Interview: Umverteilung nach oben

Inhalt

  1. Seite 1 - Arbeitszeitverkürzung statt längere Arbeitszeiten
  2. Seite 2 - Arbeitszeit ist auch immer eine Verteilungsfrage
  3. Seite 3 - Österreich hat kein starres Arbeitszeitgesetz
  4. Seite 4 - Die Digitalisierung verändert nichts, sondern die Akteure
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Soziologe Jörg Flecker über Arbeitszeitverkürzung als Verteilungskampf, das schwierige Wort Flexibilisierung und die Arbeitszeitwünsche der Menschen.

Sie haben einmal gesagt, dass man rein rechnerisch mit Arbeitszeitverkürzung die Zahl der Arbeitslosen halbieren könnte. Warum macht man das dann nicht?

Der Widerstand gegen Arbeitszeitverkürzung kommt primär, wenn nicht ausschließlich, von den Unternehmen und den Verbänden der Arbeitgeberseite. Arbeitszeitverkürzung ist mit Kosten und mit organisatorischem Aufwand verbunden. Die Vorteile, die den Firmen daraus erwachsen, werden da weniger gesehen.

Die Vorteile sind, dass die Leute gesünder sind, dass sie motivierter sind, dass bei der Arbeit möglicherweise mehr rauskommt. Aber das wird in der Diskussion eher ausgeblendet. Es gibt ja Versuche, wo Firmen bewusst auf einen Sechsstundentag gehen und damit ganz gute Erfahrungen machen, weil sie weniger Krankenstände haben und die Leute ausgeruhter sind. Die Kosten von Krankenständen können also reduziert werden und die Leute sind produktiver – trotzdem sind die Arbeitszeiten für die Firmen teurer.

Und doch würden Sie dies den Firmen abverlangen wollen?

Es ist immer die Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum verteilt werden soll. Das sind gesellschaftspolitische Entscheidungen oder normative Fragen, das ist wissenschaftlich nicht zu beantworten. Man kann aus wissenschaftlicher Sicht nur darauf hinweisen, dass es Irrationalitäten gibt, Widersprüche in der Gesellschaft: Dass man auf der einen Seite Leute hat, die sehr lange arbeiten und dadurch krank werden, und auf der anderen Seite viele Leute, die arbeitslos sind und deswegen krank werden. Das ist ein Zustand, der gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht befriedigend ist.

Zugleich wird Druck noch deutlich erhöht. Wem bringt das was?

Das ist eine Frage der Verteilung. Der private Reichtum wächst, während die niedrigen Einkommen eher zurückgehen und die Leute Schwierigkeiten haben, bei steigenden Lebenshaltungskosten über die Runden zu kommen. Die nicht mehr weitergeführte Arbeitszeitverkürzung heißt ja auch eine Umverteilung hin zu den Reichen. Denn Firmen sparen sich dadurch Kosten und damit wachsen die Gewinne. Die Arbeitszeitverkürzung war immer eine Verteilungsfrage und ist normalerweise eine Umverteilung.

Gilt das auch für Flexibilisierung?

Die Flexibilisierung bringt eine Umverteilung hin zu den Gewinneinkommen zulasten der Löhne und Gehälter.

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Beim Thema Flexibilisierung mahnt Jörg Flecker, genau hinzuhören. In Österreich sei jedenfalls bereits sehr viel Flexibilität möglich. Zur aktuellen Diskussion meint er: „Es geht in der Auseinandersetzung nicht wirklich um Flexibilität, sondern darum, ob sie etwas kostet.“

Ist mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt denn automatisch schlecht?

Flexibilisierung ist ein schwieriges Wort, denn es klingt zunächst einmal positiv. Man muss genauer schauen, was damit gemeint ist. Eigentlich ist damit gemeint, und in der Praxis wird es auch so gehandhabt, dass Arbeitskräfte dann eingesetzt werden, wenn es betrieblich notwendig oder gewünscht ist. Das heißt, dass die Arbeitszeit schwanken kann, je nach Bedarf.

So können Kosten eingespart werden, weil man im Durchschnitt weniger Leute braucht. Dann arbeiten alle aber immer am Anschlag. Das heißt zugleich höhere Belastung und weniger Planbarkeit der Arbeitszeit, und das ist ein großes Problem für die Vereinbarkeit. Es wird immer so getan, als wären flexible Arbeitszeiten nützlich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das kann im Einzelfall stimmen, aber die Planbarkeit ist wesentlich wichtiger. Damit sind starre Arbeitszeiten hilfreicher, um die Kinderbetreuung arrangieren zu können. Nur wenn man sich selber die Arbeitszeit wirklich nach privaten Bedürfnissen einteilen kann und das tut, bringt die Flexibilität Vorteile für die Vereinbarkeit. Das ist jedoch die Ausnahme.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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