Ein Jugendvertrauensrat, das ist wie ein Klassensprecher. Aber eben für die jungen Leute im Betrieb.
Jonas Maureder, Jugendvertrauensrat voestalpine Linz
Vom Himmel gefallen sind Jugendvertrauensräte als Instrument betrieblicher Mitbestimmung nicht. Wie so vieles mussten sie gewerkschaftlich durchgesetzt werden. Zwar gab es bereits 1946 erste Jugendvertrauensratswahlen. Doch erst am 9. Juli 1972 verabschiedete der Nationalrat das „Bundesgesetz über betriebliche Jugendvertretung“. Ein Erfolg der Kampagne „M wie Mitbestimmung“ der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. 51.000 Menschen unterzeichneten die mit der Kampagne verbundene Petition zur gesetzlichen Regelung des Jugendvertrauensrates.
Die Geschichte der Vertrauensräte reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Damals übernahmen sogenannte Vertrauensmänner die gewerkschaftliche Organisation in den sich rapide entwickelnden Industriegebieten. Zu Beginn der Ersten Republik gab es ab 1919 erstmals einen gesetzlichen Schutz für Betriebsrät:innen. Bis dahin landeten sie oft auf „schwarzen Listen“ der Unternehmen und wurden von diesen auf die Straße gesetzt ohne eine Chance auf Neuanstellung in einem anderen Betrieb. Heute ist klar geregelt, dass in jedem Betrieb mit mindestens fünf jugendlichen Arbeitnehmer:innen ein Jugendvertrauensrat (JVR) zu wählen ist.
Mit dem Jugendvertrauensrat gemeinsam stärker
Einer von ihnen ist Mohab Finjan. Der junge Mann hat sein Büro in einer Filiale der Bank Austria im Wiener Bezirk Floridsdorf. „Ich wollte immer schon Bankkaufmann werden, von klein auf“, erzählt er enthusiastisch. „Das war immer mein Ding. Einen Anzug tragen und arbeiten.“ Die Mitarbeit im JVR sieht er für sich auch als Türöffner. „Man knüpft viele Kontakte, und ich arbeite gerne mit Menschen. Außerdem will ich in Eigenregie nach vorne gehen.“
Ich durfte um mich herum ein komplett neues Team aufstellen. Das hat Spaß gemacht und war eine wertvolle Erfahrung im Alter von 18 Jahren.
Mohab Finjan, Jugendvertrauensrat Bank Austria
Zum JVR kam Finjan auf Eigeninitiative. „Nach meinem ersten Lehrjahr war JVR-Wahl bei der Bank Austria. Ich habe den Vorsitzenden gefragt, was der JVR macht und was er für die Jugendlichen tut. Er hat mir erklärt, dass es um Interessenvertretung geht und dass der JVR sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrlinge einsetzt.“ Nur kurze Zeit später übernimmt Mohab Finjan das Amt von seinem Vorgänger und wird Vorsitzender: „Ich durfte um mich herum ein komplett neues Team aufstellen. Das hat Spaß gemacht und war eine wertvolle Erfahrung im Alter von 18 Jahren.“
Ganz einfach war es für ihn persönlich trotzdem nicht. Zwar gibt es für die JVR-Arbeit Freistellungen, doch vieles wird in der Freizeit erledigt. „Als ich den Vorsitz übernehmen durfte, war ich gerade im Lehrabschluss. Das war stressig. Neben der Arbeit hatte ich noch Berufsschule. Es hat mich aber am Ende des Tages sehr glücklich gemacht und gestärkt.“
Verantwortung übernehmen
Ähnliches gilt für die Mechatronikerin Beatrix Dietl. Sie ist Vorsitzende für technische Lehrlinge des standortübergreifenden Zentral-Jugendvertrauensrats in der Wiener Firmenzentrale von Siemens und vertritt österreichweit 200 Lehrlinge. „Es war für mich von Anfang an klar, dass ich im JVR mitmachen möchte“, sagt Dietl. Aber: „Es ist eine große Verantwortung, und ob ich es tatsächlich schaffe, war zu Beginn nicht so klar für mich. Ich habe mich dennoch aufstellen lassen.“
Neben der Arbeit im Jugendvertrauensrat ist für Mohab Finjan auch die gewerkschaftliche Arbeit von großer Bedeutung. Er bemerkt in seiner Tätigkeit, dass die Bedeutung der Gewerkschaften für gute Arbeitsbedingungen jungen Menschen nicht immer bewusst ist. „Nur wenige wissen, dass es ohne Gewerkschaften etwa kein 13. und 14. Monatsgehalt geben würde. Deshalb will ich, dass alle Beschäftigten in der Gewerkschaft sind.“
