Arbeit&Wirtschaft: Was war der Grundgedanke bei der Gründung der Wohnbauvereinigung der GPA-djp?
Michael Gehbauer: Die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte ist eine gemeinnützige Bauvereinigung, die 1953 von der Gewerkschaft der Privatangestellten gegründet wurde. Das war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der Phase des Wiederaufbaus. Die GPA entschloss sich damals, wie auch andere gewerkschaftliche Organisationen, eine Bauvereinigung zu gründen, und zwar mit dem Ziel, 500 Wohnungen zu bauen.
Die GPA will nicht nur für ihre Mitglieder bei Kollektivvertragsverhandlungen erfolgreich sein, sondern auch gesellschaftspolitische Ziele verfolgen und im Bereich des sozialen Wohnbaus Angebote machen.
Dieses Ziel wurde sehr rasch realisiert. Da hat man dann gesagt: Okay, die GPA will nicht nur für ihre Mitglieder bei Kollektivvertragsverhandlungen erfolgreich sein, sondern auch gesellschaftspolitische Ziele verfolgen und im Bereich des sozialen Wohnbaus Angebote machen. So wurde das Unternehmen laufend weiterentwickelt und ist heute in Wien die Nummer acht von fast 60 gemeinnützigen Wohnbaukapitalgesellschaften. Derzeit verfügen wir über rund 10.000 Wohnungen in Wien, Niederösterreich und der Steiermark.
Welchen Verpflichtungen unterliegt ein gemeinnütziger Wohnbauträger?
Die Grundsätze sind im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz festgelegt. Gemäß Kostendeckungsprinzip dürfen keine höheren Kosten angesetzt werden als die, die tatsächlich anfallen. Das beinhaltet auch, dass wir für unsere Leistungen nur entsprechend unserer Entgeltrichtlinienverordnung Kosten verrechnen dürfen. Wir dürfen, wenn wir wirtschaftlich arbeiten, sehr wohl Erträge machen, nur die Gewinne dürfen nicht ausgeschüttet werden, sondern müssen wieder dem gemeinnützigen Wohnbau zugeführt werden. Das ist das Vermögensbindungsprinzip. Und dann gibt es auch noch das Prinzip der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit.
Wir dürfen, wenn wir wirtschaftlich arbeiten, sehr wohl Erträge machen, nur die Gewinne dürfen nicht ausgeschüttet werden, sondern müssen wieder dem gemeinnützigen Wohnbau zugeführt werden.
Wenn jemand zu Ihnen kommt und einen Vertrag über eine Wohnung abschließt, wie sind die Bedingungen?
Es ist ganz unterschiedlich, zu welchen Konditionen MieterInnen bei uns Wohnungen beziehen können, weil es davon abhängt, wann die Wohnung errichtet worden ist, ob sie auf einem Baurechtsgrund errichtet wurde oder aber auch, ob es eine Kaufoption gibt oder nicht. Man kann aber allgemein sagen: Die Finanzierungsbeiträge sind entweder niedriger als 70 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche, dann besteht keine Kaufoption. Wenn sie höher sind, besteht eine solche Kaufoption. Wir haben in den Jahren 2002 bis 2018 etwa 2.500 bis 3.000 Wohnungen errichtet, die einer Kaufoption unterliegen. Wir haben uns jetzt aber entschlossen, die Wohnungen so zu errichten, dass keine Kaufoption mehr anfällt.
Warum?
Wir merken, dass es ganz wichtig ist, einen hohen Wohnungsbestand aufzubauen, der langfristig zur Vergabe zur Verfügung steht. Wohnungen, die verkauft worden sind, pendeln aus dem Regime der Gemeinnützigkeit aus. Es gibt zwar Vorgaben, um Spekulation hintanzuhalten.
Jede Wohnung, die verkauft wird, schmälert den Bestand der Gemeinnützigen.
