Jugend in Zeiten von Covid-19: Die verlorene Generation?

Illustration verlorene Generation
Illustration (C) Miriam Mone
Die Probleme, die für junge Menschen schon davor existierten, verschlimmerten sich durch die Krise. Trotz vielversprechender Konzepte hat die Regierung bis dato wenig dagegen unternommen. Bleibt die Jugend auf der Strecke?
I want you to panic. Die Worte einer 16-Jährigen gingen um die Welt. Doch sie passen auch jetzt. Denn in Österreich waren im September knapp 70.000 Jugendliche ohne Job. Existenzängste, Lehrstellenlücke, Depression. Den Staat kostet jede und jeder auf der Strecke Gebliebene im Jahr 9.000 Euro. Die „verlorene Generation“ will gehört werden. Seht her, wir sind auch wichtig! Wir wollen arbeiten. Gebt uns eine Lehrstelle. Wir sind die Zukunft.

Jugendliche trifft es in der Krise als Erste. Mini-Jobs werden gestrichen. Die Gastronomie schließt. Veranstaltungen, die insbesondere am Wochenende flexible, unabhängige Arbeitstage ermöglichen, werden abgesagt. Lehrstellen können nicht ausgeschrieben werden, bereits zugesicherte Plätze werden gestrichen. Um solche Schicksale zu finden, reicht ein Blick in die sozialen Netzwerke. Entsprechend ist das Vertrauen der Jugend dahin und das politische Interesse geht in eine andere Richtung.

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Stille Katastrophe

Facebook. Die öffentliche Gruppe „Lehrstellen. Bewerbungen erwünscht.“ zählt 408 Mitglieder. Die eine Hälfte sind junge Menschen, die sich kurz und höflich vorstellen. Vielleicht kennt ja jemand jemanden. Die andere Hälfte: verzweifelte Eltern. Der neueste Eintrag stammt von einer Mutter, die hier die letzte Möglichkeit sieht, Hilfe zu bekommen. Sie schildert im privaten Gespräch die Lage ihres Sohnes. Pascal wird im Oktober 19 und bestreitet den Ausbildungsweg zum Bürokaufmann. Nach einem ersten turbulenten Lehrjahr im Betrieb wird sein Vertrag gekündigt. Er ist nicht der Einzige, auch andere Lehrlinge müssen gehen. Einen konkreten Grund erfahren sie nicht.

Seitdem schreibt er Bewerbung um Bewerbung, aber „die Firmen melden sich einfach nicht, nicht mal für eine Absage, er ist schön langsam am Verzweifeln, weil ihm keiner eine Chance gibt“, so die Mutter. Es sei nicht leicht, eine Firma zu finden, die jemanden im zweiten Lehrjahr aufnimmt. Viele suchen sogar schon für September 2021. „Er hat Angst, nichts mehr zu bekommen und seine Ausbildung nicht abschließen zu können. Es deprimiert ihn sehr.“

Besorgten Eltern und frustrierten Lehrlingen ist es egal, wenn ÖVP-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sagt: „Der Lehrlingsbonus wirkt.“ Die Dienstjüngsten trifft es trotzdem zuerst. Auch wenn einige Minister*innen sich schulterklopfend ein erfolgreiches Verhindern des Worst Case bescheinigen. „Man sollte aber nicht den Tag vor dem Abend loben!“, sagt Arbeitsmarktexperte Dennis Tamesberger von der AK Oberösterreich. „Beim aktuellen Lehrlingsbonus ist es besonders paradox, dass dieses Geld rückwirkend bis März ausgezahlt wird. Das kann nicht zu neuen Lehrstellen führen.“ Auch große Unternehmen, wie Interspar oder Voestalpine, haben Anspruch auf diese 2.000 Euro. Für kleine Unternehmen beträgt der Bonus immerhin 2.500 Euro, sogenannte Kleinstunternehmen erhalten 3.000 Euro.

Beim aktuellen Lehrlingsbonus ist es besonders paradox, dass dieses Geld rückwirkend bis März ausgezahlt wird.

Dennis Tamesberger , Arbeitsmarktexperte AK OÖ

„Gut in der Idee, schlecht in der Ausführung“, findet auch Bundesjugendsekretär Christian Hofmann. „Ich schenk jedem Unternehmen einfach mal Geld“, sei keine Strategie, es fehle dabei an Steuerungseffekten. Es fehlt das Paket. „Als Unternehmen habe ich im Moment die Qual der Wahl“, so Hofmann weiter. Betriebe können sich wegen des Überangebots momentan in vielen Bereichen gezielt jene Leute rauspicken, die sie haben wollen. Der Arbeitsmarkt erhole sich zwar langsam, aber doch stetig, wie auch Daten des Arbeitsmarktservice zeigen. Im September war es erstmals der Fall, dass wieder mehr Lehrstellen verfügbar (8.805) als Lehrstellensuchende (8.406) gemeldet waren. Doch was sind das für Lehrstellen – und wie kann es sein, dass diese gar nicht besetzt sind?

