Jeden Tag: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Sexual Harassment At Workplace In Office. Worker Woman And Man
(C) Adobe Stock/Andrey Popov
#MeToo ist in der österreichischen Medienszene angekommen – mehrere Frauen erheben Sexismusvorwürfe gegen den Medienmanager Wolfgang Fellner. Aber bedeutet diese medienwirksame Debatte nun auch, dass wir insgesamt offener über das Phänomen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sprechen? Und was sagt eigentlich das Arbeitsrecht dazu? Wo fängt sexuelle Gewalt an?

Am 27. April dieses Jahres erschien ein Artikel in der deutschen „ZEIT“, der den ominösen „Medienmanager“, welcher von einer ehemaligen Mitarbeiterin der sexuellen Belästigung bezichtigt wurde, zum ersten Mal beim Namen nannte: Wolfgang Fellner. Die ehemalige Mitarbeiterin, Raphaela Scharf, bekam bald Rückendeckung von einer Kollegin: auch Katia Wagner, „Krone“-Moderatorin, berichtete nämlich von mutmaßlich übergriffigem Verhalten.

Davor galt: Jede*r weiß, wer gemeint ist, jede*r weiß, dass es jede*r weiß, niemand spricht es aus. Einige Wochen danach meldete sich eine weitere Frau zu Wort: Angela Alexa. Auch sie wirft Wolfgang Fellner sexuelle Übergriffigkeit vor.

Kurz erweckte die Causa Fellner den Eindruck, in Österreich würde nun über die Allgegenwärtigkeit sexueller Gewalt gesprochen werden. Allerdings blieben die mediale Berichterstattung und die öffentliche Debatte an Fellner als „Einzelfall“ hängen. Der systematische Aspekt sexueller Gewalt und sexueller Belästigung ist es aber gerade, der #MeToo ausmacht. Männer, über die alle wissen, was sie tun, und alle wissen, dass alle es wissen, gibt es zahlreich und das in allen Branchen. Für viele Frauen ist sexuelle Belästigung ein täglicher Begleiter.

Welches Ausmaß hat das Problem also in Österreich?

Um diese Frage zu beantworten, muss erst geklärt werden, was „sexuelle Belästigung“ überhaut ist. Das Gleichbehandlungsgesetz definiert sexuelle Belästigung als „ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt und für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist (…) Sexuelle Belästigung liegt vor, wenn dieses Verhalten vom Arbeitgeber, einem Kollegen oder einem Dritten (z. B. einem Kunden) an den Tag gelegt wird oder wenn der Arbeitgeber es schuldhaft unterlässt, eine angemessene Abhilfe zu schaffen.“

Melanie Kocsan ist Juristin und Referentin für Arbeitsrecht in der Arbeiterkammer Wien. Die Beschäftigung mit sexueller Belästigung ist täglicher Bestandteil ihrer Arbeit. Sie betont, dass sexuelle Belästigung im Arbeitsrecht, anders als im Strafrecht, wesentlich weiter gefasst ist und nicht lediglich physische Übergriffe beinhaltet, sondern auch anzügliche Bemerkungen oder Witze, Bemerkungen zum Privatleben bis hin zu schwerer Nötigung und Vergewaltigung umfasst. Poster von Pin-ups wie unerwünschte Einladungen, das Versprechen von beruflichen Vorteilen bei sexuellem Entgegenkommen oder das Androhen von Nachteilen bei Verweigerung.

Viele kommen erst, wenn es entweder schon einen physischen Übergriff gegeben hat und es nicht mehr aushaltbar ist. Sie erzählen dann, dass es mit Witzen begonnen hat, mit kleinen Bemerkungen, mit Einladungen zum Abendessen, die man immer wieder ausgeschlagen hat. 

Melanie Kocsan, AK Wien

Da aber das Missverständnis vorherrscht, nur physische Übergriffe wären sexuelle Belästigung, suchen sich Betroffene oft viel zu spät Hilfe: „Ich glaube, es ist noch nicht bei allen angekommen, dass auch verbale Belästigung sexuelle Belästigung ist. Dass sexistische Witze sexuelle Belästigung sein können. Viele kommen erst, wenn es entweder schon einen physischen Übergriff gegeben hat und es nicht mehr aushaltbar ist. Sie erzählen dann, dass es mit Witzen begonnen hat, mit kleinen Bemerkungen, mit Einladungen zum Abendessen, die man immer wieder ausgeschlagen hat“, so Melanie Kocsan.