Trotzdem sage ich: Jede Wohnung, die verkauft wird, schmälert den Bestand der Gemeinnützigen, und ich glaube, was den österreichischen und vor allem den Wiener Wohnungsmarkt auszeichnet, ist, dass wir einen hohen Bestand an leistbaren, sozial gebundenen Wohnungen haben: entweder Gemeindewohnungen oder von Gemeinnützigen errichtete Wohnungen. Das sind immerhin 400.000 von knapp 900.000 Wohnungen in Wien, also ein hoher Anteil. Das sind zwei Drittel der Wohnungen im Mietwohnungssektor – davon geht auch ein starker preisdämpfender Effekt aus. Das ist also ein wichtiger Faktor, um den Markt einigermaßen im Gleichgewicht zu haben.
Wie haben sich die Anforderungen an die errichteten Wohnhäuser über die Jahrzehnte verändert?
Am Anfang ging es einfach darum, viel Wohnraum zu schaffen. Das wandelte sich dann ab den 80er-Jahren. Abgesehen vom Versorgungsgedanken wurde die Alltagstauglichkeit zunehmend Thema. Beispielsweise, dass die Lage einer Küche in einer Wohnung eine Rolle spielt, der Blickkontakt zum Spielplatz gegeben ist, die Helligkeit der Stiegenhäuser wichtig ist oder auch die Erschließung der Wohnungen mit Aufzügen. Da sind Qualitätsanforderungen dazugekommen.
Wir haben heute Wohnungen, die sowohl der Bauordnung entsprechen müssen als auch den sogenannten OIB-Richtlinien. Themen sind da Brandschutz, Lärmschutz, Barrierefreiheit, aber auch zunehmend ökologische Auflagen. Das sind natürlich sinnvolle Maßnahmen, wenn man etwa an den Brandschutz denkt, umgekehrt wird da oder dort der Ruf laut, dass es sich teilweise auch um überzogene Normen handelt.
Barrierefreiheit muss ein neuer Standard werden.
In Bezug auf die Barrierefreiheit vertrete ich den Standpunkt, dass Barrierefreiheit ein neuer Standard werden muss. Wir sollten uns als Gesellschaft so weit entwickeln, dass wir eine sinnvolle Barrierefreiheit in allen unseren Neubauten umsetzen, weil jeder durch Unfall oder Erkrankung oder im Alter gehandicapt sein kann. Auch bei Familienzuwachs ist Barrierefreiheit ein wichtiges Thema und erleichtert den Alltag. Derzeit wird angesichts des geforderten Einsatzes von erneuerbaren Energien und des Bemühens um CO2-Reduktion zudem über viele Fragen beim Wohnen neu nachgedacht. Das beginnt damit, wie eine Wohnung mit Energie versorgt wird. Da haben wir in Wien den Vorteil, Fernwärme zu haben. Mit Ausnahme von Gas verwenden wir keine fossilen Brennstoffe mehr in unseren Anlagen, und auch bei Gas wird man immer wieder nachdenken müssen, ob es da oder dort Sinn macht, umzustellen. Bei neueren Objekten bemühen wir uns schon um fossilstofffreie erneuerbare Energiequellen, etwa Erdwärme und Photovoltaik, zumindest für einen Teil des Energieverbrauchs.
Wie nähern Sie sich dem Thema Kühlung?
Bisher ist das Thema Kühlung von Mieterinnen und Mietern individuell angegangen worden, mit eigenen Klimaanlagen. Aber wir sind jetzt so weit, kollektive Lösungen für das Kühlen anzudenken. In der Regel muss man dazu die Heizsysteme umstellen und entweder über den Boden oder über die Decke heizen, dann kann man über diese Bauteile auch kühlen. Es sind jetzt die ersten Anlagen mit solchen Lösungen in Planung – diese können aber erst in drei bis vier Jahren bezogen werden, ein bisschen ist das also noch Zukunftsmusik.
Uns ist bewusst, dass das Thema Kühlen in Zukunft für den Wohnkomfort im Vordergrund stehen wird.