„Auffallend war im September, dass die Anzahl der nicht sofort verfügbaren Lehrstellen großteils auf ‚sofort verfügbar‘ gestellt wurden. Das ist nicht plausibel“, so Tamesberger, „die offenen Lehrstellen sind mit hohen Unsicherheiten behaftet.“ Die Zahlen seien hier in gewisser Weise irreführend und blendeten ein riesiges Lehrlingspotenzial aus. In Österreich gibt es etwa 10.000 Jugendliche, die gerade eine überbetriebliche Lehrausbildung machen. „Die sind per Definition lehrstellensuchend, werden von der Statistik aber nicht erfasst.“ Man müsse daher auch Jugendliche unter 19 Jahren und ohne Berufsausbildung, die arbeitslos oder in Schulung sind, berücksichtigen. „Demnach bewegt sich das gesamte Lehrlingspotenzial bei rund 25.000 Jugendlichen, und so gerechnet fehlen dann tatsächlich rund 14.000 Lehrstellen.“

Sollen sie halt umziehen

Um die laut AMS verfügbaren 8.800 Lehrstellen zu besetzen, stellte Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) zwölf Millionen Euro zur Verfügung. Diese Mittel sollen von Lehrstellensuchenden für die Übersiedlung und Wohnungssuche am Arbeitsstandort genutzt werden. Wer flexibel und mobil sei, finde leichter eine Lehrstelle, so Aschbacher. „Die befürchtete Lehrstellenlücke ist nicht eingetreten. 34 Prozent der Unternehmen tun sich aber noch immer schwer, geeignete Lehrlinge zu finden“, ergänzte Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer fast schon zynisch. Doch Jugendliche sollten bei der Wahl ihres Lehrberufes nicht die eigenen Interessen völlig außen vor lassen müssen.

Im Interview
„Meiner Ansicht nach verschlimmern sich eigentlich alle Probleme, die es für junge Leute schon davor gegeben hat, durch die Krise noch mehr“, sagt Susanne Hofer, Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend.

Der im Oktober auslaufende Lehrlingsbonus und der Mobilitätszuschuss sind die einzigen konkreten Maßnahmen, die die Regierung über den Sommer ergriffen hat. Dazu kommt noch der PR-Gag einer „Task-Force“ der Regierung, die bereits im Juni angekündigt wurde und 1.000 Lehrlingen eine Chance auf den Abschluss geben sollte. „In Wirklichkeit ist da halt nie was passiert in dieser Task-Force“, berichtet Susanne Hofer, Bundesvorsitzende der Gewerkschaftsjugend, in Bezug auf eine parlamentarische Anfrage. „Meiner Ansicht nach verschlimmern sich eigentlich alle Probleme, die es für junge Leute schon davor gegeben hat, durch die Krise noch mehr.“ Insbesondere bei klassischen Frauenberufen, etwa im Textilhandel, „sind Lehrstellen abgebaut worden“. Einer Studie zufolge wirken sich solche Erfahrungen auf das gesamte spätere Leben aus. Je nach Dauer und Umständen entgehen jungen Langzeitarbeitslosen, auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet, bis zu acht Prozent ihrer Einkünfte.

Kurzarbeit und Überbetrieblichkeit

Also was kann der Staat tun? „Die wichtigste Maßnahme war die Kurzarbeit“, findet Tamesberger von der AK in Linz. Die Zahlen hätten nun gezeigt, dass im April 140.000 Jugendliche in Kurzarbeit waren. Ein Drittel davon war unter 19 Jahren, viele davon Lehrlinge. Durch die Übernahme von 100 Prozent der Entschädigung dürften unzählige Lehrstellen gesichert worden sein. Für die Zukunft wisse man deswegen, dass alle Maßnahmen die Kurzarbeit betreffend auch direkte Auswirkungen auf die Jugendarbeitslosigkeit haben. Trotzdem dürfe man dabei nicht die Ausweicheffekte vernachlässigen: „Ich gehe davon aus, dass sehr viele Jugendliche ins Schulsystem gewechselt sind, weil der Lehrstellenmarkt so schwierig ist.“ Erst am Ende des Jahres wird das mit Zahlen belegbar sein.