Angesprochen auf die alltägliche JVR-Arbeit betont Finjan, der inzwischen auch Jugend-Bundessprecher im Bankensektor ist, dass die Bank Austria ein „Top-Lehrbetrieb“ sei. So werde dort die Zeit in der Maturaschule als Arbeitszeit angerechnet. „Das ist eine bessere Regelung als im Banken-KV“, sagt er sichtlich stolz. Dennoch gebe es immer wieder Themen, die zu diskutieren seien: „Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Ausbildung nicht so gemacht wird, wie in der Filiale vorgesehen. Oder wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, weil ein Lehrling sich nicht mit seinen Kolleg:innen versteht.“
Insgesamt hält Finjan die Lehre für eine rundum gute Sache. „Es gibt so viele Aspekte, die für die Lehre sprechen. Man hat die Möglichkeit, sehr jung Verantwortung zu übernehmen. Als Banklehrling verdient man 600 bis 850 Euro netto. Das ist ein super Start ins Berufsleben. Man kann sich schließlich nicht ewig von Mami und Papi finanzieren lassen.“
Auf niedrigem Niveau eingependelt
Die Bank Austria bildet derzeit in ganz Österreich 72 Lehrlinge aus. Und mit 1.200 Lehrlingen zählt der Bankensektor neben den Sparten Transport und Verkehr sowie Information und Consulting zu den Positivbeispielen. In anderen Branchen ist die Lage weitaus kritischer. Einen „Tiefststand bei Lehrbetrieben und Lehrlingen“ meldete die Produktionsgewerkschaft PRO-GE im März 2022. Laut neuesten Statistiken gab es in Österreich im Jahr 2021 nur 107.953 Lehrlinge. Im Vergleich dazu waren es 1980 noch über 194.000, denn fast die Hälfte der 15-Jährigen begann damals eine Lehre. Rund 30 Jahre später, im Jahr 2019, waren es nur mehr etwa 39 Prozent.
Gleiches gilt für die Zahl der Lehrbetriebe. Nach einem jährlichen Rückgang von rund 1.000 bis 1.500 Betrieben pendelte sich die Anzahl der Lehrbetriebe seit 2017 auf niedrigem Niveau bei etwa 28.000 Lehrbetrieben ein. Im Vergleich dazu waren es 2007 noch 39.000. „In unseren Branchen sehen wir deutlich, dass es in den letzten Jahren immer weniger ausbildende Betriebe gibt. Für uns passt es nicht zusammen, einerseits zu jammern, dass es nicht genug Fachkräfte gibt, aber andererseits diese Fachkräfte nicht selbst ausbilden zu wollen“, sagt Stefan Laufenböck, Bundesjugendsekretär der PRO-GE. Er fordert, das Image der Lehre aufzuwerten.
In unseren Branchen sehen wir deutlich, dass es in den letzten Jahren immer weniger ausbildende Betriebe gibt. Für uns passt es nicht zusammen.
Stefan Laufenböck, Bundesjugendsekretär der PRO-GE
Dafür braucht es ein Modell zur Höherqualifizierung in der Lehre. So hält es Laufenböck für sinnvoll, die Rahmenbedingungen bei bereits bestehenden Qualifizierungen, wie etwa der Meisterprüfung, zu verbessern: „Es kann nicht sein, dass die jungen Erwachsenen für eine so wichtige Qualifizierung Tausende Euro zahlen müssen. Die Matura ist gratis, die Meisterprüfung muss es auch sein.“
„Lasst euch nichts gefallen“
Zurück zu Mechatronikerin Beatrix Dietl: Das Interesse an politischen Themen sei bei ihr schon immer stark vorhanden gewesen, sagt sie. Deshalb sei sie auch für den JVR angesprochen worden. Das gilt ebenfalls für ihren Kollegen Maximilian Felbermayer. Er findet: „Es ist wichtig, dass man die Jungen ernst nimmt. Gerade in den jetzigen Zeiten, wo man nicht weiß, wie es in ein paar Wochen aussieht. Aber die Jungen, scheint es, werden nicht so ernst genommen, wie es eigentlich sein sollte. Dabei müssen sie später alles ausbaden.“
Es ist wichtig, dass man die Jungen ernst nimmt. Gerade in den jetzigen Zeiten, wo man nicht weiß, wie es in ein paar Wochen aussieht.
