Interview: Wir brauchen europäische Mindeststandards

Inhalt

  1. Seite 1 - Österreich im EU-Vergleich
  2. Seite 2 - Was ist mit der „Sozialen Säule der EU“?
  3. Seite 3 - Finanzierung des Sozialstaates
  4. Auf einer Seite lesen >
Die EU-Parlamentarierin Evelyn Regner im Gespräch über mögliche Wege zu einem sozialeren Europa und inwieweit Österreich hier tatsächlich Vorbild sein kann.

Was erwarten Sie sich vom europäischen Sozialgipfel in Göteborg im November?

Eine Entsenderichtlinie mit Substanz, und die Dienstleistungskarte für Selbstständige sollte möglichst klein gehalten werden, denn sonst wären dem Sozialdumping Tür und Tor geöffnet. Dieser Gipfel wurde von Österreich, Schweden und Deutschland, und hier vor allem von Gewerkschaftsseite initiiert. Man erinnerte sich wieder an die gute Zusammenarbeit mit Bruno Kreisky und dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme. Länder mit hohen Sozialstandards können Lokomotiven für ein gerechteres Europa sein. Ziel ist, die soziale Fortschrittsklausel zu verankern, die sicherstellt, dass soziale Rechte und der ArbeitnehmerInnenschutz mindestens denselben Stellenwert wie die Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarkt erhalten. Uns ist klar, dass wir diesbezüglich keine Vertragsänderung erreichen werden, aber es steht viel auf dem Spiel und wir müssen Schritte für ein sozialeres Europa setzen. Immerhin geht es um die Grundlage der Europäischen Union. Denn laut den EU-Verträgen geht es um das Wohlergehen der Völker, das ist das Ziel, und nicht der Binnenmarkt. Der Binnenmarkt ist nur ein Mittel zum Zweck. Auch wenn das oft vergessen wird.

Foto (C) Michael Mazohl

Beim Thema Sozialleistungen sind die steigenden Kosten bzw. Fragen der Finanzierbarkeit fast immer unausweichlich. Gibt es hier neue Ansätze und Ideen?

Den EU-Staaten entgehen jährlich 1.000 Milliarden Euro wegen Steuerbetrug und -hinterziehung durch die multinationalen Konzerne. Da müssen wir ansetzen, um die Finanzierung des Sozialstaates sicherzustellen. Gewinne müssen endlich dort besteuert werden, wo sie entstehen. Mehr Transparenz ist dringend nötig, aber auch aktuelle Anpassungen wie die Einführung einer Abgabe für Online-Werbung oder die steuerliche Erfassung „digitaler Betriebsstätten“. Angedacht sind hier mehrere Maßnahmen, die sowohl für mehr Steuergerechtigkeit als auch für Mehreinnahmen sorgen.

Wie steht es mit der sogenannten Roboter- bzw. Wertschöpfungssteuer oder einer Steuer auf Daten?

Die Robotersteuer wurde auch im Roboterbericht des Europäischen Parlaments als eine Möglichkeit angedacht. Aber eigentlich gibt es ja kein europäisches Steuerrecht, Steuern sind Sache jedes Mitgliedslandes. Ideen, Vorschläge und die Kooperation der europäischen Staaten sind trotzdem wichtig, um neuen Ideen zur zukünftigen Finanzierung des Sozialstaates zum Durchbruch zu verhelfen.

Um die Finanztransaktionssteuer ist es in letzter Zeit ja ziemlich ruhig geworden …

Derzeit verhandelt eine kleine Gruppe von EU-Staaten vor allem darüber, welche Transaktionen überhaupt besteuert werden sollen. Leider wurden in diesem Zusammenhang auch immer wieder Falschmeldungen verbreitet, wie etwa, dass in manchen Ländern die Kosten der Einführung einer Finanztransaktionssteuer viel höher wären als die Einnahmen. Dieses Gegenargument konnten wir entkräften. Momentan ist es schwierig, hier Fortschritte zu erzielen, aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Finanztransaktionssteuer kommen wird.

Welche bzw. wie viele Länder sind für die Einführung der Steuer, also wer ist bei dieser Gruppe dabei?

Es ist mittlerweile eine fixe Gruppe; unter anderen sind Deutschland, Österreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Slowenien und Belgien dabei. Die Verhandlungen verlaufen leider trotzdem ziemlich schleppend und schwierig. Die Banken intervenieren natürlich laufend und versuchen auf die einzelnen Länder Druck auszuüben. Trotzdem, vielleicht gehöre ich da zu den letzten Optimisten: Die Finanztransaktionssteuer wird noch kommen. Die Einnahmen werden vielleicht nicht so hoch sein, weil bereits Transaktionen ausgenommen wurden und ja nicht alle Länder dabei sind, aber sie wäre ein wichtiges Signal. Und das richtige Mittel, um zu zeigen, dass jener Teil der Wirtschaft, wo nur Geld hin- und hergeschoben wird, nicht am längeren Ast sitzt.

Von
Astrid Fadler

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.

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die Redaktion
aw@oegb.at

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