Arbeiter- und Soldatenräte
So mancher Soldat hatte aus Russland kommunistische Ideen mitgebracht, und schon ab 1918 waren auch hierzulande Arbeiter- und Soldatenräte entstanden. So setzte etwa in der Mitterberger Kupfer AG in Salzburg der Arbeiterrat den Direktor ab und erklärte die Belegschaft zur Besitzerin des Betriebes. „Die Führung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) setzte ein Schiedsgericht ein und konnte so die Situation beruhigen“, weiß die Historikerin Brigitte Pellar.
„Im Werk Donawitz der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft wiederum löste eine Erhöhung von Lebensmittelpreisen am 7. April 1919 eine Protestaktion aus. Die Belegschaft streikte, verjagte die Direktion und setzte ein Direktorium ein, das aus zwei Ingenieuren und je einem sozialdemokratischen und einem kommunistischen Arbeiter bestand. Dieses Management funktionierte anscheinend gut, denn während der dreitägigen Selbstverwaltung wurde in allen Abteilungen gearbeitet. Das Experiment, dem sich auch die Bergarbeiter und Bergarbeiterinnen des Unternehmens anschlossen, wurde durch den örtlichen Arbeiterrat beendet. Er erklärte sich zur einzigen berechtigten Instanz, um Streitigkeiten zwischen Belegschaft und Werksleitung zu schlichten.“
Unruhige Zeiten
Verbesserungen im Arbeitsrecht
Mit dem Arbeiterurlaubsgesetz erhielten auch ArbeiterInnen das Recht auf bezahlten Urlaub. Ein weiteres Gesetz beschäftigte sich mit der Arbeitszeit: Es sah den achtstündigen Normalarbeitstag mit der Möglichkeit einer Höchstarbeitszeit von 10 Stunden an 30 Tagen im Jahr vor.
Und im Dezember 1919 wurde das Gesetz über Einigungsämter verabschiedet, das man auch als „erstes Kollektivvertragsgesetz“ bezeichnen könnte. Das Amt war mit VertreterInnen der Arbeitsmarktparteien paritätisch zusammengesetzt und diente auch als Schlichtungsstelle bei „Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis“. Historikerin Brigitte Pellar: „Die ersten Betriebsräte mussten sehr oft vor das Einigungsamt gehen, da die Unternehmen immer wieder versuchten, die Kollektivverträge zu unterlaufen. Ihnen standen dabei keine Rechtsanwälte als professionelle Berater zur Verfügung, sie mussten ihre Anliegen selbst vorbringen und verteidigen.“
Die ersten Betriebsräte mussten sehr oft vor das Einigungsamt gehen, da die Unternehmen immer wieder versuchten, die Kollektivverträge zu unterlaufen.
Brigitte Pellar, Historikerin
Johann Swatschina, damals junger Betriebsratsvorsitzender und gewerkschaftlicher Vertrauensmann der Hohenauer Zuckerfabrik, erinnerte sich 1972 als Zeitzeuge an diese Kämpfe: „Nach 1919 gab es öfters Auseinandersetzungen über die Auslegung des Kollektivvertrags, sodass wir bis zum Einigungsamt gehen mussten. Wir hatten auch Erfolg, trotzdem ihr Vertreter ein Rechtsanwalt war und wir nur die Volksschule besucht hatten …“
Im Winter 1919 standen BetriebsrätInnen zusätzlich noch vor ganz anderen Herausforderungen: Nicht nur Lebensmittel waren knapp, es gab auch kaum Kohle zum Heizen. Zum Teil versuchten sie gemeinsam mit Arbeiterkonsumgenossenschaften, das Nötigste für die hungernden und frierenden Beschäftigten zu besorgen.
Nach langer Zwangspause während der NS-Herrschaft wurden unmittelbar nach Kriegsende in den Betrieben spontan BetriebsrätInnen gewählt, die sich meist aus den Mitgliedern ehemaliger Widerstandsgruppen zusammensetzten. Nicht wenige waren gemeinsam inhaftiert bzw. im KZ gewesen. 1947 wurde das Betriebsrätegesetz mit mehreren Verbesserungen neu beschlossen: Ein Zentralbetriebsrat wurde eingeführt sowie die Möglichkeit, Betriebsversammlungen abzuhalten. Schutzbestimmungen für BetriebsrätInnen wurden ausgebaut, ab 200 Beschäftigten waren freigestellte BetriebsrätInnen vorgesehen.
Maria Metzger, von 1949 bis 1955 Betriebsrätin in einer Handelsfirma, erzählt von Solidarität unter den KollegInnen: „Anfang der 50er-Jahre gab es eine Demonstration der Handelsangestellten gegen die Verschlechterung der Ladenschlussbestimmungen. Und ich konnte erreichen, dass meine Kollegen hundertprozentig mitgingen, obwohl wir bei uns längst am Samstagvormittag freihatten.“
Altbekannte Probleme
Anfang der 1960er-Jahre setzte der Siegeszug der Lebensmittel- und Kaufhausketten ein. Die Probleme der Handelsangestellten änderten sich dadurch nicht viel: Ladenschlusszeiten, Streit um Feiertagsöffnung und familienfeindliche Arbeitszeiten. Emmi Scharnsteiner arbeitete von 1957 bis 1966 in einem Kaufhaus in Wien-Favoriten. Das Problem längerer Pausen zwischen den Arbeitseinheiten gab es auch damals: „Die Mittagspause dauerte viel länger, als ich zum Essen brauchte. Mittagessen gab es in der Werksküche im Keller des Gebäudes. Danach ging ich meist in die hauseigene Schneiderei. Denn ich nähte fast die gesamte Kleidung für meine beiden kleinen Töchter selbst. So konnte ich wenigstens die Zeit nützen. Meinen freien Tag verwendete ich für Hausarbeiten und zum Einkaufen, denn abends gelang es mir nur manchmal, beim Mini-Markt ums Eck schnell noch unter dem halb geschlossenen Rollbalken durchzuschlüpfen, um Milch und Brot zu kaufen.“
Mit dem Arbeitsverfassungsgesetz, das im Juli 1974 in Kraft trat, wurden die einzelnen Gesetze zur Regelung des Arbeitsrechts (BR-Gesetz, KV-Gesetz etc.) zusammengefasst. Es gab auch einige Neuerungen, etwa die Drittel-Beteiligung der BetriebsrätInnen an Aufsichtsräten, das Einspruchsrecht gegen wirtschaftliche Maßnahmen oder die Etablierung der JugendvertrauensrätInnen. Natürlich wurde das Gesetz in der Zwischenzeit mehrmals novelliert, unter anderem 1987 unter Sozialminister Alfred Dallinger.
Gleiche Themen
Selbst wenn sich die Arbeitswelt in den vergangenen 100 Jahren verändert hat, im Wesentlichen sind die Themen der Betriebsratstätigkeit die gleichen geblieben: gerechte Entlohnung, Arbeitszeitregelungen, humane Arbeitsbedingungen und Ähnliches. Besonders anschaulich lassen sich die Fortschritte beim ArbeitnehmerInnenschutz darstellen. So verzeichnete die AUVA 1985 beispielsweise 289 tödliche Arbeitsunfälle (ohne Wegunfälle), im Jahr 2017 waren es „nur“ noch 76. Auch Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle insgesamt sind in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen, was vor allem auf das positive Zusammenwirken von Arbeitsinspektoraten, AUVA, Gewerkschaften und BetriebsrätInnen bzw. Beauftragten vor Ort zurückzuführen war.
Astrid Fadler
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/19.
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