Eine weitere wichtige Maßnahme in Österreich ist der Ausbau der überbetrieblichen Lehrausbildung. Diese wurde 1998 eingeführt, und zwar als lehrtechnisches Auffangnetz und Ausbildungsgarantie für Jugendliche unter 18 Jahren. Lehrstellensuchende mit bildungstechnischen Defiziten sollten so aufholen. Dabei hatte sie nie den Anspruch, eine vollwertige Ausbildung zu sein, sondern sollte vielmehr eine „Alternative“ darstellen.

Ich hab mit 14 auch nicht gewusst, dass es über 100 verschiedene Lehrberufe gibt.

Susanne Hofer, Bundesvorsitzende der Gewerkschaftsjugend

Für Betriebe in der Krise ein verlockendes Instrument, kritisiert der Österreichische Gewerkschaftsbund. Warum teuer und aufwendig Lehrlinge ausbilden, wenn sie ohnehin über das AMS aufgefangen und ausgebildet werden? Expert*innen berichten gar davon, dass Betriebe beklagen, keine Fachkräfte zu finden, obwohl sie selbst keine ausbilden. Jugendliche in den Ausbildungszentren hingegen schildern eine „Owezahrer“-Mentalität. Die Lehre sei entspannter, vermittle dafür aber auch weniger Inhalte. Geringer sei auch die Entlohnung. Im ersten und zweiten Lehrjahr 332 Euro, im dritten 768 Euro. 36 Prozent können nicht sagen, was sie bei der Lehrabschlussprüfung können müssen. Jeder Zweite, der den Absprung einmal geschafft hat, ist nach einem Jahr erneut arbeitslos.

Dabei wäre schon viel damit getan, die vergangenen Kürzungen rückgängig zu machen. Tamesberger fordert deswegen: „Die radikalen Beihilfenkürzungen von Türkis-Blau von 792 Euro auf 343 Euro für junge Erwachsene in überbetrieblichen Lehrausbildungen müssen zurückgenommen werden.“ Auch die starren Altersgrenzen von 18 Jahren bereiten Probleme. Zwar könne man auch mit 19 oder 20 noch eine überbetriebliche Lehrausbildung starten, aber „sehr viele Maßnahmen funktionieren nur bis zur Volljährigkeit“. Aus diesem Grund machen auch die 20- bis 24-Jährigen zwei Drittel der Jugendarbeitslosen aus. Tamesberger: „Das sind teilweise Maturant*innen, Lehrabsolvent*innen, die brauchen vor allem Jobs. Aber die gibt es derzeit nicht. Entsprechende Angebote sollten auch älteren Jugendlichen zur Verfügung stehen.“

In Wien beginnt’s

Als Auffangstelle für Lehrlinge der „Generation Corona“, wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sagt, bieten sich vor allem öffentliche Betriebe an. Mit gutem Beispiel gehen hier etwa die Wiener Linien voran, die dieses Jahr um 16,5 Millionen Euro eine neue Lehrwerkstätte errichten. Dort werden dann 240 zusätzliche Lehrlinge ausgebildet. „Denn nichts ist schlimmer und demotivierender, als gleich zu Beginn seines Erwerbslebens mit Arbeitslosigkeit konfrontiert zu sein“, so Ludwig.

„Auch die Schule hätte schon viel früher in die Pflicht genommen werden müssen“, sagt Susanne Hofer von der Gewerkschaftsjugend. Die meisten drängten nach der Schule in dieselben drei, vier Lehrberufe. „Ich hab mit 14 auch nicht gewusst, dass es über 100 verschiedene Lehrberufe gibt.“ Mangelnde Informationsangebote an Schulen waren schon immer ein Problem und sind es auch heute noch. Der Ansatz müsste – schlägt sie vor – lauten: „Was gibt’s da eigentlich noch?“

Die Schaffung von mehr Jobs im öffentlichen oder gemeinnützigen Sektor wäre eine wirksame Maßnahme, finden Arbeitsmarktexperten. „Die Politik würde so auch das Signal aussenden, dass die Jugend gebraucht und niemand zurückgelassen wird“, sagt Dennis Tamesberger. Doch: „Wir versuchen, kämpferisch zu sein“, sagt Susanne Hofer. Und man hört, dass sie das so meint.

Über den/die Autor:in

Leo Stempfl

Leo Stempfl arbeitet als Redakteur bei einer Wiener Tageszeitung und studiert Publizistik an der Universität Wien. Er brennt für Fußball, Innenpolitik und Reportagen, und war in fast jedem Land Europas. An freien Tagen zieht es ihn in die Berge und er hat einen lebensgroßen Aufsteller von Marko Arnautović im Wohnzimmer.

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