Versagen in der Standortpolitik? Warum Österreich zurückfällt

Investitionen in die Infrastruktur schaffen Arbeitsplätze.
Investitionen schaffen kurzfristig Arbeitsplätze und erhöhen langfristig die Wertschöpfung. | © Adobestock/tunedin
Die heimische Infrastruktur gehört zum europäischen Spitzenfeld. Doch Investitionen sind überfällig. Eine vorausschauende Industrie- und Standortpolitik müsste genau dort ansetzen.
Österreichs Infrastruktur gehört zu den besten in Europa. Doch sowohl die Finanzkrise in den Jahren ab 2008 als auch die Coronapandemie haben die Entwicklungen zurückgeworfen. Um Zukunftssektoren aufzubauen und den Anschluss ans europäische Spitzenfeld nicht zu verlieren, benötigt Österreich Investitionen und eine vorausschauende Industrie- und Standortpolitik. Doch dafür müssen die Sozialpartner eingebunden werden. Denn Österreichs Stärken wie Bildung, soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Rechtsstaat und Innovation lassen sich nicht durch Steuergeschenke an Unternehmen sichern. Die Gewerkschaften GPA und PRO-GE haben eine Studie des Wiener Economica Instituts vorgestellt, die aufzeigt, wie es besser laufen kann.

Investitionen entscheiden über Österreichs Zukunft

Langfristig betrachtet wächst die Wirtschaft in Österreich. Doch das passiert nicht linear. Die Studie des Economica Institut für Wirtschaftsforschung hat vor allem die Finanzkrise im Jahr 2008 und die Corona-Pandemie als Bruchstellen ausgemacht. Vor allem von der zweiten Krise hat sich das Land noch nicht erholt. Es sei unklar, in welche Richtung sich die Wirtschaft entwickle, erklärt Helmut Berrer, Vorstandsmitglied bei Economica und Studienautor. Das BIP sei abgeflacht.

Umso wichtiger sei also, dass die Regierung mit einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik die Trendwende einleitet. „Es besteht die dringende Notwendigkeit, mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Produktivität in unserem Land zu erhöhen. Und dafür ist eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur die Voraussetzung“, betonen Reinhold Binder (Bundesvorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE) und Barbara Teiber (Bundesvorsitzende der GPA) in einer Presseaussendung.

Barbara Teiber äußert sich im Gastkommentar zum Thema Wohnen.
Investitionen sichern die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Österreich. Dafür muss die Regierung eine Strategie entwickeln, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. | © Edgar Ketzer

Genau das erwartet auch Berrer: „Aufgrund des tendenziellen Rückgangs der Wirtschaftsdynamik und der gegenwärtigen konjunkturellen Lage ist Handlungsbedarf gegeben, um den Wirtschafts- und Industriestandort Österreich anzukurbeln, und am Arbeitsmarkt positive Impulse zu setzen.“ So könne die Regierung kurzfristig Arbeitsplätze schaffen und langfristig die Produktivität im Land erhöhen.

In diese Infrastruktur muss Österreich investieren

Um mit dieser Strategie tatsächlich die gewünschten Erfolge zu erzielen, benötigt die Regierung eine umfassende und zielgerichtete Investitionsstrategie. Diese muss sich am Zustand der Infrastruktur und am zukünftigen Bedarf orientieren. Denn wo, wenn nicht in die Infrastruktur sollte die Regierung investieren. Economica hat in ihrer Studie analysiert, in welchen Bereichen entsprechende Investitionen nötig sind und den meisten Sinn ergeben.

Dafür hat das Institut die Infrastruktur in Österreich mit der in anderen Ländern verglichen und dabei folgende Frage beantwortet: Was ist die Infrastruktur pro Kopf wert und wie viel Geld müsste Österreich investieren, um im Spitzenfeld zu liegen? Oder anders ausgedrückt: Wie hoch ist der sogenannte „Kapitalstock“? Dahinter steckt die simple Annahme, dass eine moderne und gut ausgebaute Infrastruktur (ein hoher Kapitalstock) auch das Produktionspotenzial hochhält, was wiederum zu mehr Wohlstand führen kann. Konkret heißt das: Gut ausgebaute Schienen und Straßen sorgen für einen effizienteren Transport von Gütern und eine schnelle Internetverbindung beschleunigt die Digitalisierung. Die gute Nachricht: Österreichs Infrastruktur zählt zu den besten Europas und liegt im europäischen Vergleich auf Platz vier (hinter der Schweiz, Norwegen, Luxemburg und Schweden). Die schlechte Nachricht: Es besteht Modernisierungsbedarf. Denn Österreichs Infrastruktur verliert zunehmend an Vorsprung.