Maximilian Felbermayer, Jugendvertrauensrat Siemens
Tatsächlich gibt es in ganz Österreich Probleme und Unzufriedenheit. Darauf verweist auch der aktuelle, von AK, ÖGB und ÖGJ in Auftrag gegebene 4. Lehrlingsmonitor. So muss unter anderem ein Drittel aller Lehrlinge Überstunden verrichten – und dies teilweise unfreiwillig. Nur 73 Prozent aller Lehrlinge bekommen diese Überstunden abgegolten. Das ist nicht der einzige Mangel. So berichten 76 Prozent der rund 6.000 befragten Lehrlinge, dass sie keine regelmäßige Ausbildungsdokumentation bekommen, während 57 Prozent der befragten Lehrlinge überhaupt keinen Ausbildungsplan haben.
Ich verbringe rund ein Viertel meiner Arbeitszeit mit Aufgaben aus meiner Funktion als JVR. Ein paar Abende kommen auch noch hinzu.
Beatrix Dietl, Jugendvertrauensrätin Siemens
Doch den Kopf in den Sand stecken wollen die beiden deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil: „Wie schon der kürzlich verstorbene Willi Resetarits gesagt hat: Lasst euch nichts gefallen“, meint Felbermayer. „Wichtig ist doch, dass was getan wird. Dafür braucht es Durchsetzungskraft und intensive Arbeit.“ Es gehöre auch ein Stück Rebellion dazu, findet Beatrix Dietl. Und dafür brauche es viel Vorbereitungszeit in ihrer Funktion: „Ich verbringe rund ein Viertel meiner Arbeitszeit mit Aufgaben aus meiner Funktion als JVR. Ein paar Abende kommen auch noch hinzu.“
Interessen vertreten
Ein wichtiger Plan des Jugendvertrauensrats bei Siemens ist derzeit die Erstellung eines Zufriedenheitsbildes unter den Lehrlingen. „Wir erheben Daten und geben diese an die verantwortlichen Stellen weiter. So wollen wir zeigen, wo es unseren Lehrlingen nicht gut geht und dass in unterschiedlichen Bereichen Handlungsbedarf besteht.“ Für diese Tätigkeiten gibt es viel Unterstützung vom Betriebsrat, berichten beide übereinstimmend. Die sei auch nötig, denn im Zuge der Pandemie sei manches in Schieflage geraten. „Bei gewissen Betriebsvereinbarungen für Lehrlinge müssen wir schon sehr darauf achten, dass diese auch eingehalten werden“, umschreibt Beatrix Dietl die Situation.
Engagement im Jugendvertrauensrat endet nicht am Werkstor
Jonas Maureder in Linz teilt viele Beobachtungen seiner Kolleg:innen bei Siemens. „Bei der voestalpine ist das Verhältnis zwischen JVR und dem Ausbildungszentrum sehr gut“, betont er. „Miteinander zu reden und Lösungen für Probleme zu finden ist wichtig.“ Die veränderten Arbeitsbedingungen während der Pandemie zeigen sich auch in Linz. „In den vergangenen zwei Jahren Pandemie ist das soziale Miteinander geringer geworden“, sagt Maureder. „In den Berufsschulen gibt es keine psychologischen Anlaufstellen. Manche Betriebe haben jedoch inzwischen Betriebspsycholog:innen. Das ist ein Thema, das dringend enttabuisiert gehört.“ Darüber hinaus sieht er auch die öffentliche Hand gefordert: „Die öffentliche Hand muss mehr Geld für Jugendzentren und Jugendcafés bereitstellen. Das ist wichtig für die soziale Integration.“ Und es ist wohl auch ein Beispiel dafür, dass das Engagement der Jugendvertrauensrät:innen nicht am Werkstor endet.