Die IV ist ganz offiziell ein Sprachrohr ihrer 4.200 Mitgliedsunternehmen. Sie ist quasi eine Vertretung für die Bosse, der man freiwillig beitritt. Auf Nachfragen nach der Höhe der Mitgliedsbeiträge, Finanzen oder des Personalstands ihrer Organisation gibt die IV keine Auskunft. Man mache darüber keine Angaben, weil man ein privater Verein sei, heißt es auf Nachfrage.
Somit ist bei der IV nur die Stoßrichtung ihrer Meinungsäußerungen für die Öffentlichkeit nachvollziehbar. Doch wer kennt Organisationen wie „Eco Austria“ oder „Agenda Austria“? Deren VertreterInnen sind seit einigen Jahren zunehmend in österreichischen Medien zu sehen. Sie sind die prominentesten Beispiele für eine ganze Reihe sogenannter „Think-Tanks“, deren Zahl in Österreich seit Anfang der 2000er-Jahre drastisch zugenommen hat.
Sprachrohre der Industrie
In einem Artikel für die Zeitschrift „Kurswechsel“ merkten Matthias Schlögl und Dieter Plehwe dazu an: „Insbesondere die Industriellenvereinigung engagiert sich zuletzt sehr stark bei der Gründung und Finanzierung von Think-Tanks, um stärkeren Einfluss auf den politischen Meinungsbildungsprozess zu erlangen. Innerhalb der neuen Gruppe von wirtschaftsnahen Think-Tanks sind Eco Austria und Agenda Austria besonders hervorzuheben.“
Auffällig ist die Zunahme von Think-Tanks seit Beginn der Weltwirtschaftskrise – und ihre Nähe zur Industriellenvereinigung.
Auffällig ist die Zunahme solcher Think-Tanks seit Beginn der Weltwirtschaftskrise. Schlögl und Plehwe schreiben: „Von 22 Instituten wurden neun nach 2009 gegründet, lediglich vier vor dem Jahr 2000.“ Die Autoren legen dar, dass alle diese Organisationen entweder direkt aus Mitteln der IV oder indirekt durch verschiedene Konzerne, die aber alle IV-Mitglieder sind, finanziert werden: „Es hat sich somit ein Cluster an Think-Tanks gebildet, die aus denselben Töpfen finanziert werden.“
Wer viel spendet, der darf sich auch etwas erwarten. Zwar beansprucht die Agenda Austria für sich „wissenschaftliche Unabhängigkeit“ von ihren Geldgebern. Doch auch die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats sind einschlägig bekannt – wirtschaftsliberal.
Wer viel spendet, der darf sich auch etwas erwarten. Zwar beansprucht die Agenda Austria für sich „wissenschaftliche Unabhängigkeit“ von ihren Geldgebern. Zu denen zählt übrigens auch die Kapsch AG von IV-Präsident Georg Kapsch. Auch die übrige Sponsorenliste liest sich wie ein Who’s who der österreichischen Wirtschaft: Von verschiedenen Zweigen der Raiffeisenbank, der Oberbank AG über Mayr-Melnhof Karton bis zu Rewe ist alles dabei.
Doch auch die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats sind einschlägig bekannt. Da ist zum Beispiel der Beiratsvorsitzende Karl-Heinz Paqué. Er ist seit 2010 Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Magdeburg. Davor war er Finanzminister im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt und dort auch Landtagsvorsitzender der FDP-Fraktion. Die „Freien Demokraten“ sind in Deutschland eine Partei mit einem betont wirtschaftsliberalen Programm. So wundert es auch nicht, dass Paqué ein Botschafter für die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ ist.
Letztere Verbindung ist spannend: Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ wurde im Jahr 2000 vom deutschen Arbeitgeberverband „Gesamtmetall“ aus der Taufe gehoben, um in der Bundesrepublik Deutschland Werbung für eine neoliberale Umstrukturierung des Landes zu machen. So setzt sich die Initiative für Pensionskürzungen und Steuersenkungen ein, was auch ein Steckenpferd der Agenda Austria ist. Die „Initiative“ kann somit als Vorreiterin für die Agenda Austria bezeichnet werden.
Think-Tanks rufen, Politiker folgen
Apropos: Wenn die Agenda Austria ruft, kommen die SpitzenpolitikerInnen Österreichs, egal aus welcher Partei. Am 14. Mai verkündete der Twitter-Account des Think-Tanks stolz: „Nach den Ministern Rudolf Hundstorfer, Gabriele Heinisch-Hosek, Hans Jörg Schelling und Hartwig Löger war gestern Bundeskanzler Sebastian Kurz bei uns zu Gast. Unter anderem ging es dabei um die Themen Steuerreform, Europapolitik und kalte Progression.“
Wenn die Agenda Austria ruft, kommen die SpitzenpolitikerInnen Österreichs, egal aus welcher Partei. Bei solchen Treffen geht es auch immer darum, im Sinne der Programmatik eines Think-Tanks Druck auf die Politik auszuüben.
