Jugendmonitor: Jugendliche machen Schulden
Die Frage nach ihren größten Sorgen hat Studienautorin Martina Zandonella von Foresight absichtlich offen formuliert. Sie wollte den 1.200 befragten Jugendlichen die Möglichkeiten geben, selbst ihre Bedenken zu formulieren. „Das gibt den jungen Menschen Raum für eigene Empfindungen und authentische Antworten in ihrer eigenen Sprache, wodurch wir für die Analyse tiefergehende Einblicke in die Zielgruppe erhalten“, so Zandonella.
Das größte Problem der Jugendlichen ist die eigene finanzielle Lage. Ein Viertel gibt an, Geldprobleme und Schulden zu haben. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die Angst ein, die Wohnkosten nicht mehr begleichen zu können. Hochgerechnet auf Österreich betrifft diese Angst 378.000 junge Menschen. Fast gleichauf folgen Zukunftsängste, die sich um Ausbildung, Beruf und gute und sichere Arbeit drehen. Auf Platz drei folgen der Leistungsdruck in der Schule, der Ausbildung oder der Arbeit.
Dass Geldprobleme ganz oben in der Sorgenliste stehen, ist kein Wunder. Die Inflation hat die Jugendlichen hart getroffen. Sie sind es, die häufig in befristeten Mietverhältnissen leben, die als klassischer Preistreiber in diesem Segment gelten. Die Folge ist, dass sie ihre Ersparnisse aufgebraucht und sogar Schulden gemacht haben. Und das, obwohl sie bei Freizeit, Urlaub, Ausgehen und sogar Lebensmitteln teils größere Einsparungen vorgenommen haben. Die jüngsten Krisen haben unseren Konsum nachhaltig verändert.
Finanzielle Sorgen in der Mitte der Gesellschaft
Der Jugendmonitor hat auch gezeigt, dass diese Sorgen sehr ungleich verteilt sind. So lässt sich die Gruppe der 16- bis 29-Jährigen in drei Cluster einteilen – die oberen 30 Prozent, 40 Prozent der Mitte und die unteren 30 Prozent. Das obere Drittel kann auf Einnahmen durch Kapitalanlagen oder Vermietung zurückgreifen (19 Prozent), freut sich über finanzielle Zuwendungen der Eltern (64 Prozent) und wird einmal eine Summe erben, die den Wert eines Hauses übersteigen (64 Prozent).
Es zeichnen sich hier beträchtliche Folgen
für die Zukunft gerade jener jungen Menschen ab,
die bereits jetzt vielfach außen vorstehen.
Martina Zandonella, Studienautorin Jugendmonitor
Schon in der Mitte ist dieser Luxus nicht mehr so ausgeprägt. Sollte eine spontane Ausgabe von 1.300 Euro anstehen, könnten sie 4 von 10 nicht kurzfristig zahlen. Im unteren Drittel sind es sogar 7 von 10. Doch nicht nur das, im unteren Drittel haben 36 Prozent der Jugendlichen nicht ausreichend Geld, um sich neue Kleidung zu kaufen, sollte die aktuelle kaputtgehen. Armut in Österreich und die extrem ungleiche Vermögensverteilung müssen zusammen betrachtet werden.
Wenn Aus- und Weiterbildung leiden
Doch auch bei der Gesamtwirtschaft sollten angesichts solcher Zahlen die Alarmglocken schrillen. Denn bedingt durch die Teuerung hat jede:r fünfte Jugendliche in den vergangenen zwölf Monaten Einsparungen bei der Bildung machen müssen. Sie konnten Aus- und Weiterbildungen nicht beginnen oder mussten sie abbrechen, um mehr Geld zu verdienen. Das trifft besonders auf Lehrlinge (29 Prozent), Arbeitslose (30 Prozent), Personen mit Migrationshintergrund (27 Prozent) und finanziell schlecht Abgesicherte (36Prozent) zu.
Angesichts des von Arbeitgeber:innen oft bemühten Fachkräftemangels ist es erstaunlich, dass für Aus- und Weiterbildung nicht genug Geld da ist. Im kommenden Jahr kommt erschwerend hinzu, dass das Budget des Arbeitsmarktservice (AMS) um fast 100 Millionen Euro gekürzt werden soll. Eine Einsparung, die Jugendliche besonders hart treffen wird.
„Egal ob als Lehrling, in Bildungskarenz oder als Studentin auf der FH – alle sollen ihre Ausbildungen beginnen und auch abschließen können. Angesichts der Herausforderungen für den sozial-ökologischen Umbau brauchen wir jeden Kopf und alle Hände – und eigentlich mehr Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen“, appelliert Fabian Edlinger, ÖGJ-Präsidiumsmitglied bei der Präsentation des Jugendmonitors.
Jugendmonitor: Politik ohne Jugend
Dramatisch ist, dass die Jugend sich zunehmend von der Politik abwendet. Gerade einmal 46 Prozent der Jugendlichen finden eine Partei, die ihre Interessen vertritt. Das hat auch damit zu tun, dass die Jugendlichen zwar den Wohlstand und Reichtum älterer Generationen sehen, ihn aber nicht auf ihre Lebenswirklichkeit übertragen können.
„Junge Menschen in Österreich können sich etwas aufbauen und an der Gesellschaft teilhaben – dieses jahrzehntelange Wohlstandsversprechen gerät in Brüche, weil es für viele nicht mehr erfüllt wird. Die soziale Schere geht auf, die ökonomische Polarisierung nimmt zu“, bringt Ilkim Erdost das Problem auf den Punkt. Sie ist Bereichsleiterin Bildung bei der Arbeiterkammer Wien.
Mehr Chancen für Jugendliche
Ideen, wie Jugendliche freier ihre eigene Zukunft gestalten können, gibt es viele. Eine Verbesserung der Aus- und Weiterbildung steht dabei ganz oben auf der To-Do-Liste. So muss Österreich die Berufsorientierung verbessern, eine gerechte Schulfinanzierung auf die Beine stellen (Stichwort: Chancen-Index) und ein Mindestlehrlingseinkommen im Kollektivvertrag verankern, der bei mindestens 1.000 Euro liegt und auch Weihnachts- und Urlaubsgeld beinhaltet.
Wichtig ist aber auch, dass Jugendliche die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen. Beispielsweise in Form betrieblicher Mitbestimmung. Aber auch durch einen fairen Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft, um mehr Teilhabe an der Demokratie zu ermöglichen. Mit dem Haus der Jugend möchte die Arbeiterkammer zeigen, wie man diese Menschen mehr Ressourcen zur Verfügung stellen kann.
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