Uns ist bewusst, dass das Thema Kühlen in Zukunft für den Wohnkomfort im Vordergrund stehen wird. Man muss sagen, es ist auch ein soziales Thema, weil wenn man es dem Mieter überlassen würde, ob er eine Kühlung installiert oder nicht oder einen außenliegenden Sonnenschutz verwendet oder nicht, dann ist das immer einkommensabhängig.
Neue technische Möglichkeiten schlagen sich auch auf der Kostenseite nieder. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch?
Die Herausforderungen sind enorm. Beim Bauen gibt es drei wesentliche Kostenkomponenten. Die eine ist das Grundstück, die andere sind die Baukosten, die dritte ist die Finanzierung. Die Finanzierung spielt im Moment aufgrund der derzeitigen Situation auf den Kapital- und Finanzmärkten keine große Rolle, wir haben derzeit sehr günstige Finanzierungskonditionen.
Beim Bauen gibt es drei wesentliche Kostenkomponenten. Die eine ist das Grundstück, die andere sind die Baukosten, die dritte ist die Finanzierung.
Bei den Grundstückskosten ist es so, dass wir darauf angewiesen sind, dass wir Grundstücke zu den Konditionen erwerben können, die der geförderte Wohnbau vorgibt. Da sind wir sehr froh, dass sich die Stadt Wien jetzt entschieden hat, mit der Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ sicherzustellen, dass bei Umwidmungen von Industriegebieten, aber auch von landwirtschaftlich genutzten Gebieten hier in Zukunft zwei Drittel der Wohnungen nur zu einem fix vorgegebenen Grundstückspreis verwertet werden dürfen. Bei Umwidmungen sollen in Zukunft zwei Drittel geförderter Wohnbau und ein Drittel frei finanzierter Wohnbau entstehen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir in Bezug auf die Grundstücke vieles geschafft.
Bei den Baukosten, die infolge des Baubooms in Wien sehr stark steigen, muss man über neue Möglichkeiten nachdenken. Da gibt es aber auch gewisse Spielräume. Ein Spielraum ist zum Beispiel, dass man die Mittel der Wohnbauförderung durchaus wieder anheben könnte. In den letzten Jahren ist der Anteil, der für Wohnbauförderungsmittel, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, ausgegeben wurde, von 1,3 Prozent in den 1990er-Jahren auf jetzt 0,5 Prozent gesunken. Ich glaube, es ist jetzt wieder an der Zeit, die Wohnbauförderungsmittel anzuheben. Das sind Mittel, die vom Bund kommen und dann im Wege des Finanzausgleichs an die Länder ausgeschüttet werden.
In den letzten Jahren ist der Anteil, der für Wohnbauförderungsmittel, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, ausgegeben wurde, von 1,3 Prozent in den 1990er-Jahren auf jetzt 0,5 Prozent gesunken.
Wenn das nicht gelingt, dann muss man auch darüber nachdenken, dass man jene Maßnahmen, bei denen es wirklich um den Wohnbau an sich geht, der Wohnbauförderung zuordnet – und jene, bei denen es um Klimaschutz geht, gesondert fördert. Positiv ist zu sagen, dass die Stadt Wien im Frühjahr die Förderung von Smartwohnungen bereits angehoben hat – es bräuchte aber insgesamt noch mehr Mittel.
Gemeinnützige Wohnbauträger bauen nicht im luftleeren Raum. Der Wohnungsmarkt ist heute auch Spielfeld von Investoren und Bauträgern, die keine leistbaren Wohnungen errichten, sondern Luxuswohnungen, die möglichst viel Ertrag erwirtschaften – Stichwort Betongold. Was läuft da schief?