Bei solchen Treffen geht es auch immer darum, im Sinne der Programmatik eines Think-Tanks Druck auf die Politik auszuüben. Daneben nutzt die Agenda Austria ihr Mediennetzwerk. Nicht umsonst ist mit Franz Schellhorn der ehemalige Chef der Wirtschaftsredaktion der Tageszeitung „Die Presse“ an Bord. Auch der Projektleiter des Fachbereichs „Steuer, Budget, Finanzmärkte“ ist ein ehemaliger Journalist. Es handelt sich um Lukas Sustala, der bis 2014 für die Wirtschaftsredaktion des „Standard“ und bis 2018 für die „Neue Zürcher Zeitung“, unter anderem als geschäftsführender Chefredakteur für die Webseite „nzz.at“, gearbeitet hat.
Sowohl Schellhorn als auch Sustala sind auch weiterhin journalistisch tätig. Schellhorn etwa schreibt im „Profil“ eine Kolumne. Er gehört dort auch zum regelmäßigen AutorInnenstamm. Am 22. Mai saß Schellhorn auf einem Podium der „17. Country Risk Conference“ in Wien und redete dort zum Thema „Mythos Disruption“. Der Moderator war „Presse“-Journalist Hans Pleininger.
Sustala wiederum hat im „Kurier“ eine zweiwöchige Kolumne im Auftrag der Agenda Austria, ein Pro-und-Contra mit Agnes Streissler-Führer (GPA-djp). Am 11. Mai 2019 ging es da um die von Türkis-Blau kurz vor Beginn der Regierungskrise vorgelegte Steuerreform. Diese geht – wenig überraschend – der Agenda Austria nicht weit genug. Sie wolle „echte Strukturreformen“, dazu gehören für die Agenda Austria die jährliche Erhöhung des Pensionsantrittsalters um zwei Monate auf das 67. Lebensjahr, eine raschere Anhebung des Frauenpensionsalters von 60 auf 65 Jahre sowie der Ausbau betrieblicher und privater Pensionsvorsorge. Es geht der Agenda Austria also um die Schwächung des staatlichen Pensionssystems.
Neoliberale Vordenker
Das Wiener Hayek-Institut wurde 1993 gegründet, unter anderem von Werner Tessmar-Pfohl, dem damaligen Vizepräsidenten der Industriellenvereinigung. Der Ökonom Friedrich Hayek war ein Vordenker neoliberaler Ideologie.
Das ist alles kein Zufall. Organisationen wie die Agenda Austria stehen auf den Schultern jahrzehntelang in Österreich und darüber hinaus aktiver Strukturen. Ein „Elternteil“ der Agenda Austria ist das Wiener Hayek-Institut, das 1993 unter anderem von Werner Tessmar-Pfohl, dem damaligen Vizepräsidenten der Industriellenvereinigung, gegründet wurde. Der Ökonom Friedrich Hayek war ein Vordenker neoliberaler Ideologie.
Ein führendes Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts war lange Christoph Kraus, der Vorstandsvorsitzende der Kathrein & Co. Privatgeschäftsbank AG. Hier schließt sich ein Kreis. Denn Kraus ist auch Mitglied der international aktiven, von Hayek selbst gegründeten wirtschaftsliberalen Mont Pèlerin Society. Kraus darf als Vater der Agenda Austria bezeichnet werden, denn er hatte die Idee zu ihrer Gründung.
Es entsteht das Bild eines Netzwerkes, in dem sich die immer gleichen Kräfte gegenseitig die Türklinke in die Hand geben. Dieses Netzwerk wird freilich auch versuchen, den kommenden Nationalratswahlkampf in seinem Interesse zu beeinflussen.
Um das dafür nötige Startkapital zu besorgen, arbeitete er eng mit Veit Sorger, einem ehemaligen Präsidenten der Industriellenvereinigung, zusammen. Es entsteht das Bild eines Netzwerkes, in dem sich die immer gleichen Kräfte gegenseitig die Türklinke in die Hand geben. Dieses Netzwerk wird freilich auch versuchen, den kommenden Nationalratswahlkampf in seinem Interesse zu beeinflussen.
Es lohnt sich, einen Blick auf die Sponsorenliste der Agenda Austria zu werfen:
tinyurl.com/y2afbctq
Girkinger, M. (2007). „Erklär’ mir die Welt“ – neoliberale Bewusstseinsarbeit am Beispiel des Wiener Hayek-Instituts. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 36 (2), S. 201–218
tinyurl.com/yytvovlw
Schlögl, Matthias; Plehwe, Dieter (2015). „Schlagseite programmiert“ – Eine neue Generation parteiischer Think-Tanks in Österreich. Kurswechsel 2/2015, S. 28–43
tinyurl.com/nwx3ewy
Christian Bunke
Freier Journalist
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/19.
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