplattformen kurzfristig vermietet, vermutet Rezaei.

In einer Woche kann man damit so viel Geld einnehmen wie in einem Monat durch eine herkömmliche Vermietung. Warum sich also Scherereien mit MieterInnen aussetzen, wenn es so einfacher und profitabler geht? Das ist nicht nur lukrativ, sondern vor allem schlecht für den stöhnenden Wohnungsmarkt, dem so weiterer Wohnraum entzogen wird.

Steuern gegen Leerstand?

Die Mietervereinigung, die IG Kultur Wien und auch die junge SPÖ fordern von der Stadtregierung, dass Leerstände verpflichtend gemeldet werden müssen und darauf aufbauend eine Abgabe auf Leerstand. Das wurde bereits in einigen europäischen Städten eingeführt. Paris und Amsterdam haben damit gute Erfahrungen gemacht. In Amsterdam müssen private EigentümerInnen leer stehende Wohnungen melden. Bleibt die Wohnung länger als ein halbes Jahr ohne NachmieterIn, darf die Stadt in die Vermietung eingreifen. In Österreich ist das ein emotionales Thema. „Hände weg von Eigentum!“ oder „Eigentum muss privat bleiben“ kontern GegnerInnen in Online-Foren auf die Forderung nach einer Leerstandsabgabe.

Auch der Verfassungsrechtler Heinz Mayer zeigt sich bedenklich. Denn Wien hatte Anfang der 1980er-Jahre bereits eine Abgabe auf leer stehende Wohnungen eingeführt. Damals hob die Stadt – je nach Kategorie der Wohnung – umgerechnet bis zu 4,80 Euro pro Quadratmeter und Monat für leer stehende Wohnungen ein. 1985 hat der Verfassungsgerichtshof die Abgabe für unzulässig erklärt. Das sei Bundessache, war die Begründung. Heute sei die Lage aber anders, so Rezaei. Die Abgabe war damals zu hoch, die Kategorien gibt es so heute nicht mehr. Die junge SPÖ etwa würde sich mit einem Euro pro Quadratmeter zufrieden geben. Das Modell müsste also verfassungsrechtlich neu geprüft werden. „Es braucht also vor allem den politischen Willen dazu“, sind sich IG Kultur Wien und Mietervereinigung einig.

Wem gehört die Stadt?

Nach dem Wirbel um leer stehende Wohnungen im Wiener Vorwahlkampf 2014 ist es seither wieder leiser geworden am politischen Parkett. Der Wohnbaustadtrat wischt Probleme überhaupt vom Tisch mit dem Argument, dass sich Wiens Wohnungsleerstände im Bereich der Mobilitätsreserve bewegen. Problem gelöst. Wird hier in typisch wienerischer Manier einfach nur auf hohem Niveau gejammert? „Im internationalen Vergleich? Vielleicht“, meint die Bundesgeschäftsführerin der Mietervereinigung. Aber: Leerstand ist ein politisches Thema und verschärft soziale Ungleichheiten in einer Stadt. Es gibt Menschen, die es sich leisten können, Wohnungen leer stehen zu lassen, und Menschen, die dringend Wohnraum benötigen. Politik müsse hier die Rahmenbedingungen festlegen. Es brauche vor allem Transparenz bei den Leerstandsmeldungen und einen politischen Willen, leer stehende Wohnungen schnell wieder auf den Markt zu bringen. Zum Beispiel durch eine Leerstandsabgabe. Das funktioniert bereits in einigen Städten, warum also nicht auch in Wien. Immerhin geht es um die Frage: Wem gehört die Stadt?

Leerstandsmelder:
www.leerstandsmelder.de/wien
www.leerstandsmelder.de/salzburg
Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik.
Gratis Download unter:
tinyurl.com/wergehtleeraus

Von
Irene Steindl
Freie Redakteurin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/17.

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