Sieben von zehn wehren sich nicht

Und wenn Menschen sich, oft nach langem Aushalten und Leiden, dazu entscheiden, sich Hilfe zu holen, sind die Hürden sehr hoch. Nur drei von zehn Frauen, die in die Beratung der AK kommen, leiten weitere rechtliche Schritte ein, „sieben Leute machen nichts“, so Kocsan. „Ein ganz wichtiger Aspekt ist, und das passiert leider oft, dass die Betroffene von sexueller Belästigung aus dem Unternehmen entfernt wird und nicht der Belästiger. Und natürlich ist das auch eine Diskriminierung, gegen die man klagen kann. Aber wer will schon seinen Arbeitgeber klagen, um weiter in einem Unternehmen tätig zu sein, das einen als Betroffene sexueller Belästigung als Störfaktor wahrgenommen und entlassen hat?“

Allerdings, so betont sie, gibt es bei einer Entlassung die Möglichkeit, auf Schadenersatz zu klagen, auch wenn ein solches Verfahren „mühsam und emotional anstrengend ist, lange dauert und man mit viel Gegenwind rechnen muss“. Betroffenen wird es also nicht leicht gemacht, sich zur Wehr zu setzen. Auch Verjährungsfristen gilt es zu berücksichtigen: Wer nach Belästigung Ansprüche vor dem Arbeits- und Sozialgericht oder der Gleichbehandlungskommission geltend machen will, hat drei Jahre Zeit.

Belästigt werden kann jeder Mensch – allerdings sind die Geschlechterverhältnisse in der Regel recht eindeutig. Für 2016 und 2017 dokumentierte die Gleichbehandlungsanwaltschaft, dass 96 Prozent der Betroffenen Frauen waren, drei Prozent Männer und ein Prozent transident. Junge und in Ausbildung stehende Personen sind allerdings besonders oft betroffen. Melanie Kocsan betont, dass sexuelle Belästigung nicht verübt wird, um „sexuelle Befriedigung“ zu erreichen, sondern oft als Machtinstrument eingesetzt wird. Besonders augenscheinlich werde dies, wenn man die hohe Anzahl an jungen Menschen, insbesondere an Lehrlingen, bedenke, die Opfer werden: „Es geht um die Demonstration von Macht, darum, das Gegenüber klein zu halten, ihm zu zeigen, wer der Chef ist.“

Es geht um die Demonstration von Macht, darum, das Gegenüber klein zu halten, ihm zu zeigen, wer der Chef ist.

Melanie Kocsan, AK Wien

Was die vorrangig weiblichen Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz tun können, beantwortet Kocsan folgendermaßen: „Was total wichtig ist, ist, das Geschehene als das einzuordnen, was es ist. Das ist oft sehr schwierig. Aber das Allerwichtigste ist zu sagen: Hier ist mir Unrecht widerfahren, ich werde sexuell belästigt, was ich empfinde, ist vollkommen normal und in Ordnung.“ Diese Bewusstwerdung ermöglicht es dann, in einem zweiten Schritt gegen das Unrecht, das einem widerfahren ist, vorzugehen. Wichtig, so Kocsan, sei hier die Beweissicherung: das Erstellen eines Gedächtnisprotokolls, falls SMS, Chat-Nachrichten oder Fotos existieren, sei es wichtig, diese zu sichern, einen Screenshot anzufertigen.

Weiters sollte man überlegen, wer eventuell Ansprechpartner*in wäre: „Wenn die Belästigung von Kollegen ausgeht, sollte der Arbeitgeber informiert werden – dieser hat Schutzpflicht, eventuell auch Frauenbeauftragte oder Vertrauenspersonen. Dann ist es möglich, sich an die Arbeiterkammer oder Gleichbehandlungsanwaltschaft zu wenden“, so Kocsan. Man kann sich zudem an „Act4Respect“ wenden, eine Kooperation zwischen Sprungbrett und Arbeiterkammer.

Alltägliches Phänomen

2011 führte das Österreichische Institut für Familienforschung eine repräsentative Studie zum Thema sexuelle Gewalt durch: Drei von vier Frauen gaben an, sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Scharfs, Wagners und Alexas gibt es also viele – die meisten von uns haben nur keine mediale Öffentlichkeit. Anstatt ausschließlich auf prominente Fälle zu fokussieren, wären ebendiese ein guter Anlass, um über die strukturelle Komponente und die Allgegenwärtigkeit sexueller und sexualisierter Gewalt aufzuklären.

Wichtige Telefonnummern:

  • Act4Respect: telefonische Beratung für Betroffene bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: 0670 600 70 80, Mo 11-14 Uhr, Do 16-19 Uhr
  • Gleichbehandlungsanwaltschaft: 0800 206 119
  • AK Wien / Arbeitsrecht: 01/501 65 1201

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Über den/die Autor:in

Beatrice Frasl

Beatrice Frasl hat Anglistik und Amerikanistik und Gender Studies studiert und ist feministische Kulturwissenschafterin, Podcasterin("Große Töchter", "She Who Persisted"), Lektorin an der Universität Wien und Aktivistin. Sie schreibt aktuell an ihrer Doktorarbeit im Bereich Gender Studies/Popkulturforschung und immer wieder auch für Medien im In- und Ausland, publiziert wissenschaftlich und hält Vorträge und Workshops zu Themen Feminismus, Geschlecht, Genderforschung und Queer Studies.

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