Besonders auffällig ist das im Energiebereich. Hier ist der Kapitalstock in den letzten 23 Jahren kaum gewachsen. Das bedeutet, dass der Wert der Infrastruktur in diesem Bereich stagniert. Und das, obwohl alle Länder der Europäischen Union gerade an einer Energiewende arbeiten. Um auf die gleichen Pro-Kopf-Investitionen wie Spitzenreiter Schweden zu kommen, müsste Österreich 43 Milliarden Euro investieren. Economica sieht in der Verfügbarkeit von nachhaltiger Energie ein strategischen Vorteil für den Industrie- und Wirtschaftsstandort Österreich. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Energieimporte sind seit dem Jahr 2000 um 27 Prozent gestiegen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, müsste Österreich die Produktion, Leitung und Speicherung erneuerbarer Energien ankurbeln und die dazugehörige Infrastruktur digitalisieren.

Investitionen in Telekommunikation und Verkehr

Gemessen am Kapitalstock pro Kopf liegt Österreich im Bereich Telekommunikation europaweit an der Spitze. Allerdings gibt es hier zwei Herausforderungen. Zum einen ist der Investitionsbedarf aufgrund der zunehmenden Digitalisierung besonders hoch. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die Infrastruktur im Bereich des Hochleistungsbreitbandes und der digitalen Infrastruktur ausgebaut werden. Zum anderen haben andere Länder in den letzten Jahren deutlich mehr in diesen Bereich investiert. Schweden, Finnland, Dänemark und Irland haben zum Teil deutlich aufgeholt.

Portrait von Reinhold Binder während eines Interviews zu Investitionen.
Investitionen in Aus- und Weiterbildung, sichern die Zukunft des Wirtschaftsstandorts. Steuergeschenke für Unternehmen eher nicht, sagt Reinhold Binder, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE. | © Markus Zahradnik

In die Verkehrsinfrastruktur investiert Österreich laut Economica jährlich rund 4,2 Milliarden Euro. Nur Schweden steht hier besser da. Um aufzuholen, müsste Österreich etwa 5,6 Milliarden Euro zusätzlich investieren. Wichtig wäre in diesem Bereich, Investitionen strategisch zu koordinieren, um die Effizienz zu steigern. Es muss ein Plan entwickelt werden, um die Anbindung Österreichs (Luft, Schiene, Wasser) zu sichern und auszubauen – und das im Kontext der Verkehrswende.

Gewerkschaften fordern intelligente Investitionen

Die Gewerkschaften betonen allerdings, dass die Aufträge für alle Investitionen vor Ort vergeben werden müssen. „Regionale Wertschöpfung, soziale und ökologische Kriterien müssen in diesen Bereichen künftig mehr berücksichtigt werden. Ansonsten fördern wir weiterhin mit Steuergeld die Produktion in Drittstaaten, mit oftmals schlechteren Arbeitsbedingungen und geringeren ökologischen Standards“, so Binder und Teiber.

Von einer umfassenden und nachhaltigen Investitionsstrategie ist Österreich derzeit aber weit entfernt. „Wir vermissen die Seriosität in der Diskussion. Der aktuelle Unterbietungswettkampf zwischen einzelnen Parteien, etwa bei den Senkungen der Körperschaftssteuer oder bei den Arbeitgeberbeiträgen zu den Lohnnebenkosten, hat mit einer ernsthaften Strategie, die unseren Wirtschaftsstandort nachhaltig sichert, nichts zu tun“, meinen Binder und Teiber. Die Qualität der Infrastruktur sei aber ein wesentliches Kriterium für Standortentscheidungen und private Investitionen.

Dazu gehörten auch Investitionen in Aus- und Weiterbildung. Wie diese für Zukunftssicherheit sorgen können, zeige etwa die Metall- und Elektrobranche, so Binder. „In den Kollektivvertragsabschlüssen wurde eine Qualifizierungsoffensive vereinbart. In den nächsten Jahren können mehrere tausend angelernte Arbeitnehmer:innen, die bereits jetzt in den Betrieben arbeiten, eine Fachausbildung nachholen.“

Gleichzeitig will Binder aber nicht nur die Betriebe in die Pflicht nehmen. Angesichts der sinkenden Zahl an Ausbildungsbetrieben müsse der Staat eine neue Form der Finanzierung schaffen, etwa durch einen Ausbildungsfonds. „Wir müssen für Unternehmen mehr Anreize setzen, Lehrlinge auszubilden. Darum sollen jene Betriebe, die keine Lehrlinge ausbilden, obwohl sie es könnten, in einen Ausbildungsfonds einzahlen. Aus diesem Fonds werden dann die Betriebe gefördert, die Lehrlinge ausbilden.“

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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