Viele Ressourcen gehen derzeit in den frei finanzierten Bereich, es können sich aber maximal 20 Prozent der Bevölkerung frei finanziertes Eigentum leisten. Wenn aber 60 Prozent der Wohnungen für 20 Prozent der Bevölkerung gebaut werden, heißt das, dass sich 80 Prozent der Bevölkerung um die restlichen 40 Prozent bemühen. Das Problem ist, dass hier von der Menge her zwar genug gebaut wird, aber zu wenig in unserem Segment. Die frei finanzierten Wohnungen sind zudem nur zu einem kleineren Teil tatsächlich zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses vorgesehen. Hier geht es häufig um Anlage- und Investitionsvermögen, das oft auch nicht vermietet wird – und wenn doch, dann teuer oder über Airbnb. Wenn man das volkswirtschaftlich betrachtet, ist die Allokation der Produktionsmittel hier also nicht optimal.
Was passiert, wenn man den Bereich Wohnen nur mehr dem freien Markt überlässt?
Das hätte verheerende Folgen. Klarerweise wird jeder, der baut, versuchen, seinen Profit so hoch wie möglich anzusetzen. Das führt dazu, dass es eine unzureichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum gibt. Daher sind Eingriffe in den Markt unerlässlich. Es braucht eben Akteure wie die gemeinnützigen Bauvereinigungen, es braucht finanzpolitische Instrumente wie die Wohnbauförderung, es braucht ordnungspolitische Elemente wie die Wohnungsgemeinnützigkeit, um hier für einen gewissen Ausgleich am Markt zu sorgen. Über die Angebotserhöhung geht dann auch ein preisdämpfender Effekt auf das andere Marktsegment aus. Wir verstehen die Regulierung des Wohnungsmarktes dabei als eine Aufgabe des Sozial- und Wohlfahrtsstaates.
Wir verstehen die Regulierung des Wohnungsmarktes als eine Aufgabe des Sozial- und Wohlfahrtsstaates.
Die Verteilungsfrage ist insgesamt eines der Themen unserer Zeit. Leistbares Wohnen ist inzwischen umkämpftes Gut. Welche Gegenstrategien bräuchte es hier – und wer könnte bzw. müsste diese umsetzen?
Es muss noch viel stärker eine Bewusstseinsänderung stattfinden. Da halte ich zum Beispiel die Bürgerinitiative „Housing for All“ für einen sehr positiven Aspekt, wo man die Wohnungsfrage wieder in den Mittelpunkt der Überlegungen der politischen Akteure stellt.
Wenn das geschehen ist, gibt es ein Bündel an erforderlichen Maßnahmen. Man muss am Grundstücksmarkt ansetzen, man braucht finanzpolitische Instrumente. Die Errichtung einer Wohnung kostet Geld. Und wenn das für Durchschnittsverdiener nicht wirklich leistbar ist, dann muss man die Errichtung finanziell stützen mit einer Objektförderung. Und das wird oft nicht ausreichen, und deshalb wird man sozial benachteiligten Gruppen darüber hinaus auch noch eine individuelle Förderung wie eine Wohnbauhilfe zukommen lassen müssen.
Von heute auf morgen kann keine Gesellschaft allen Staatsbürgern eine Wohnung zur Verfügung stellen.
Ich glaube aber auch, dass es notwendig ist, dass wir über Qualitätsstandards nachdenken. Das heißt nicht, dass wir Qualitätsstandards generell reduzieren. Man muss aber, wenn man über leistbaren Wohnbau nachdenkt, alle Schrauben bedenken, an denen man drehen könnte. Ein Beispiel: Bei einem Projekt im 22. Bezirk haben wir auf einem Baurechtsgrund gebaut, auf Tiefgaragen verzichtet und so niedrig – also mit drei Geschossen – gebaut, dass keine Aufzüge erforderlich waren. Damit haben wir Errichtungskosten gespart. Die Miete liegt damit um fast einen Euro pro Quadratmeter unter dem sonstigen Mietniveau im gemeinnützigen Bereich. Eines muss aber auch klar sein: Von heute auf morgen kann keine Gesellschaft allen Staatsbürgern eine Wohnung zur Verfügung stellen. Und die Versorgung in Österreich gehört da nachweislich zu den Best-Practice-Beispielen in der gesamten Welt.
Alexia Weiss
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/19.
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