Wenn es um Zahlen geht, ist man bei dem 42-Jährigen an der richtigen Adresse: Seit 2012 ist Klemens Himpele Leiter der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik (MA 23) der Stadt Wien. Davor war er in der Bildungsforschung, für die Statistik Austria und für die deutsche Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft tätig.
Wien wurde 2019 zum zehnten Mal in Folge im Rahmen der Mercer-Studie zur Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität gekürt. Welche Faktoren tragen dazu bei?
Diese Studien beziehen relativ viele Faktoren zur Bewertung einer Stadt ein. Insgesamt kann man sagen, dass Wien einfach funktioniert. Es funktioniert für all die Menschen, die ihre Wege durch die Stadt, die ihr tägliches Leben bewältigen müssen und dabei auf die Dienstleistungen und die Infrastruktur der Stadtverwaltung angewiesen sind. Da kann Wien wirklich punkten. Dazu kommt natürlich das imperiale Erbe. Die Stadt ist schön, und wir haben darüber hinaus die Menschen, die aus diesen Rahmenbedingungen das Beste machen. All das führt zu dieser hohen Lebensqualität, die Wien wirklich unbestritten hat.
Inwiefern tragen öffentliche Investitionen zur Lebensqualität bei?
Die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur sind zentral. Das ist der Hebel, den Städte haben, um die Lebensqualität ihrer Bevölkerung zu gestalten. Da finden wir in Wien einerseits ein gutes historisches Erbe, auf dem wir aufbauen können. Wir haben Infrastrukturinvestitionen, die zurückgehen ins 19. Jahrhundert, von denen wir heute profitieren. Genannt sei die Hochquellenleitung, die 1873 eröffnet worden ist.
Dann gibt es die Investitionen aus der Zeit des Roten Wien – mit allen Konzepten, die seinerzeit dahinterlagen; sprich: die Frage der Bildung, der Kinderbetreuung, der öffentlichen Gesundheitsversorgung, der Hygiene, des Wohnbaus. Auch heute werden jede Menge Investitionen in die Infrastruktur getätigt, einerseits in die Bestandserhaltung, aber natürlich auch zum Beispiel in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Der Wohnbau spielt ebenfalls eine große Rolle.
Wie hoch ist das Budget der Stadt und wie viel wird davon für Investitionen ausgegeben?
Die Stadt Wien hat ein Budget von knapp über 16 Milliarden Euro für das Jahr 2020 veranschlagt. Davon sind 2,5 Milliarden Euro Investitionsausgaben.
Gerade das Thema leistbares Wohnen brennt vielen unter den Nägeln. Was tut die Stadt Wien hier?
Beim Thema Wohnen ist der Druck auf Städte in Europa enorm. Das hat vor allem mit der Urbanisierung zu tun. Menschen ziehen vom Land in die Städte, und das führt dazu, dass die Städte wachsen. Dieses Phänomen haben wir auch in Wien beobachten können. Das führt dazu, dass mehr Wohnungen benötigt werden. Der entscheidende Punkt ist, dass es Wien gelungen ist, die Bautätigkeit im privaten und öffentlichen Sektor nach oben zu fahren. Wien hat diese Kompetenzen nie vollständig aus der Hand gegeben, sondern den Gemeindebau, die Tradition des Roten Wien, immer fortgeschrieben.
Den Fehler, den deutsche Städte gemacht haben, den öffentlichen Wohnbau zu privatisieren, hat Wien nicht begangen, die Stadt hat daher weiter die Handlungshoheit.
Den Fehler, den deutsche Städte gemacht haben, den öffentlichen Wohnbau zu privatisieren, hat Wien nicht begangen, die Stadt hat daher weiter die Handlungshoheit. Deshalb gelingt es, sowohl hohe Qualität sicherzustellen als auch ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu haben.
Wien hat heute rund 200.000 EinwohnerInnen mehr als noch vor zehn Jahren. Da braucht es mehr Schulen, mehr ÄrztInnen. Wie kann man hier zeitnah entsprechend planen?
Wir machen alle vier bis fünf Jahre eine kleinräumige Bevölkerungsprognose, um die Trends ablesen zu können. Und was man sieht, ist, dass wir in den vergangenen Jahren ein enormes Bevölkerungswachstum hatten. Dieses war vor allem getrieben durch die Außenwanderung, aber auch durch einen Geburtenüberschuss. Wir sehen aber jetzt, dass diese Dynamik in den letzten eineinhalb, zwei Jahren deutlich abgenommen hat.
Diese Prognosen nützen wir, um dann die Fachabteilungen zu informieren – sie bekommen dann zum Beispiel die Information: In folgenden Stadtgebieten gehen wir von Zuwächsen bei Kindern aus. Weil es ja nicht hilft zu sagen: In ganz Wien gibt es soundso viele Kinder mehr. Die Zuständigen müssen ja auch wissen, wo diese Kinder leben und wo man entsprechend Kindergarten- und Schulplätze braucht.
Es gibt aber auch noch andere Arten von Infrastruktur. Wien hat etwa über 1.700 Spielplätze und fast 1.000 Parks. Inwieweit trägt kostenlos nutzbarer öffentlicher Raum zur Lebensqualität, aber auch zur Sicherheit einer Stadt bei?
Was Sie ansprechen, ist die Frage: Was ist eigentlich Wohlstand? Und wie misst man ihn? Wir sind es gewohnt, Wohlstand über das Bruttoinlandsprodukt oder im Fall von Wien das Bruttoregionalprodukt zu messen. Das ist eine wichtige Kenngröße, weil sie Dienstleistungen und Warenproduktion in einem Jahr misst, aber nicht mehr.
Natürlich ist die Frage der Zugänglichkeit zu bestimmten Plätzen oder Infrastrukturen ein entscheidender Maßstab für Lebensqualität. Man kann das Beispiel fortführen: In Wien sind die öffentlichen Gewässer fast überall frei zugänglich, sei es die Alte Donau oder die Donau selbst. Auch das ist Lebensqualität: Es wurde nicht privatisiert, sondern öffentlich zugänglich gehalten.
Dass Wien nicht nur mehr Wohnungen und EinwohnerInnen hat als vor zehn, 15 Jahren, sondern auch mehr Parks, zeigt: Diese Dinge werden in der Planung mitgedacht. Dieses Grundbekenntnis, das die Stadt Wien seit mindestens 1919, seit Beginn des Roten Wien, immer verfolgt hat, ist es, die Zugänglichkeit zu Infrastruktur für alle Menschen zu gewährleisten.
Die Gegenwarts- und Zukunftsthemen sind Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Klimawandel. Wie spiegeln sich diese Bereiche in den öffentlichen Investitionen der Stadt wider?
Ganz enorm. Thema Digitalisierung: Wir haben im gesamten Bereich Qualifizierung enorme Herausforderungen vor uns. Es wird zu Änderungen bei den Tätigkeitsfeldern kommen. Nun ist die Frage: Welche Fähigkeiten brauchen die Menschen?
Mit dem Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) hat Wien ein Instrument, das Menschen, die im Beruf sind, weiterqualifiziert. Das ist eine Investition in die Zukunft. Darüber hinaus braucht es digitale Infrastruktur und auch digitale Angebote der Stadtverwaltung selbst, da ist die Stadt bereits sehr aktiv.
Jede Stadt hat Nachholbedarf.
Es gibt immer Bereiche,
in denen man mehr machen kann.
Der Klimawandel wiederum hat zwei Facetten: einerseits ihn aufzuhalten. Da ist Wien aber nur eine kleine Insel, nichtsdestotrotz haben auch wir unseren Teil dazu beizutragen, und das passiert natürlich – beispielsweise über den öffentlichen Verkehr.
Das Zweite ist das Thema Klimawandelanpassung. Prognosen gehen davon aus, dass Wien stark von dem Phänomen betroffen sein wird. Aktuell gibt es hier Bemühungen, Wohnungen mit Beschattung auszustatten, um Hitze erst gar nicht aufkommen zu lassen. Und wir haben das Thema grüne Meile, also die Frage, wie Stadt auch baulich so gestaltet werden kann, dass die Aufenthaltsqualität nicht unter dem Klimawandel leidet. All das spielt auch budgetär eine große Rolle. Es ist dieses Jahr erstmals abgebildet worden im Budget, welchen Anteil klimarelevante Ausgaben haben. Wir sind bei knapp 900 Millionen Euro.
Wo gibt es wiederum Aufholbedarf?
Jede Stadt hat Nachholbedarf. Es gibt immer Bereiche, in denen man mehr machen kann. Das eine, was immer mit Augenzwinkern erzählt wird, ist das Thema Freundlichkeit, wo Wien in den Rankings ganz hinten steht. Meine Befürchtung ist, die Wiener nehmen das eher als Kompliment denn als Kritik wahr. Das Problem dabei ist, dass internationaler Austausch davon lebt, dass man mehrsprachig ist, dass man auf Menschen zugeht.
Zweitens haben wir noch immer eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit. Die ist zwar seit vielen Monaten rückläufig, das ist sehr erfreulich. Wien macht viel im Bereich Qualifizierung, aber da kann man gar nicht genug tun.
Alexia Weiss
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/20.
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